«Das 35. Quartier»: So nannte Martin Hofer seine Vision für ein Neu-Niederdorf auf dem Kasernenareal. Fotos: © Wüest & Partner

Haut die Kaserne kurz und klein

Am Städtebaustammtisch wurde gestern um die Zukunft der Kaserne in Zürich gerungen. Die einen wollen einen Park, die anderen eine kleinteilige Stadtstruktur. Fast alle waren sich einig: Der Hauptbau muss weg und kein grosser Wurf hin.

Um die Zukunft der Kaserne in Zürich wird schon seit Jahrzehnten gestritten. Dutzende Visionen liegen auf dem Tisch und in den Schubladen der Planer, das Stimmvolk hat sich mehrfach an der Urne dazu geäussert. Man hätte also meinen können, an der Podiumsdiskussion von Hochparterre und dem Architekturforum Zürich werde scharf geschossen und hart um jeden Millimeter Sandstein gerungen. Doch weit gefehlt. Grundsätzlich waren sich fast alle Teilnehmer einig. «Hauptsache, was heute steht, steht morgen nicht mehr», sagte Filmemacher Sean Wirz, der in seinem Film die Visionen um die Kaserne auf die alten Mauern projizierte. Auch Landschaftsarchitekt Stefan Rotzler will das «grässliche Hauptgebäude dem Erdboden gleich machen». Für Architekt Martin Hofer von Wüest & Partner ist der Bau «architektonisch nicht wertvoll». Zudem liesse es sich schlecht umnutzen. Einzig für Thomas Stahel vom Stadtlabor hat das Gebäude Qualitäten. Damit war er nicht alleine, denn aus dem Publikum tönte es anders als auf dem Podium. Die Gebäude würden ein «wichtiges Stadtensemble» bilden und seien ein «wertvolles Zitat der Geschichte», war zu hören. Alle Bauten auf dem Areal stehen schliesslich unter Denkmalschutz. «Die Kaserne ist ein Symbol für den jungen Staat», meinte Thomas Kessler, Leiter der Kantons- und Stadtentwicklung von Basel. In der Rheinstadt transformiere man das Kasernenareal darum mit dem historischen Gebäude.

Die Kaserne kommt weg, wünschen sich die einen. Was aber stattdessen hin? Rotzler hält an seiner alten Idee fest: Er will aus dem Areal einen Stadtpark machen. «Jede Stadt hat ihren Park», sagte er. In Zürich aber gäbe es nur den Friedhof Sihlfeld als grosse grüne Lunge. Kessler widersprach: «Zürich braucht keinen Park, die Stadt ist bereits grün.» Für Hofer ist das Land zu wertvoll, «um dort Wiese anzusähen». Er machte stattdessen einen provokanten Vorschlag: Das grosse Areal soll klein aufgestückeln und mit einer Baustruktur à la Altstadt überbaut werden. So will Hofer eine hohe Dichte erreichen und dennoch im menschlichen Massstab bleiben. Insgesamt soll ein Neu-Niederdorf mit rund 3000 Bewohnern entstehen. Dabei will er nicht die Architektur des Stadtkerns übernehmen, sondern die Kleinteiligkeit und Nutzungsvielfalt. «Und wie soll das umgesetzt werden?», fragte Moderatorin Rahel Marti. «Ganz einfach», meinte Hofer. Der Kanton schenke der Stadt das Land. Diese teile es in kleine Parzellen auf und gebe es Genossenschaften im Baurecht ab.

Hofers Vorschlag war von der Stossrichtung her nicht allzu weit entfernt, von dem, was sich Thomas Stahel wünscht, nämlich eine möglichst quartiernahe, durchmischte Nutzung. Der Kreis 4 komme immer mehr unter Druck, nicht zuletzt wegen der Europaallee. Er will darum einen Gegenpol dazu schaffen. «Kein grosser Wurf, kein Museum, kein Quartierzentrum», so Stahel. Stattdessen soll sich auf dem Areal das Gewerbe einnisten und auf der Wiese ein «kunterbuntes Durcheinander» vom Gemeinschaftsgarten bis zur Kletterwand entstehen. Hauptsache: Das Areal wird dynamisch bespielt, im Unterschied zu einer Zwischennutzung aber nicht auf Zeit, sondern permanent. Stefan Rotzler sprach von einer grossartigen Idee, aber auch von Naivität. Kessler wiederum warf den Quartiervertretern eine konservative Haltung vor. «Wir müssen für die Zukunft investieren.» Er will darum vor allem Bildung auf dem Areal ansiedeln.

Doch was ist mit den grossen Visionen? Ist das Areal kein Ort für einen architektonischen Wurf? Martin Hofer warnte davor, die Einmaligkeit der Lage zu hoch zu werten. «Es braucht keine besondere Nutzung.» Auch Kessler will «kein Wunder hinbauen». Die Kunst sei nicht, nochmals neue Ideen zu entwickeln, sondern endlich die alten umzusetzen. Auch hier tönte es aus dem Publikum anders. Wo bleibt die architektonische Vision, fragten sich manche. Ein Architekt, der für einen wuchtigen Leuchtturm eingestanden wäre, fehlte auf dem Podium. Ebenfalls nicht vertreten waren Stadt und Kanton. Beide hatten die Einladung von Hochparterre abgelehnt. Sie wollen erst miteinander reden. Immerhin, ein Anfang ist damit gemacht.

Hochparterre dankt Velux für die freundliche Unterstützung des Städtebaustammtisches.

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Kommentare

Martin Saarinen 15.01.2013 16:27
Um das Spektrum der Möglichkeiten mal abzustecken ist Schwarz-Weiss-malen vielleicht gar nicht so schlecht. Da gäbe es auf der einen Seite den Kahlschlag: Weg mit der Kaserne. Ein Volkspark öffnet sich zur Sihl. Wieso nicht. Auf der anderen Seite: Auffüllen, Martin Hofers Vorschlag. Er sagt „Vision“, im Bild muss „Reproduktion“ genügen. Leer und voll. Beide Extreme sind vielleicht nicht das Ideale. Im Gegensatz zum ersten Ansatz ignoriert letzterer meiner Meinung nach aber die spezifischen Qualitäten der Lage (Genossenschaftssiedlungen müssen nicht derart zentral liegen) sowie des - für Zürcher Verhältnisse - grossmassstäblichen Raumes (mit was Kleinteiligem auffüllen geht überall). Der grosse Massstab ist in Zürich rar. Ich finde den Kontrast zum Niederdorf vielversprechender als dessen Kopie.
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