«Wir müssen lernen, auf Augenhöhe zu diskutieren»

Roger Boltshauser, Monika Jauch-Stolz und Marco Waldhauser reden über den Stellenwert der Technik in Wettbewerben und die Haustechnikplaner als Sparringspartner der Architektin.

Fotos: Gen Atem / Miriam Bossard (auf Basis eines Fotos von Dirk Podbielski)
In Zusammenarbeit mit Waldhauser + Hermann

Roger Boltshauser, Monika Jauch-Stolz und Marco Waldhauser reden über den Stellenwert der Technik in Wettbewerben und die Haustechnikplaner als Sparringspartner der Architektin.

‹Räume atmen› heisst das Themenheft, das Hochparterre in Zusammenarbeit mit Waldhauser + Hermann konzipiert und produziert hat. Anlass war das 50jährige Bestehen der Basler Firma, die Konzepte rund um Heizung, Lüftung, Klima und Kälte plant. Im Heft reden Fachpersonen über die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen, über Werte und die Rolle der Gebäudetechnik – das folgende ist eines dieser Gespräche. Das Heft zeigt ausserdem sechs Beispiele – vom Schulhaus, das fast ohne Technik auskommt, bis zur effizienten Labormaschine. Und es soll ermutigen: zu radikal einfachen Lösungen, zum Mitreden der Gebäudetechniker im Entwurf, und zu einer engen Zusammenarbeit von Ingenieurinnen und Architekten.

Was wünschen Sie sich von Gebäudetechnikern?
Roger Boltshauser: Sie sollen kreativ und unabhängig sein, sich von Anfang an einbringen und auch mal SIA-Normen hinterfragen. Sie sollten Teamplayer sein und bereit, in die Themen der Zeit zu investieren: das Klima oder die Frage, wie man mit möglichst wenig Technik auskommt. Die Zusammenarbeit ist wichtiger geworden, sogar entscheidend. Unsere letzten Wettbewerbserfolge, wie denjenigen für das Zentrum für Zahnmedizin in Zürich, gäbe es ohne sie nicht. Marco Waldhauser und andere Ingenieure waren dort von Anfang an mit uns im Dialog. Es waren zeitweise bis zu 40 Planerinnen mit an Bord.
Monika Jauch-Stolz: Ich kann nicht euphorisch von solch einer gegenseitigen Befruchtung berichten. Vielleicht auch deshalb, weil ich in einer anderen Region daheim bin. Ich wünsche mir mehr Inputs von den Ingenieuren. Wir Architektinnen und Architekten müssen die Initiative ergreifen und mehr Innovation, mehr Dialog und Widerspruch einfordern. Von den Landschaftsarchitekten und Bauingenieurinnen kommen diese Inputs.
Marco Waldhauser: Es wird generell geschätzt, wenn wir bei Wettbewerbsprojekten mitreden und mitgestalten. Wir müssen aber auch feststellen, dass wir da fast die Einzigen sind. Warum ist das so? Warum sind eine Landschaftsarchitektin und ein Bauingenieur bereit mitzugestalten und eine Gebäudetechnikerin nicht? Einer der Gründe liegt in der Geschichte der Disziplin: Haustechnik wurde immer schon ‹reingeflickt›, und der Architekt kannte die Eckpfeiler. Früher funktionierte das gut. Und bei der Planung vieler Gebäudetypen tut es das auch heute noch.

Warum redet ihr Ingenieure also nicht mit?
Marco Waldhauser: Zum einen werden wir zu wenig herausgefordert. Bei der Beurteilung eines Projekts geht es nicht darum, wo die Schächte liegen – es geht um Gesamtheitliches, Interdisziplinäres. Die besten Gebäude sind die, die wir im Team mit der Architektin und dem Bauingenieur auf dem weissen Papier erarbeitet haben. Schon allein deshalb, weil ein Projekt so von drei verschiedenen Seiten angegangen wird. Das Thema Nachhaltigkeit wird mehrfach beleuchtet und es entsteht ein anderes Projekt.

