Hardturm Zürich? So nicht!
Kaum ist es da, sorgt das Projekt für ein Stadion mit zwei Hochhäusern im Zürcher Hardturm für scharfen Einspruch. Der Urbanist Hans Widmer – bekannt als P.M. – legt als Kritik zu den «Twin Towers mit Aldifiliale» einen Gegenentwurf für ein lebendiges Stück Stadt vor.
In England ist ein Brexit ein Brexit. In der Stadt Zürich führt eine verlorene Abstimmung zu einem Stadion höchstens dazu, dass man neue Stadionprojekte entwickelt. Aus verschiedensten Gründen hatte man damals den Mut zum Hardexit nicht, also folgt nun der nächste Versuch — vielleicht kann man ja dereinst dem Volk ein «Ermüdungs-Ja» abringen.
Der ausgewählte Vorschlag ist alles ausser einem lebbaren urbanen Ensemble (der Begriff ist wahrscheinlich vom NFP65 geklaut, wo vom Bau von Ensembles die Rede ist, die «städtische Geborgenheit» vermitteln sollen, aber so natürlich nicht ...). Es liegen bloss Solitaire verschiedenster Dimension in der Gegend herum. Die ironische Geste der Twin Towers, die die Pendlerströme am Tor zu Zürich begrüssen, haben wir verstanden (wir hatten intern auf drei Türme gewettet). Auch dass es weitere leere Büros und leere Eigentumswohnungen braucht, unterstreicht nur den Dynamismus dieser Stadt, denn leere Büros ziehen bekanntlich kreative Nutzungen nach sich. Das Stadion selbst ist so diskret gestaltet, dass es kaum als solches zu erkennen ist. Dahinter steckt wohl die Hoffnung, dass die vergraulten Stimmbürgerinnen es annehmen werden, weil sie glauben, das Teil sei nur eine etwas zu gross geratene Aldi-Filiale. Die Wohnsiedlung ist das, was das Volk schon immer wollte, nur hätten auf dem Areal vier davon Platz. In diesem Ensemble de l’enfer spielen die Wohnungen lediglich die übliche Rolle des «menschlichen Schutzschilds» bei unpopulären Vorlagen.
Wäre es den Stadtvätern darum gegangen den frustrierten Fussballfans ein richtiges Stadion zu bieten, dann hätten sie schon vor Jahren das Letzigrundstadion mit wenig Aufwand umbauen können. Denn, wie soll das gehen: wenn beide Clubs im neuen Hardturm spielen, was passiert denn überhaupt noch im Letzigrund? So viele Kugeln können nicht gestossen oder Speere geworfen werden um es zu nutzen. Oder sollen monatelange Geriatriefestspiele mit Bruce Springsteen, Madonna oder den zerbröselnden Rolling Stones dort stattfinden? Oder wird man dann das Letzigrund abreissen? Eine mittelgrosse Stadt wie Zürich braucht einfach nicht zwei Stadien. Nicht einmal Basel hat zwei.
Auf dem Hardturmareal sollte hingegen ein zukunftsweisendes Quartierteil entstehen, wo jene Lebensweisen erprobt werden, die zur Einlösung der ökologischen und sozialen Erfordernisse notwendig sind. Wir schlagen drei grosse, jeweils verschiedene Nachbarschaften vor, selbstverwaltete Ensembles für ein kooperatives und integratives Stadtleben, ganz in der Tradition der Zürcher Genossenschaftsbewegung. Sie ermöglichen grosse Innenhöfe, wo Aktivitäten, wie sie heute auf der Brache stattfinden, Platz finden. Dazu kommt THEMA, ein Werkstättencluster, wo die neuen Produktionsformen (Tech-Shop, fablab, Reparatur, Recycling und so weiter) in die Stadt zurückgeholt werden. Für urbane Dichte und ein spannendes Strassenleben sind Hochhäuser Gift, es genügen sechs- bis achtstöckige Bauten, in denen auch wirklich gewohnt und gelebt wird. Wir brauchen endlich eine «Stadt für Menschen», wie Jan Gehl (übrigens Berater der Stadt Zürich) es fordert. Aus Zürich West, das mit übergeordneten und kommerziellen Nutzungen zerzaust wurde, könnte so doch noch ein Stück lebendige Stadt «auf Augenhöhe» werden.
Nach einem unnötigen Wettbewerb, der ein langweiliges Resultat erbracht hat, braucht es jetzt den Mut zum Übungsabbruch. Späte Einsicht wird niemandem verübelt. Also: Hardexit, und dann ein wirkliches Ensemble von Stadt, Volk und Banken, das ein neues Stück spielt: die menschengerechte Stadt.