Die gewohnten Spazierwege der Quartierbewohnenden führen nicht mehr zwischen den Autos hindurch.

Wie weiter mit der Jarrestadt?

Die Architekturstudierenden der Berner Fachhochschule besuchten die Hamburger Jarrestadt und diskutierten die Zukunft der denkmalgeschützten Siedlung. Amanda Grünig berichtet in ihrem Campus-Beitrag.

Während sieben Tagen erkundeten wir Hamburg zu Fuss und auf dem Fahrrad. In der denkmalgeschützten Siedlung Jarrestadt, einer ursprünglichen Arbeitersiedlung, diskutierten wir ihre Zukunft mit Fachleuten aus der Verwaltung und Bewohnenden. Das städtebauliche Konzept wurde ursprünglich vom Hamburger Baudirektor und Stadtplaner Fritz Schuhmacher entworfen. Die Siedlung ist geprägt durch die grossdimensionierten Blockrandbebauungen und die lebendigen grünen Höfe. Die umlaufenden, baumgesäumten Strassenzüge bringen - gemäss der Maxime der Moderne - Licht, Luft und Sonne in die Gebäude mit der hohen sozialen Dichte. Der zentrale Grünstreifen mit dem Karl-Schneider-Hof und dem Semperplatz ist das Wiedererkennungsmerkmal der Jarrestadt.


Die Rahmung des Freiraumes in der Hölderlinsallee durch parkende Autos stellt nicht nur ein optisch störendes, sondern auch ein sicherheitsrelevantes Problem dar.

Das städtebauliche Konzept Schuhmachers leidet heute unter dem gewachsenen Wohlstand der Bevölkerung. Die Vielzahl der parkenden Autos verunmöglichen die Nutzung der Freiräume und erschweren die Bewegungsfreiheit. Dadurch wird die ursprüngliche Qualität der Siedlung massgeblich geschmälert. Auch nimmt man aufgrund des ruhenden Verkehrs die intendierten Proportionen der Vorgärten, Gehwege und Baumalleen nicht mehr wahr. Die charakteristischen Backsteinfassaden werden vom glänzenden und gleichzeitig tristen Blechmeer in ihrer Stärke und Natürlichkeit geschwächt. Diese frustrierende Erkenntnis führte uns dazu, über das Bedürfnis ein Auto zu besitzen nachzudenken. Gibt es Alternativen, damit umzugehen?
Eine Möglichkeit ist die Auslagerung der Autos in naheliegende Einstellhallen, was allerdings, wie das Wort Auslagerung bereits verrät, nur eine Verschiebung des Problems wäre. Somit entwickelten wir eine Lösung, wie auf dem Semperplatz eine kompakte Parkierlösung angeboten werden könnte, mit dem Ziel, andere Freiräume wieder autofrei zu machen. Die Umnutzung einer grünen, wenig genutzten Wiese zu einem Parkplatz scheint auf den ersten Blick wenig nachvollziehbar. Doch in Tatsache ist die Notwendigkeit von Parkplätzen die logische Konsequenz, wenn man ein Auto besitzt. Auf den zweiten Blick ist zu erkennen, dass durch diese Umnutzung eine Vielzahl an Sozial- und Nutzräumen zurückgewonnen werden könnte.


Der Semperparkplatz bündelt die Fahrzeuge an einem zentralen Ort.

Die gewohnten Spazierwege der Quartierbewohnenden führen nicht mehr zwischen den Autos hindurch.

In der Summerschool in Hamburg haben wir erlebt, welche Fragestellungen sich ergeben, wenn Bau- und Nutzungskultur sich widersprechen. Die daraus resultierenden Störungen bieten den Anstoss, über die Baukultur und die Lebensqualität nachzudenken und zu diskutieren. Durch die Konfrontation mit den Konsequenzen unseres materiellen Wohlstands wird die Auseinandersetzung mit den daraus folgenden Problematiken eingeleitet. Die Steigerung des Bewusstseins gegenüber den Auswirkungen unserer Lebensweise ist die aktuell wichtigste und notwendigste Transformation. Als angehende Architektin habe ich die wertvolle Möglichkeit, Beziehungen zwischen Gesellschaft, Raum und Umwelt zu formen und zu stärken.


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