Lichterlöschen im Hauptbahnhof
Die SBB hat die Lichtbänder über den Ladenfronten im strahlend weissen Untergrund von Zürich HB ausgeschaltet. Hochparterre-Redaktor Werner Huber erklärt anhand sieben fataler Folgen, warum diese Massnahme falsch ist.
Vor einigen Wochen ist es in der bis anhin strahlend weissen «Dürig-Welt» im Untergrund des Zürcher Hauptbahnhofs düster geworden. Die SBB hat nämlich die weissen Lichtbänder über den Ladenfronten kurzerhand ausgeschaltet. Die Vermutung, dass so lediglich die Weihnachtsdekoration besser zur Geltung kommen soll, war falsch: «Wir prüfen langfristig ein neues Erscheinungsbild für die neuen Ladenpassagen. Die von Ihnen beobachtete Massnahme steht damit im Zusammenhang. Details stehen noch keine fest. Mehr möchten wir im Moment noch nicht verraten. Ich hoffe Sie haben dafür Verständnis», schreibt SBB-Mediensprecher Remo Schärli.
Seit der Eröffnung des Bahnhofs Löwenstrasse im Juni 2014 war verschiedentlich zu hören, dass der neue Bahnhofteil gross, leer und steril sei. Seit letztem Herbst beschallt die SBB diesen Bereich des Hauptbahnhofs mit Musik, um «eine wärmere Atmosphäre» zu schaffen. Die Abschaltung der Lichtbänder ist wohl auch in diesem Zusammenhang zu verstehen. Ist diese Massnahme richtig? Nein. Es ist eine Kurzschlusshandlung mit fatalen Folgen:
1. Der falsche Zeitpunkt
Der neue Bahnhofteil ist grösser und auch leerer als der S-Bahnhof aus den 1990er-Jahren, der aus allen Nähten platzt. Hoffentlich ist er das, denn wäre der neue Bahnhof jetzt schon voll, hätten die Planer einen groben Fehler gemacht. Seit dem letzten Fahrplanwechsel halten auch Züge des Fernverkehrs im Untergrund. Diese werden die Passagierzahlen im neuen Bahnhofteil deutlich ansteigen lassen. Es ist deshalb absurd, dass die SBB ausgerechnet jetzt für mehr Gemütlichkeit sorgen wollen. Zuerst soll sich der Normalbetrieb einstellen. Nach ein oder zwei Jahren kann man dann beurteilen, ob und wo man nachrüsten muss (dies wird vor allem bei der Signaletik auf dem Perrongeschoss nötig sein).
2. Die falsche Massnahme
Die Gleichung «weniger Licht = mehr Atmosphäre (was auch immer man darunter versteht)» ist falsch. Licht ist nämlich nicht nur dazu da, einen Raum zu erhellen, sondern Licht ist auch – und bei den Lichtbändern über den Ladenfronten in erster Linie – ein gestalterisches Element.
3. Die Zerstörung des Raums
Die Rolle des Lichtes als Gestaltungselement ist bei Grossprojekten wie einem Bahnhof das Ergebnis eines langen Planungsprozesses mit Beteiligten aus unterschiedlichen Disziplinen. Knipst man da einfach einen Teil aus, fällt die ganze Gestaltung in sich zusammen.
Die primäre Aufgabe der Lichtbänder über den Ladenfronten ist es, den Raum zu strukturieren. Die Bänder bilden einen Horizont, der die perspektivische Wirkung der Hallen und Passagen unterstützt, und sie bieten Orientierung, indem sie den Verlauf des Raums anzeigen. Jetzt, wo diese Lichtbänder fehlen, verlieren die Räume ihre Konturen. Das ist fatal. Architekt Dürig schuf zwar einen Raum scheinbar ohne Farbkontraste – alles ist weiss. Aber dieses Weiss hat unterschiedliche Schattierungen und Helligkeitsgrade. Die Lichtbänder funktionieren darin wie Leitplanken. Sind sie weg, dann fällt der Raum in sich zusammen. Nun bewegt man sich in einem kontrastlosen, faden Etwas. Einzig die prominent grün leuchtenden Notausgangs-Schilder geben etwas Halt. Will man das?
4. Die Läden verschwinden
Schon kurz nach der Eröffnung der neuen Unterwelt waren Klagen über den mangelnden Geschäftsgang in den Läden zu hören. Weil eben – siehe oben – der Bahnhof noch gar nicht in Vollbetrieb war. Man darf daher annehmen, dass sich vom Lichterlöschen und der Musikberieselung vor allem die Geschäfte mehr Umsatz versprechen.
Aber sind die Läden jetzt, ohne Lichtband über der Schaufensterfront, besser zu sehen? Nein, im Gegenteil: Auch die Schaufensterfronten, die bislang durch das weisse Leuchtband akzentuiert waren, verschwinden nun im faden Einerlei.
5. Die Beschriftung ist nicht lesbar
Und es kommt noch dicker: Die aufwendig gestalteten Ladenbeschriftungen – kaltweiss hinterleuchtete Buchstaben auf warmweissem Lichtband – sind jetzt überhaupt nicht mehr lesbar. Man sieht zwar irgendetwas leuchten, entziffern kann man die Schriftzüge wegen den falschen Kontrasten jedoch nicht. Die einzige Ausnahme: Man stellt sich senkrecht vor dem Laden. Doch genau das tut man in einem Bahnhof bekanntlich nicht; man eilt an den Läden vorbei zum Zug.
6. Fazit: Denn sie wussten nicht, was sie tun
Es ist offensichtlich, dass sich die Verantwortlichen fürs Lichterlöschen im HB der Tragweite ihres Tuns nicht bewusst waren. Das ist weiter nicht schlimm – sie brauchen ja nur den Lichtschalter zu drücken und die Lichtbänder wieder leuchten zu lassen. Nachher müssen sie sich aber in Geduld üben, Erfahrungen über eine längere Zeit sammeln – und anschliessend keinen Kurzschluss veranstalten, sondern allfällige Änderungen sorgfältig planen und umsetzen. Und: Dass bei einem solch neuen Bauwerk auch der Architekt beigezogen wird, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Der weiss von der ganzen Aktion nämlich nichts.