Ein Projekt mit 40 Leuten zu erarbeiten, zeigt auch den absurd grossen Aufwand von heutigen Wettbewerben. Früher reichte eine Idee, heute muss es ein fertiges Projekt sein. Vergrössert es den Aufwand nicht zusätzlich, wenn alle Disziplinen vertreten sind?
Roger Boltshauser: Je nach Aufgabenstellung müssen nicht immer so viele Fachplaner mitreden. Momentan bewegen uns diese Nachhaltigkeitsfragen sehr. Das Thema hat bei uns einen Wandel ausgelöst. Und, ja, auch zu einem grösseren Aufwand geführt, nicht nur bei Wettbewerben, sondern auch weil wir uns generell ins Thema einarbeiten müssen. Wir haben uns viel Wissen erarbeitet, wenden dieses nun an und gewinnen damit grosse Wettbewerbe. Jetzt ist es wieder etwas ruhiger geworden.  
Monika Jauch-Stolz: Als Leiterin der SIA-Wettbewerbskommission bin ich eine vehemente Verfechterin von schlanken Verfahren. Diese müssen aber nicht auf Kosten einzelner Gewerke gehen. Man kann multidisziplinär und schlank arbeiten. Das ist sehr aufgabenspezifisch: Es gibt Verfahren, bei denen Haustechnik wichtiger ist, die aber vielleicht nicht zwingend Landschaftsarchitektur brauchen, da der Perimeter sehr klein ist. Für die meisten Aufgaben benötigt es kein riesiges Team. Die Architektin sollte von Fall zu Fall entscheiden, wer mit im Boot sitzt.
Marco Waldhauser: Schlanke Verfahren finde ich auch wichtig. Die Zusammensetzung des Teams ist eine Frage des Mindsets, insbesondere desjenigen der Architekten. Qualitätvolle Architektur, Dauerhaftigkeit und Behaglichkeit definieren ein zukunftsfähiges Bauwerk. Das ist noch nicht so angekommen. Architektinnen sehen sich immer noch als Generalisten: Erst wenn sie nicht mehr weiterkommen, holen sie jemanden dazu. Dieses Denken ist hoffentlich bald Geschichte.

Verändert sich dieses Denken nicht gerade sehr stark?
Roger Boltshauser: An der ETH schon. Es gibt jetzt interdisziplinäre Diplomstudiengänge, die das Dialogische ins Zentrum stellen. Auch die Klimafragen sind angekommen.
Marco Waldhauser: Es wäre schön, wenn sich die Erwartungshaltung der jungen Architektinnen wandelt. Dann kommt der Wandel auch bei uns an. Einer der Gründe, warum viele Gebäudetechniker nicht besonders innovativ oder kooperativ sind, ist, dass sie es bisher nicht sein mussten. Wir brauchen die Erwartungshaltung. Und: Es braucht eine Ingenieurin aus dem Nachhaltigkeits- und Energie-Bereich in jeder Jury, damit die Wettbewerbsentscheide diese Themen transportieren.
Monika Jauch-Stolz: Die Jury ist wichtig. Sie sollte ausgewogen sein und offen. Aber auch hier: Nicht jeder Ingenieur kann eine Lösung erkennen und die Bauherrschaft von ihr überzeugen. Vielleicht müsste man auch bei der Ausbildung ansetzen, um den 08/15-Haustechniker abzuholen.
Marco Waldhauser: Wir müssen lernen, auf Augenhöhe zu diskutieren. Die Pandemie hat uns diesbezüglich geholfen: An den Zoom-Sitzungen mit 40 Beteiligten hast du, Roger, nicht, wie sonst, den Raum eingenommen. Du warst nämlich genau gleich flach auf dem Bildschirm zu sehen wie der Fachplaner. Dieser traute sich vielleicht auch gerade deswegen, etwas zu sagen.

Trotz Wettbewerbssieg hat die Ingenieurin den Auftrag nicht immer auf sicher. Was heisst das für die Verfahren?
Roger Boltshauser: Gerade junge Architekten haben Probleme, eine Haustechnikerin ins Team zu holen, wenn der Auftrag nicht garantiert ist. Im Verfahren muss man die Teams ernst nehmen. Der SIA sollte die Möglichkeit schaffen, das ganze Team mit der Umsetzung zu betrauen.

Büros für Gebäudetechnik dürfen in mehreren Wettbewerbsteams mitmischen, Landschaftsarchitektinnen oder Tragwerksplaner nicht. Warum?
Monika Jauch-Stolz: Weil gewiefte Haustechniker nicht so zahlreich sind. Und viele Architekturbüros hätten das Nachsehen, gerade die jüngeren. Deshalb wollen wir diesbezüglich nicht so stark einschränken.
Marco Waldhauser: Es lässt sich mathematisch begründen: Ein Hochbauprojekt benötigt bis zu zehn Mal mehr Architektinnen als Gebäudetechniker. Zudem gibt es viel mehr grosse Ingenieurbüros als grosse Architekturbüros.

