Für mich war dieses Buch ein Trost. Da geht einer durch Rom und Italien und schwärmt nicht, schreibt der Stadtwanderer.

Der ewige Abstieg

Benedikt Loderer traf lesend einen Zunftgenossen. Der Stadtwanderer Golo Maurer schrieb ein Buch über Rom, wo er als Bayer schon lange lebt. Ein Kaumbestechlicher schildert seinen römischen Alltag.

Degrado, der Abstieg das ist das Stichwort. Alles wird schlechter, nur schon, weil früher alles besser war. Ich las das Buch der Verwahrlosung. Ein seltsam fröhliches Werk. Der Mann, der da schreibt, lebt in Rom und das seit Jahren. Er stammt aus Bayern, ist Kunsthistoriker und Direktor der Bibliotheca Hertziana, ein Mann von klassischer Bildung und gesegnet mit einem scharfen Blick, den er aber milde über die römischen Zustände schweifen lässt. Kurz, ein aufgeklärter Verliebter. Heimat ist dort, wo man eigentlich hingehört, schrieb er einmal. Maurer ist ein deutscher Römer.


Da muss ich einen entscheidenden Unterschied festhalten. Urteilen, Schweizer zum Beispiel, über Italien, so gibt’s zwei Sorten: Da sind die Aussenitaliener, Leute, die ihr Geld von ausserhalb mitbringen und die Innenitaliener, jene, die es innerhalb Italiens verdienen müssen. Solange einer mit gefüllter Geldkatze in Italien herumreist oder in seinem Haus in der Toskana sitzt, hat er gut schwärmen. Trotz aller Misslichkeiten, über die er sich schmunzelnd hinwegsetzt, sitzt die Made im Speck. Muss er aber Arbeit suchen und schlecht bezahlt sich durchschlagen, so wird sein Italienbild rasch schärfer und genauer.

Andersherum, ich traue keinem Schreiber über Italien, der nicht dort lebt und dort sein Geld verdient. Auch wer Bücher schreibt, die in Deutschland verkauft werden oder Bilder malt, die in Zürcher Galerien zu Geld werden, alle Leute, die von den italienischen Zuständen befreit sind, sind nie glaubwürdig. Ich behaupte das aus Erfahrung. Ich war einer, der als Schweizer in Italien und von Italien lebte. Das hat mir die Augen ausgerieben.


Golo Maurer ist bei dieser Betrachtung ein Zwischenmensch. Er arbeitet für das Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, zu dem die Bibliothek Hertziana gehört, ist also eher den Aussenitalienern zuzuzählen. Doch ist er unterdessen so romanisiert, dass er, von aussen gesehen, zu den Innenitalienern gehört. Jedenfalls lebt er schon so lange in Rom, dass ihm jedes Schwärmen vergangen ist, geblieben aber ist, die Klage über den Niedergang.


Die, so führt er aus, beginnt ja schon mit Cato dem Älteren im zweiten Jahrhundert vor, geht über Cicero, Tacitus weiter bis zu den heutigen Römern, die über eben diesen ständigen Degrado lamentieren, die Müllhalde vor dem Haus! Auch Maurer klagt da mit. In den langen Jahren, die er nun in Rom lebt, verschwanden ihm sein Barbiere, seine Trattoria, sein Flickschneider und der Gang zum Flohmarkt an der Porta Portese ist auch nicht mehr das, was er früher war. Statt der Germanenhorden bedroht nun die überwältigende Masse der Touristen die ewige Stadt. Die Klage über das Verschwinden des alten Roms, welchen Alters auch immer, ist des Basso continuo des Buchs – nicht nur des seinen. Klagen die Zürcher oder die Berner auch ständig über den Niedergang ihrer Stadt? Eher nein.


Doch Maurer hat noch anderes zu schreiben. Er erzählt, wie er sich in Rom zurechtgefunden hat. Er schildert farbig und genau, seine verschiedenen Wohnungen, oder wie man Bus oder Metro fährt, er wandert Stadt auf seinem Arbeitsweg und auf Abstechern links und rechts, beschreibt die Quartiere, die er kennt, muss zugeben, dass er einige nie betreten hat, kurz ein Stadtwanderer berichtet über Stadt und Leute, über Politik und Mentalität und über das, was in Italien am wichtigsten ist, die Küche, come si manga. Immer operiert er im Modus des Selbstversuchs, der durch die Gewöhnung gemildert wird. Fand er etwas, was ihm passte, so blieb er dabei. Erst die Routine macht ein angenehmes Leben möglich, in Rom vielleicht besonders.


Mich angesprochen hat, déformation professionelle, was er über la casa schreibt, über das Verhältnis der Römer zu ihrer Behausung. La casa ist keine Wohnung, la casa ist ein Zustand, dem des Urvertrauens des Einzigen und seines Eigentums gegenüber dem Staat. Eine Wohnung ist eine Lebensversicherung. «Wenn der Staat mir keine Sicherheit und keine Perspektive geben kann oder will, so baue ich mir eben mein Haus, das er zwar besteuern, aber mir nicht wegnehmen kann.» Die meisten case sind allerdings «am Stadtrand von Civitavecchia, Taranto oder Potenza», da, wo das Eigenheim zur Falle wird. Dort steht zwar la casa, aber es gibt «keine oder nur schlechte Arbeit, und dennoch bleibt man am besten dort, wo man zwar keine Arbeit, aber zumindest la casa hat.» Das ist einer der Gründe des italienischen Immobilismo, «gekettet an das rettende Eigenheim, ist der Eigentümer zur Unbeweglichkeit verdammt.» Nicht nur über Rom schreibt Maurer, über Italien als Ganzes ebenso.


Für mich war dieses Buch ein Trost. Da geht einer durch Rom und Italien und schwärmt nicht. Wie wohltuend es doch ist, wenn man, von Aussenitalienern umzingelt, die mit leuchtenden Augen, ihre so grossartigen Geschichten über Italien erzählen, einen lesen darf, der Klartext schreibt. Mein Italien hat drei Hauptdarsteller: Il fusto, il furbo, il fumo. Liebe Leserin, geneigter Leser, ich bin ein schlechter Mensch.

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