Der Kanton Schaffhausen will das neue Polizei- und Justizzentrum ohne Architekturwettbewerb erstellen. Fotos: Vorlage der des Regierungsrats

Baukultur, Wertschöpfung und Architekturwettbewerb

Architekturprofessor Stefan Kurath schimpft, dass der Kanton Schaffhausen statt eines Wettbewerbs für das 100 Millionen schwere Polizei- und Sicherheitszentrum nur ein Planerwahlverfahren durchführen will.

Am 29. August lud die Industrie- und Wirtschafts-Vereinigung Schaffhausen zur 13. IVS-Schiffahrt auf dem Rhein. Das Thema: Der Schaffhauser Immobilienmarkt – wichtiger Standortfaktor im Wandel der Zeit. Geladen war als Referent auch Stefan Kurath, Co-Leiter des ZHAW Institut Urban Landscape IUL und Co-Autor unseres Buches «Das Schaffhauser Haus. Wertschöpfung und Baukultur im Werkraum Schaffhausen». Sein Referat «Architektur und Wertschöpfung - Das Schaffhauser Immobilienwesen als wichtiger Standortfaktor für Gewerbe und Tourismus» sorgte für einige rote Köpfe und viel Zustimmung. Kurath prangerte darin an, dass der Kanton statt eines Wettbewerbs für das knapp 100 Millionen schwere Polizei- und Sicherheitszentrums nur ein Planerwahlverfahren durchführen will. Lesen Sie seine Rede hier:

Bevor ich über die Bedeutung von Architektur und Wertschöpfung sprechen kann, müssen ein paar unbequeme Fragen über die Zukunft Schaffhausens gestellt werden.

Welche Bedeutung hat der Kanton Schaffhausen jetzt und in Zukunft innerhalb der Schweiz? Sind grosse Teile des Kantons ohne jegliche wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung wie Studien von Avenir Suisse oder ETH Studio Basel suggerierten? Ist der Kanton Schaffhausen am äussersten Rand der Metropolitanregion Zürich bereits ein potentialarmer Raum?

Nein – natürlich nicht.

Wer sich Werbekampagnen von Schweiz Tourismus oder global tätigen Unternehmen anschaut, sieht, welche Bedeutung Regionen wie Schaffhausen für die Schweiz haben. Bilder einer noch halbwegs unverbauten Schweiz werden dazu verwendet, um die Schweiz als Produktionsstandort oder um die vergleichsweise hohe Lebensqualität anzupreisen. Der ländliche Kulturraum ist faktisch eng mit dem städtischen Kulturraum verbunden. Schaffhausen also mit dem Metropolitanraum Zürich. Sozial und ökonomisch ist es naheliegend von komplementären und sich gleichzeitig bedingenden Räumen zu sprechen.

Wer genau hinschaut, findet in Schaffhausen Aussergewöhnliches, das es zu stärken lohnt. Sei es die Region als lokaler Wirtschafts- und Lebensraum für die Bevölkerung Schaffhausens, als Kompensationsraum für gestresste Metropolitanräumler, oder als Wein-, Rhein- und Randenlandschaft das heisst Tourismuslandschaft mit internationaler Ausstrahlung.

Für die Zukunft heisst das, dass Schaffhausen im Bezug auf die Schweiz weiterhin als eigenständiger Kulturraum verstanden werden muss. Denn daraus kann „Neues“ entstehen und sich ein zukunftsfähiger Lebens- und Kulturraum bestätigen, der die Gesamtschweiz langfristig ganzheitlich stärkt.

Aber aufgepasst. Im Gegensatz zu den Städten und Agglomerationsräumen der Wirtschaftsmetropolen bieten sich hier im Kanton nicht wahnsinnig viele Chancen. Falsche Entscheide wirken sich hier wirtschaftlich, gesellschaftlich, ökologisch gravierender aus. 100 Millionen mehr oder weniger Wertschöpfung wirken sich direkt auf Arbeits- Ausbildungsplätze, Steuersubstrat aus - dies mit wenig Aussicht auf sofortige Kompensationsmöglichkeiten. Es müssen also Überlegungen in den Mittelpunkt rücken, wie die quantitative und qualitative Wertschöpfung gestärkt werden kann.

Was heisst das für das Thema der Bauens, der Immobilien? Die Antwort ist einfach: in Schaffhausen zählt jedes Bauwerk!

