Lesen und Geselligkeit

Bruno Deckert ist gestorben. Der Gründer des Sphères und Erfinder des Kosmos in Zürich war ein Urbanist, Brückenbauer und Hochparterre-Autor und -Freund. Ein Nachruf von Köbi Gantenbein.

Bruno Deckert ist gestorben. Der Gründer des Sphères und Erfinder des Kosmos in Zürich war ein Urbanist, Brückenbauer und Hochparterre-Autor und -Freund. Ein Nachruf von Köbi Gantenbein.

Kosmos, das Kulturhaus an der Lagerstrasse in Zürichs Kreis 4, war sein letztes und grösstes Projekt. Seit den späten Neuzigerjahren hat Bruno Deckert mit Freundinnen und Freunden das Sphères im Haus «Zürichparis» beim Escher-Wyss-Platz aufgebaut und geführt – die Buchhandlung, die auch ein Restaurant war. Es war ein Programm seines Lebens: Lesen, Geselligkeit, Diskutieren. Gesellig war er von Herzen und gelesen hat er enorm viel, viel auch über die Soziologie der Stadt und aus der Lektüre und seiner Freude am Diskurs entfaltete er die Idee, das kleine Sphères in höhere Sphären zu heben.

Im engen Freundeskreis knobelte er die Idee aus, fliessende Räume für das Buch, das Lesen, den Diskurs, das Essen, Trinken und die Gemütlichkeit zu schaffen – Geld und Geist im schnittigschicken Zürichformat. Und er fand über den Immobilienmann Steff Fischer den Faden zu den SBB, die interessiert waren, ihren Grosstanker Europaallee mit etwas Diversität zu verzieren. Sie boten Deckert und den Seinen den grosszügig weiten Auslauf, den Bruno mit seiner ernsthaften Art geschickt ausgehandelt hat. Und da der Film massgebendes Medium der Kultur ist, kam bald der Filmemacher Samir zur Runde und prägte den Aufbau des Kosmos leidenschaftlich mit. Mit Ungestüm und Hoffnung entstand das Kulturhaus – Bruno Deckert hielt die Fäden zusammen, war substanzieller Aktionär und als Doktor der Ökonomie der Wirtschaftsuniversität St. Gallen auch ein gut gebildeter Mann der Zahlen.

Nach Innen und Aussen konnte er ruhig und gelassen erklären, warum ein Betrieb, den ein normaler Betriebswirtschafter als hoffnungslos von Anfang an sah, gut profitabel werde. Er setzte neben seinem virtuosen Wissen um Business-Pläne und so weiter als Unternehmer bedingungslos auf Fantasie, Engagement und soziale Einbettung in die Stadt und ihre Netze – und in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und er hatte recht, denn es gibt kaum ein Vorhaben, das derart viel und auch gute materielle Unterstützung der unterschiedlichen Stadtszenen erhielt und von Anfang an eine seltsame Strahlkraft hatte – beides hatte viel mit Bruno Deckerts Begabung, Erfahrung und Eigenart zu tun – Brücken bauen zu Vielen, mit Fantasie Wege pfaden und gelassen Risiken wagen. Wenn die Buchhalter an seinem Verstand zweifelten, zauberte er mit seiner leisen Stimme Zuversicht. Denn mit all dem verbunden war seine liebenswerte, auch verträumte Art: «Aes chund wies mues – guet.» Gescheitert ist das Kulturhaus Kosmos schliesslich nicht am unrealistischen Geschäftsmodell oder an mangelndem wirtschaftlichem Können von Bruno Deckert, Martin Roth und anderen Pionieren. Gescheitert ist sein Werk an einer Verstrickung und Verkettung von zwischenmenschlichen und politischen Konflikten – eine Tragödie für Bruno Deckert, der sich wie kaum einer als Fädenspinner, Brückenbauer und Gutzuredner sah.

Ich kannte Bruno Deckert vom Sphères her, auch hatte er einen biografischen Faden ins Prättigau, woher ich komme – wir kannten dieselben Wiesen und Steine; eine intensive Zeit erlebten wir aber nach der Eröffnung des Kosmos. An dessen Barkante frug er mich, ob ich nicht Lust hätte, in der Edition Hochparterre sein werdendes Buch zum Kosmos (Die Entdeckung des Kosmos) zu verlegen. Er habe während des Aufbaus der Firma auch dessen Geschichte geschrieben und als seine zweite Dissertation an der Hochschule St. Gallen eingereicht. Schien mir das Anliegen für Hochparterre beim ersten Bier etwas exotisch, begriff ich beim zweiten Bier die Ambition von Bruno Deckert. Er verstand das Kulturhaus als stadtbildnerisches, städtebauliches Vorhaben. Und so stieg ich ein nicht nur als Verleger, sondern auch als Lektor in Bruno Deckerts weiten Kosmos von Philosophie, Unternehmenstheorie und Ideologiebildung.

Freilich konnte ich zu seinem immensen Gedankengebäude wenig beitragen und wunderte mich über seine virtuosen Verknüpfungen von Traumtänzerei und Städtebau. In geselligen Runden riet ich ihm, der Ereignisgeschichte, der Reportage und dem Kommentar über das Werden und die Krisen der Firma Kosmos guten Raum zu geben. Und er – ein ausserordentlich begabter Schreiber – lieferte packende und detailreiche «Postscripta» zu den Ideen, den Konflikten und den kühnen Reparaturen an einem schnell fahrenden Zug. Anschaulich und auch – gut nachvollziehbar – parteiisch; melancholisch hat er das Scheitern zumindest seines Kosmos vorausgesehen. Als das Kulturhaus schliesslich im Herbst 2022 mit Karacho unterging, war Bruno Deckert als Gründer, Pater familiae und Aktionär schon länger nicht mehr dabei. Wir spazierten gerne der Limmat nach, dachten über ein weiteres «Postscriptum» nach, liessen es dann bleiben, wir haben dafür neue Vorhaben entworfen, aus denen nun nichts mehr werden kann.

Mein Kamerad Bruno ist mit 74 Jahren an Krebs gestorben — ich kondoliere herzlich seiner Frau Monika Michel und seinem Bub David, der ihm Stern und Sonne war; wenn es in seinen Sphären blitzte, donnerte und unwetterte, freute er sich darauf, mit Monika und David auf Wanderschaft zu gehen.

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