Wie sieht es aus, wenn Sie an mehreren Wettbewerbsprojekten gleichzeitig arbeiten?
Marco Waldhauser: Wir haben klare Regeln: Bei Präqualifikationen machen wir auch schon mal in 20 Teams mit. Ab dem vierten Büro kommunizieren wir, dass wir womöglich im Wettbewerb nicht mehr dabei sein werden können. Wir betreuen nämlich nur maximal vier Projekte parallel, weil bei uns vier Mitarbeitende die Wettbewerbe begleiten. So kommen wir auf rund 70 Wettbewerbe im Jahr, teils mit mehreren Projekten. Das gab noch nie ein Problem.

Mit rund 30 Prozent ist die Gebäudetechnik nach der Tragstruktur der zweitgrösste Posten in der Treibhausgasbilanz eines Gebäudes. Was bedeutet das? Schlankere Technik? Weniger Technik? Möglichst gar keine Technik?
Monika Jauch-Stolz: Eine schwierige Frage. Wir sollten immer breit denken, möglichst alle Aspekte berücksichtigen. Das Thema lässt sich nicht mehr umschiffen. Die Frage ist, wie wir die Treibhausgase reduzieren können. Und damit sind wir wieder bei der Teamarbeit.
Roger Boltshauser: Natürlich versuchen wir wegzulassen. Je weniger Technik, desto weniger graue Energie. Aber bei einem Labor geht das nur bedingt. Für Spitzenforschung brauchst du hohe Luftwechsel und Kühlung. Zu sagen, wir bauen keine Labore mehr, sondern nur noch Wohnungen und Bürohäuser ohne Heizung, ist keine Lösung. Ich will mich den Aufgaben der Zeit stellen. Deshalb versuche ich, einen sinnvollen Entwurf hinzukriegen und die Technik passiv zu unterstützen. Die Suffizienz kann man dann bei anderen Aufgaben auf die Spitze treiben – auch, wenn das Honorar uns alle nicht dafür belohnt, wenn wir passiver, lokaler, schlauer planen.
Marco Waldhauser: Üblicherweise geben wir im Vorprojekt eine Pauschale basierend auf dem geschätzten Aufwand an. Wenn das Konzept einfach ist, haben wir dann ja in der Regel auch weniger Aufwand – bis auf die Überzeugungsarbeit. Ein Projekt auf dem Basler Dreispitz-Areal zeigt, wie eine vorbildliche Bauherrschaft damit umgehen kann: Müller Sigrist Architekten baute ein altes Lagerhaus zu einem Hochschulgebäude um. Der Kanton beauftragte uns, eine mechanische Lüftung einzuplanen. Kurz vor Abgabe des Vorprojektes sagten wir uns: Wenn wir ein Haus ohne Lüftung hinkriegen, dann dieses! Der Kanton liess es uns dann so planen – und bezahlte uns trotzdem gleich viel Honorar. Das war vor 15 Jahren. Die Studierenden arbeiten heute übrigens lieber in diesem Altbau statt im klimatisierten Glashochhaus daneben.

In der Schweiz arbeiten Architektin und Tragwerksplaner im Entwurf eng zusammen. Müssten Letztere ein Stück des Kuchens abgeben, wenn die Haustechnikerinnen stärker mitreden?
Monika Jauch-Stolz: Man sollte das eine nicht gegen das andere ausspielen. Der Idealfall ist, dass sie sich gegenseitig befruchten. Im Team ist jeder gleichwertig, redet von seinem Feld, und am Schluss fügt die Architektin als eine Art Regisseurin die Ingredienzien zusammen.
Marco Waldhauser: Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft die Klima-Robustheit so stark in den Köpfen haben wie das Tragwerk. So wie ihr Architektinnen die Bauingenieure herausfordert, weil ihr einen Raum stützenfrei möchtet, so solltet ihr uns herausfordern.
Roger Boltshauser: Bei uns wird die Technik sichtbarer, das bedeutet jedoch nicht, dass das Tragwerk weniger wichtig wird. Der beste Entwurf ist der, bei dem alles zusammenkommt und sich gegenseitig hilft. Wir sind an einem Wendepunkt angelangt und müssen noch viel lernen, bis wir den richtigen Umgang mit der Klimafrage finden. Das Schlimmste wäre, wenn wir aufhören würden zu bauen. Diese Diskussionen führen wir mit den Studierenden an der ETH. Es braucht Zuversicht.

 

 

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