Von der «Kultur des Tisches» spricht die Familie Schär. Und meint damit den Besprechungs- wie den Mittagstisch. Fotos: Nelly Rodriguez

Der Bottom-Up-GU

Die Werkgruppe macht aus einem Holzbauer aus Altbüron LU einen Gesamtunternehmer mit Anspruch. Effizienz findet hier am Besprechungstisch statt.

Zimmerleute schreiben Berufsstolz gross. Nach der Ausbildung gehen viele von ihnen auch heute noch auf die Walz. Bei Richtfesten besingen sie in traditioneller Kluft ihre Handwerkskunst. Ein ähnlicher Geist schwingt an diesem Vormittag im Besprechungsraum von Schaerholzbau mit, wo fünf Herren am langen Holztresen über ihre Werkgruppe diskutieren. Eine Werkgruppe, das sei Eigenverantwortung und Respekt. Eine Seilschaft auf dem Weg zum Gipfel. «Aber ohne dem anderen das Seil zu kappen, wenn es hart auf hart kommt», betont Walter Schär.

So viele Emotionen am frühen Morgen? Einen Espresso, bitte. Und ein paar nüchterne Erklärungen. Eine Werkgruppe, darunter versteht man in Altbüron kein festes Vertragskonstrukt, sondern einen kollegial agierenden Pool von Planern und Unternehmern. Rund die Hälfte der kleinen und mittleren Aufträge wickelt Schaerholzbau mit diesen immer gleichen Partnern ab, vor allem Privataufträge und Gesamtleistungswettbewerbe. Je nach Auftrag bilden sich spezifische Teams, oft übernimmt der Holzbauer die Leitung in der Rolle eines Gesamt- oder Totalunternehmers. Der entscheidende Unterschied: Hier steht das Team von Anfang an fest.
Bauen als Gemeinschaftswerk, ohne Preiskampf und Nachtragsschlachten? Hat man im Niemandsland zwischen Bern, Olten und Luzern den Sprung in die zeit- und kostenoptimierte Bauindustrie des 21. Jahrhunderts verpasst? Die Werkhalle nebenan beweist das Gegenteil. Dort produzieren Maschinen, mit Computerdaten gefüttert, Gebäudeteile ‹just in time›. Wie geht das zusammen?

Die Submissionsphase überspringen

Während grosse Teile der Bauindustrie punkto Automatisierung und Standardisierung noch in den Kinderschuhen stecken, hat der Holzbau in den letzten zwanzig Jahren riesige Fortschritte gemacht. Wegen seiner Materialeigenschaften und Fügungstechniken bietet sich Holz für die Vorfabrikation geradezu an. Für die Holzbauer bedeutet das aus zweierlei Gründen mehr Planungsaufwand: Erstens müssen sie jedes Element detailliert digital aufzeichnen, denn Anpassen am Bau kostet Zeit und Geld. Zweitens erfordern die Schnittstellen zu den anschliessenden Gewerken eine sorgfältige Planung, schliesslich will man nicht für die Fehler anderer haften. Kein Wunder also, übernehmen viele Holzbauer das Baumanagement zunehmend selbst. «Der Planungsaufwand explodiert und frisst immer mehr vom Budget des Handwerks», meint Walter Schär kritisch. «Und bei den Handwerkern ist der Kostendruck total. Das wollen wir ändern.» Sein Sohn Michael präzisiert, worum es bei der Werkgruppe geht: «Wir versuchen nicht, den Preis durch tiefe Margen zu drücken, sondern früh herauszufinden, was die Bauherrschaft will und was sie ausgeben kann. Dafür entwickeln wir ein massgeschneidertes Produkt.»
In der Anfangsphase spielt der involvierte Architekt eine zentrale Rolle. Häufig war es Marcel Blum. Er versuche, das Räumliche zu gliedern und die Bauherrschaft mit auf den Weg zu nehmen. Schon nach den ersten Skizzen kommen die Unternehmer an Bord, kalkulieren ihren Aufwand und versehen ihn mit einem Preisschild. So erreicht die Werkgruppe viel früher als ein konventionelles Planungsteam eine hohe Kostenverbindlichkeit. Josef Sager, Leiter Projektentwicklung bei Schaerholzbau und Mitglied des Verwaltungsrats: «In der Regel können wir auf dem Stand der Baugesuchspläne einen Werkvertrag mit einem garantierten Fixpreis abschliessen.» Für Werner Frey, Elektroplaner und -unternehmer, eine faire Sache: «Wenn ich das Budget von Anfang an kenne, schaue ich genauer, was es wirklich braucht und wo man sparen kann. Dann stelle ich auch keinen Nachtrag, wenn sich mal ein Fehler einschleicht.» Kurz: Die Werkgruppe überspringt die gesamte Submissionsphase und verringert damit ihren Planungsaufwand enorm. Damit das klappt, ist aber ein enger Austausch zwischen den Beteiligten erforderlich – und Vertrauen in ihre Zahlen.