Im Moment wird in Schaffhausen wie überall in der Schweiz und Europa gebaut. Wie überall steht das Interesse nach möglichst viel Raum für möglichst wenig Geld im Vordergrund. Wie überall entsteht grossmehrheitlich die immer gleiche, gesichtslose Massenware. Auch hier Fragen über Fragen. Welche Wirkung haben aber solche von Einzelinteressen geprägte, egoistisch gedachte Bauten auf die Kulturlandschaft und damit auf den Tourismus? Welche Konsequenzen hat der zunehmende Flächenanspruch pro Person für die Landressourcen des Kantons? Wie wirken sich zunehmende Dumpingpreise im Preiskampf auf die Qualität und Nachhaltigkeit des Bauens? und wie auf das Ansehen des Gewerbes? Wie wirken sich die billigen aber weltweit herbeigekarrten Materialien auf die lokalen Produktionsstätten aus? Wie wirken sich die Plastikfenster und Kunststoffdämmungen auf die Umwelt und Gesundheit aus?

Kommen wir zum eigentlichen Thema: Architektur und Wertschöpfung. Nehmen wir doch ein aktuelles, konkretes Beispiel:

In Schaffhausen soll für 100 Millionen Franken ein Polizei- und Sicherheitszentrums gebaut werden. Wenn jedes Bauwerk zählt, müsste das bedeuten, dass man versucht, einen möglichst hohen Anteil dieser 100 Millionen in bestehenden Wertschöpfungsketten der Region zu behalten. Es müsste gar bedeuten, dass man versucht, die Wertschöpfungskette im Kanton so lange zu verlängern, bis das Maximum der 100 Millionen in der Region bleibt. Dies müsste in der Langfristperspektive wohl bedeuten, dass man die beste und nachhaltigste Lösung für den Bau finden möchte. Dies müsste bedeuten, dass man in die Baukultur investiert, damit die Schönheit des Kantons – das grösste Kapital – nicht zerstört wird.

Der aktuelle Stand des Verfahrens will es anders.

- Kein Architekturwettbewerb: Die erstbeste und nicht die beste Lösung soll gebaut werden.

- Keine Innovations- und Wertschöpfungsföderung: Allerweltsmaterialien werden verbaut. Es werden keine lokal vorhandenen Baumaterialien gefördert, wie beispielsweise Laubholz zur Stärkung der lokalen Forst- und Holzwirtschaft. Es werden nicht neue Baumaterialien wie Lehm und Recyclingbeton verwendet, mit dem Ziel neue Wertschöpfungsketten für die Baumeister zu schaffen.

- Kein Klimaschutz: also kein Beitrag zur Dekarbonisierung des Bauens durch Vorgaben zur Verwendung lokaler, erneuerbarer Materialien.

Dem Verfahren fehlt Weitblick und Ausstrahlungskraft. Ein solches Projekt stellt sich langfristig gegen den Wirtschafts- und Kulturraum des Kantons. Die gute Nachricht: Noch kann man es ändern. Denn die Frage bleibt: Wie viele solcher Chancen zur Steigerung der Wertschöpfung durch Architektur wird es in Schaffhausen in den nächsten Jahren noch geben?

In Schaffhausen zählt jedes Bauwerk!

Es zählt nicht nur das Polizei- und Justizzentrum. Egal ob ein Bauwerk in einem Gewerbegebiet steht. Egal ob es ein blosser Funktionalbau ist. Egal ob ein Einfamilien- oder Mehrfamilienhaus. Egal ob öffentlicher oder privater Bau. Schaffhausen ist auf jegliche Form der Wertschöpfung durch und mit Architektur angewiesen. Gut gedachte Architektur leistet einen zentralen Beitrag zur zukunftsfähigen und eigenständigen Entwicklung des Kantons. Architektur ist hier nicht bloss schön, sondern wirkt sich prosperierend auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft aus – Denn gut gedachte Architektur ist immer auch: Talentförderung, Innovationsförderung, Unternehmensförderung, Wirtschaftsförderung, Tourismusförderung, hervorgebracht durch eine enge Zusammenarbeit aus Bauherrschaft, Architekten und Architektinnnen, Fachplanenden, Gewerbetreibenden, Unternehmern, Behörden – und der Summe intellektueller und handwerklicher Leistungen.

Rahmenbedingungen zur Steigerung der lokalen Wertschöpfung durch Baukultur haben wir am Institut Urban Landscape, Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der ZHAW zusammen mit dem Naturpark Schaffhausen und dem Gewerbeverband Schaffhausen formuliert und publiziert. Dazu ist Anfang des Jahres der Werkraum Schaffhausen gegründet worden. Dieser setzt sich für eine nachhaltige Baukultur und Wertschöpfung durch diese ein.

Alles andere kann sich die Region Schaffhausen nicht leisten. Werden sie Teil dieser Zukunft.

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Kommentare

Peter Göldi 04.09.2018 14:55
Es ist erstaunlich, dass das Verantwortungsgefühl der öffentlichen Hand für Baukultur, kluge Gestaltung oder auch ganz einfach im Umgang mit öffentlichen Geldern in Schaffhausen offenbar bei Industrie- und Gewerbegebieten aufhört!
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