Wenn ein Architekt über hundertjährig stirbt, ist sein Werk längst Teil der Baugeschichte. Die Kindergeneration hadert damit und die Enkelgeneration entdeckt es für sich. So wie im Fall von Gottfried Böhm.
Gottfried Böhm ist tot. Der Satz ist irgendwie unwirklich. Er ist gar nicht so schockierend, wie das, was er sagt. So wie die Nachricht vor acht oder neun Jahren vom Tod Oscar Niemeyers. Beide Architekten waren über hundert Jahre alt. Beide zogen ihre manierierten Linien bis zum Schluss. Und mit beiden verband die ganze Welt einen bestimmten ikonischen Baustil, postmodern und pritzkerpreisgestempelt (Böhm 1986, Niemeyer 1988). Dass sie danach noch eine, nein, fast zwei Generationen weiterbauten – geschenkt. Manche machen Altersgymnastik, andere halten sich zeichnend fit.
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Ich bin Gottfried Böhm nie begegnet. Obwohl wir aus der gleichen Gegend von Deutschland kommen, dem Rheinland. Dort steht an jeder Ecke ein ‘Böhm’. Zum Beispiel wenige hundert Meter von meinem Elternhaus entfernt, in Düsseldorf-Garath, die ‘Betonkirche’, wie wir sie immer leicht abschätzig nannten, mit Altersheim. Beton, ja, aber auch Ziegel und knallorange gestrichen. Wenn ich mir heute die Bilder ansehe, kann ich gar nicht glauben, dass ich nie in dieser Kirche war.
Neviges haben wir natürlich besucht, Böhms bekanntestes Werk, den Mariendom im Bergischen Land nahe Düsseldorf, war in unserem Studium ein beliebtes Zeichenmotiv. Er war so alt wie wir, ein Betongebirge mit Jahrgang 1968. Vor ein paar Wochen war ich wieder dort – um zu sehen, ob man das Dach würdig saniert hat (man hat), aber auch, weil mein 17-jähriger Sohn Fotos gesehen hatte. «Cool. Gehen wir dahin?!» Der Kölner Dom? Kalter Kaffee. Nicht weit davon: das Erstlingswerk von Böhm. Schweizer Architekturschaffende kennen das bescheidene Gebäude: Sein Vater, Kirchenbauer wie er, hatte ihm den Auftrag zur Kapelle ‘Madonna in den Trümmern’ als Gesellenstück zugeschoben. 1947 war sie fertig und sechzig Jahre später hat Zumthors Kolumba Museum sie geschluckt, wie der Wal den kleinen Jonas. Fanden nicht alle Köln...
Mit Beton gen Himmel
Wenn ein Architekt über hundertjährig stirbt, ist sein Werk längst Teil der Baugeschichte. Die Kindergeneration hadert damit und die Enkelgeneration entdeckt es für sich. So wie im Fall von Gottfried Böhm.
16.06.2021 10:42