Ein Geschäftshaus ist die Visitenkarte einer Firma. Das Haus von Rhiienergie in Tamins, geplant vom Büro Krucker, repräsentiert, produziert und irritiert.
Die Dahlienschau der Wieland Gärtnerei war ein beliebtes Ziel für den Familienausflug. Jetzt steht dort, wo einst die Blumen blühten, ein neues Gebäude. Aber auch sonst garantiert das Grundstück Aufmerksamkeit. Jeder Autofahrer kommt daran vorbei, der von Chur nach Flims oder weiter in die Surselva fährt. Vom Dorfkern von Tamins, das oberhalb auf dem Plateau liegt, sieht man nur den spitzen Kirchturm. Unten an der Kantonsstrasse hat sich Gewerbe angesiedelt, ein Bauernhof, Gewächshäuser, Rohranlagenbau. Keine Visitenkarte, die sich ein Dorf wünscht.
Dabei hat die Archäologie hier Reste einer der ältesten Siedlungen im Kanton Graubünden gefunden. Ihre Nachfolgerin, die Siedlung Forellenstube aus den 1980er-Jahren, wird dem nicht wirklich gerecht. Eher schon die Ergänzung mit zwei grauen Reihenhauszeilen, die so etwas wie ein Tor zu Tamins bilden, gebaut 2008 von Corinna Menn, einer Architektin aus Zürich. Und nun das neue Firmengebäude von Rhiienergie.
Werkhof und Werkhaus
Das fast fünfzig Meter lange neue Gebäude von Rhiienergie steht nahe an der Strasse. Die dunkle Holzverschalung erinnert an Scheunen oder Ställe, sein Dach an industrielle Sheddächer. Die Proportionen und feine Detaillierung machen daraus aber ein Haus der Repräsentation. Einen Firmensitz. Rücksprünge an den Enden machen das einfache, längliche Volumen schlanker. Und verankern es, laut dem Architekten Bruno Krucker, im leicht abfallenden Gelände. Auch die prägnante Silhouette ist ihnen geschuldet: Einer der beiden Shedzacken ist jeweils seitlich angeschnitten, wie wenn bei einem Hasen ein Ohr steht und das andere abknickt. Mit Photovoltaik auf den Dachflächen und an der Strassenfassade wirbt das Haus für saubere Energie. Dazu später mehr.
Im Gebäudekopf, der Ankommenden im Auto zuerst ins Auge fällt, liegt der Eingang. Die davor wehenden Firmenfahnen sind mit dynamischen Lichtstreifen bedruckt, die wohl Strom darstellen sollen. Das Vordach ist dezent, das Entree hoch. Rechts geht der Blick durch ein grosses Fenster über den Werkhof auf den Hang und auf die Bäume, um die herum früher die Dahlien blühten. Bald werden sie einer neuen Siedlung weichen.
Das Innenfenster links zeigt dem Gast, worum es im Haus geht: Zwei Netzmonteur-Lehrlinge üben in der Werkstatt, eine Hausanlage anzuschliessen. Das Entree gibt einen Eindruck von den vorherrschenden Materialien: Beton an Wänden und Decke, das Hirnholzparkett riecht frisch geölt. Im Treppenhaus leitet ein Handlauf aus dünnem Stahl nach oben, vorbei an länglichen Leuchten, die in Vertiefungen in der Betonoberfläche sitzen. Ökonomisch, pragmatisch und schön. Ebenso die Organisation: Das Treppenhaus mit Lift ist das einzige im Haus. Es führt zu zwei Bürogeschossen nach oben und zu Tiefgarage, Lager und Umkleiden nach unten.
Das Erdgeschoss gehört ganz dem sogenannten Netzbetrieb, der Montage und Wartung des Stromnetzes von fünf Gemeinden. Rund ein Drittel der aktuell 26 Angestellten arbeitet hier. In der Werkstatt bereiten sie Elemente vor, beladen ihre Fahrzeuge mit Material aus dem grossen Tageslager und fahren dann durch die transparenten Faltwände aus dem Gebäude. Die Möglichkeit der Durchfahrt durchs Gebäude und der grosszügige Werkhof dahinter waren Pluspunkte des Projekts im Wettbewerb. Auch deshalb gibt es die Rücksprünge im Baukörper: Ein Lastwagen muss das Gebäude umfahren können. Die Ab- und Auffahrt zur Tiefgarage liegt zwischen dem Haus und den schmalen Rabatten zur Strasse. Im ersten Obergeschoss ergänzen kleine Besprechungsnischen die Büros. Im zweiten Obergeschoss sind es zwei Sitzungsräume; im grösseren können Veranstaltungen mit bis zu sechzig Personen stattfinden. Im Pausenraum wird gekocht. Das Sofa neben dem Töggelikasten ist mit gelben Blachen bezogen. Wie hineingestellt wirkend gliedern die Räume beide Geschosse in weitere und engere Bereiche. Leisten gliedern weisse Gipswände und umrahmen Türen und Innenfenster.
