Weil die moderne Architektur gewissen Vogelarten das Brüten erschwert, schlägt «Obru» Nisthilfen an Betonbrücken vor. Rendering: Louis Gervais

Moderne Nistplätze für gefährdete Vögel

Eine Nisthilfe nutzt Betonbrücken als Unterschlupf und trägt so zur Biodiversität bei. Gleichzeitig macht «Obru» Storytelling. Wie das geht, erzählt die Industrial Design Diplomandin Agnes Eklund* im Interview.

«Mauersegler können bis zu 10 Monate lang fliegen, ohne zu landen», dieser Satz steht auf einem gelben Poster, das du als Zusatzmaterial zu deinen Nisthilfen entworfen hast.
Agnes Eklund: Genau, denn mit Obru wollte ich auch über das Thema Artenförderung informieren. Ich habe für vier Arten von potenziell gefährdeten Vogelarten Nistkästen konzipiert. Alle Kästen haben die gleiche Formsprache und dasselbe Design, aber sie sind unterschiedlich gross, haben verschiedenen Öffnungen etc., da jeder Vogel etwas anderes braucht. Der Boden der Nistkästen sowie das Poster ist je nach Vogelart mit einer anderen Farbe versehen. Wenn man als Fussgänger unten an den Kästen vorbeiläuft, sieht man die farbigen Elemente an der Brücke hängen, das gleichfarbige Plakat mit den Informationen zum Vogel befindet sich am Brückenpfeiler.

Man soll als Fussgänger die Farben wahrnehmen und sich fragen, was das ist?
Das Ziel mit der Gestaltung und Formsprache des physischen Objekts ist, etwas zu erzählen. Bei «Obru» möchte das Storytelling mittels Farben und Formen aufzeigen, was jede Vogelart braucht. Mir ist aufgefallen, dass man über die gefährdeten Nistplätze nicht viel weiss. Deshalb war es mir ein grosses Anliegen, dass die Nisthilfen einerseits in die Formwelt der Brücke passen und gleichzeitig als bewusstes Element von der Umwelt wahrgenommen werden. Denn dann sieht man sich das Plakat genauer an, benützt vielleicht den QR-Code und lernt, dass der Mauersegler solche Brutstätten bevorzugt und dass er in diesem Gebiet angesiedelt ist.

Plakate sollen über gefährdete Vögel und ihre Gewohnheiten aufklären. Rendering: Louis Gervais

Wieso sind moderne Bautechniken oft ein Problem für das Nistverhalten der Vögel?
Die Vögel, die ich ausgewählt habe, gehören zu den Gebäudebrütern. Das sind der Mauersegler, der Turmfalke, der Alpensegler und die Dohle. Sie brüteten ursprünglich in Felsen und Höhlen. Mit der Entstehung von Städten und Bauernhöfen hat sich ihr Siedlungsgebiet verschoben. Sie gehen seit Jahrhunderten in Dachvorsprünge oder Spalten von Häusern. Bei Flachdächern und Häusern ohne Estriche finden sie keinen Platz, oft werden sie auch verscheucht.

Weshalb genau Betonbrücken?
Wir haben in der Schweiz etwa 50‘000 Brücken, das ist im Vergleich sehr viel. Und es ist eine ungenutzte Struktur, die Vögel gut annehmen. Zudem stört der Kot der Vögel an einer Brücke weniger als an Häuserfassaden.

Jede Vogelart stellt eigene Anforderungen an eine Nisthilfe.

All das Wissen über die Tiere und dessen Brutverhalten hast du dir selbst angeeignet?
Vieles habe ich recherchiert, Nisthilfen gibt es ja bereits. Zudem habe ich mit der Naturschutzorganisation Naturnetz zusammengearbeitet. Marco Sacchi ist Biologe bei Naturnetz, er gab mir die Idee zum Thema und hat mich unterstützt.

Wie du erwähnst, gibt es Nisthilfen bereits. Was macht «Obru» anders?
Die Formgebung der Kästen ist neu. Die meisten Nisthilfen sind aus Holz und gehen viel schneller kaputt. «Obru» hält 30 Jahre lang, der gleiche Zeitraum, in dem die Brücken gewartet werden. Zudem nutze ich Schalungslöcher der Brücken, um sie aufzuhängen. Die sind bei jeder Brücke schon vorhanden und stören die Konstruktion nicht. Oft ist auch die Wartung ein Problem, denn die Kästen müssen jedes Jahr geleert werden. Deshalb kann man sie von Hand oder mit einem Teleskopstab ganz leicht kippen. Durch ihr Gewicht fallen sie automatisch in ihre Form zurück.

«Obru» besteht aus einer robusten Materialkomposition, die länger hält als Holz.

Was waren die grössten Stolpersteine bei der Ausführung?
Es ist schwer, mit verschiedenen Parteien zu arbeiten. Dozenten, Naturschutzorganisation, Bauingenieure, Bundesamt für Strassen – alle hatten ihre Haltung und Erwartungen zum Projekt. Doch ich konnte nicht allen gerecht werden. Als Studentin braucht es schon Mut, für die eigene Meinung einzustehen.

 

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