Analoges BIM

Die Planungsprozesse verschlanken, die Schnittstellen optimieren und das Gesparte in das Gebaute investieren – ist das nicht das Versprechen der Digitalisierung und von Arbeitsinstrumenten wie ‹Building Information Modeling›, kurz BIM? Sonja Geier vom Kompetenzzentrum Typologie und Planung der Hochschule Luzern hat im Rahmen des Projekts ‹leanWOOD› Planungsprozesse im vorgefertigten Holzbau untersucht. «BIM ist eine grosse Chance für den Holzbau», sagt sie, «gerade weil die Branche längst parametrisiert plant.» Doch entgegen der Vorstellung, mit BIM werde alles automatisiert, zeigen ihre Untersuchungen, wie essenziell der direkte Austausch bleibt. «Das gilt besonders für den industrialisierten Holzbau, wo viele Unternehmer spezifische, auf ihre Produktion zugeschnittene Details entwickeln.» ‹leanWOOD› schlägt darum vor, die scharfe Trennung zwischen Planung und Ausführung aufzuheben. So könnten Unternehmer ihr Know-how früh einbringen und unnötige Leerläufe vermeiden. Da gängige Kooperationsmodelle das nur bedingt erlauben, glaubt Geier, dass mit der Verbreitung von BIM auch kollaborative Modelle wie Werkgruppen zunehmen werden.
In Altbüron sieht man das gleich, bloss in entgegengesetzter Richtung. Für Michael Schär steht fest: «BIM kann diverse Prozesse verschlanken. Schon ein gemeinsames Modell steigert die Effizienz enorm.» Das setze aber voraus, dass es sinnvolle Prozesse seien, die man digitalisiere. Ein schlechter Prozess verbessere sich auch durch Digitalisierung nicht. Walter Schär hält es deshalb für zweitrangig, ob die Zusammenarbeit in der Cloud oder am Tisch stattfindet. Er ist überzeugt, dass die Werkgruppe dank enger Vernetzung mindestens so effizient arbeitet wie ein digital kooperierendes Team. «Wenn es um den Prozess geht, haben wir BIM schon lange. Unser BIM ist einfach analog, ohne Verträge und riesigen Verwaltungsaufwand.»

Gemeinsames Gestalten und Beziehungsarbeit

Sicher, die Arbeit mit dem analogen BIM erschafft, verglichen mit konventionellen Kooperationsmodellen, keine Papiermonster. Sie verlangt aber umso mehr konstruktive Zusammenarbeit und zwischenmenschliches Fingerspitzengefühl. Radikal umdenken müssen vor allem die Architekten, denn Autorenarchitektur ist hier nicht gefragt. Werkgruppen-Architekt Marcel Blum versteht das Gestalten als gemeinsamen Prozess, in dem er die Rolle des Moderators übernimmt: «Die meisten Kunden kommen mit Heftchen und Ideen, wissen aber eigentlich gar nicht, was ihnen gefällt. Ich finde das heraus und schaue, wie die Dinge zusammengehen.» Oft bespricht Blum bereits grobe Entwürfe mit den Unternehmern, und die Sache wird schnell konkret. Das sei nicht nur bereichernd. Der Architekt ist auch überzeugt, in der Gemeinschaft bessere Resultate zu erzielen.
Die Freude am kooperativen Planen und Bauen sei für die gute Zusammenarbeit in der Werkgruppe eine Voraussetzung, betont Josef Sager. Als Gesamtleiter muss Schaer-holz-bau sicherstellen, dass alle am gleichen Strick ziehen. Das sei aber auch mit den anderen Partnern nicht immer einfach, zumal man sich unter Umständen in deren Firmenkultur einmische. «Wir müssen unsere Partnerschaften klug auswählen und bestehende stets hinterfragen: Passt es noch? Eigentlich ist es wie Beziehungsarbeit. Dazu gehört schliesslich auch, sich in letzter Konsequenz von einem Partner zu trennen.»
Will man an die Metapher der Seilschaft anknüpfen, wird der Weg zum Gipfel hier zur Gratwanderung. Wer legt den Wertekatalog der Gruppe fest, und welchen Stellenwert hat darin die Architektur? Gut möglich, dass woanders eine Firma am Hebel sitzt, die lieber nur in die eigene Tasche wirtschaftet, als in Baukultur zu investieren. Was, wenn die ökonomische Abhängigkeit zur Gruppe deren Mitglieder zwingt, das unwidersprochen hinzunehmen? Was, wenn man gar nicht erst zur Gruppe gehört?

Eine Frage der Kultur

Solche Fälle hat die Forscherin Sonja Geier bei ihren Recherchen angetroffen. «In Nordeuropa und im angelsächsischen Raum dominieren grosse GU mit rein ökonomischen Interessen den Markt», sagt sie. «Darunter leidet die Architektur. Auch in Mitteleuropa gibt es das, aber hier haben die Architekten vergleichsweise viel Einfluss. » Das zeigt: Ob der gesparte Franken in gute Architektur investiert wird oder nicht, hängt auch bei kollaborativen Modellen entscheidend von den Akteuren ab. Verantwortung zu übernehmen und Qualität einzufordern, sollten gerade die Architekten als Pflicht und als Chance sehen.
Bei Schaerholzbau ist die Werkgruppe Kulturgut und Akquiseinstrument. Bei Gesamtleistungswettbewerben lässt sich der Holzbau früh ins Spiel bringen, um Aufträge zu sichern, an die man sonst kaum käme. Welchen Anteil am Umsatz die Werkgruppe dabei erwirtschaftet, will Walter Schär nicht genau beziffern: «Wir haben nie eine Spartenrechnung gemacht. Die Richtgrösse war für uns stets die Deckung der Löhne und der Fixkosten.» Klar sei aber: «Wir leben besser, wenn wir Gesamtleistungsaufträge erbringen. Aber konkurrenzfähig sein wollen wir als Holzbauunternehmer auch unabhängig davon.»

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