Büros mit Aussicht
Die tragende Konstruktion des Hauses ist so einfach wie robust: Das offene Holztragwerk des Dachs ruht auf Betonbalken, die wiederum von Stützen und den Treppenhauswänden getragen werden. Der Betonkern sorgt für Aussteifung. Sollte sich die Nutzung einmal ändern, liessen sich die Etagen ohne grossen Aufwand neu einteilen. Auch das ist Nachhaltigkeit. Ebenso einfach wäre der Austausch der Gebäudetechnik wie zum Beispiel der offen geführten Lüftungsrohre. Fassade und Dach sind aus vorgefertigten Holzbauelementen gefügt. Der Ausblick aus den grossen Bürofenstern ist eindrucksvoll: den Vorderrhein hoch in die Surselva und den Hinterrhein entlang ins Domleschg. Die Mitarbeiter haben ihr gesamtes Versorgungsgebiet im Blick. Sie sehen, wie die Sonne über dem Furggabüel aufgeht. Die lockere Möblierung der Büroräume zeigt, dass die Firma mit Wachstum rechnet. In den Umkleideräumen im Untergeschoss ersetzen kräftige Farbkombinationen die fehlende Aussicht. Die bereits vorher genutzten Spinde sind blau oder gelb. Sie stehen vor Wänden, die ein Farbhorizont halbiert: rot und grün, türkis und gelb, blau und hellblau. Und auch hier lässt sich schnell etwas verändern: Die pink Wände des Herrenduschraums sind bereits rot überstrichen worden.
Vorn und hinten
Das Haus hat zwei Seiten. Das hat einerseits mit der Strasse zu tun: Die Vorderfront richtet sich zur Öffentlichkeit. Andererseits mit der Sonne, da die Strasse auf der Südseite des Gebäudes verläuft. Das Dach sieht aus wie ein Sheddach, ist aber keins, denn beide Dachflächen sind geschlossen. Die leichter geneigte Südseite ist mit dunklen Photovoltaikmodulen belegt. Die Fassade darunter trägt ihre Module als Schmuck. Keine dunkle Holzschalung, sondern bedruckte Photovoltaikpaneele füllen die Felder zwischen den Fenstern wie bei der Rückfassade. Die mit Siebdruck aufgebrachte helle Struktur hat ihren Ursprung in stark vergrösserten, parallelen Bleistiftlinien. Sie simuliert eine raue Oberfläche. Und sie betont die Vertikale und die Teilung zwischen den Paneelen. Schwenken die Photovoltaikstreifen leicht aus der Fassade, um sich exakt nach Süden zu richten, so blicken die Fensterstreifen ein wenig nach Osten – ein Faltwerk. Neben der faszinierenden Erscheinung bewirkt dieses grosse Feld, dass keine Spiegelung den Verkehr gefährdet.
Die aufgedruckte Struktur verschleiert die dahinterliegenden Solarzellen. Paradoxerweise macht sie die Glasflächen zwischen den Fenstern nicht dezenter, sondern zu den auffälligsten Elementen des Hauses. Alle anderen Teile sind einfach das, was sie sind: Dach oder Fenster, Holzschale oder Garagentor. Die hell schraffierten Streifen der gefalteten Glasfront sind Struktur, Zeichen, ja was eigentlich? Sie produzieren nicht nur Strom, sondern auch Irritation. Zwei Dinge, die ein gutes Haus braucht.
Dieser Beitrag ist dem Themenheft Solaris #05 entnommen. Es ist im Januar erschienen, sein Name: Sonnige Berge. Darin stellen wir nicht nur den neuen Firmensitz von Rhiienergie in Tamins vor, sondern zeigen auch grosse Solaranlagen in den Alpen.
E-Bike-Tour zu Solarpionieren
Die Heftvernissage holen wir am 16. April nach: als E-Bike-Tour von Chur bis Tamins, mit Besichtigungen von Solarhäusern von Pionieren aus den Neunzigerjahren bis zu aktuellen Vorbildern. Gratis, mit Leih-Velo, Apéro und hoffentlich Frühlingswetter. Mehr Infos hier.
Photovoltaikanlage
Die Dachflächen haben eine Neigung von 32 respektive von 42 Grad gegen Süden. Die Photovoltaikanlagen sind dachintegriert und bestehen aus 221 schwarzen, monokristallinen Standardmodulen mit einer Leistung von je 300 Watt. Zusammen produzieren sie rund 84000 Kilowattstunden (kWh) Strom pro Jahr.
Bei der Fassadenanlage stand nicht der maximale Ertrag im Vordergrund. Die beiden Glasscheiben, die die Module halten, sind mit Siebdruck beschichtet: Die hinterste Seite ist beige eingefärbt, auf die Vorderseite druckte man ein spezielles Linienmuster. 3 × 1,5 Meter gross verfügen sie über eine Leistung von je 424 Watt, wiegen 128 kg und wurden in die Fassadenkonstruktion integriert. Die aufgedruckten Linien reduzieren die Jahresproduktion um rund ein Fünftel auf 7000 kWh. Durch ihre senkrechte Position und die Südausrichtung produziert die Fassadenanlage im Winter vergleichsweise viel Strom.
Dach und Fassade erzeugen zusammen 91000 kWh Elektrizität im Jahr, was Heizung, Lüftung und Betriebsstrom abdeckt. Für den Verbrauch der aktuell fünf Elektrofahrzeuge reicht die Produktion jedoch nicht aus. Dadurch, dass Wärmepumpe und Autoladestationen optimal aufeinander abgestimmt sind, erreicht der Grad an Autonomie immerhin sechzig Prozent. Rhiienergie kontrolliert die effektiven Produktionswerte ihrer Photovoltaikanlagen ständig und vergleicht sie mit den Sollwerten.
Genauere Angaben zu Technik und Konstruktion finden Sie in der gedruckten Ausgabe dieses Beitrags im Heft Solaris #05.
Firmensitz Rhiienergie, 2019
Energieweg 1, Tamins
Bauherrschaft: Rhiienergie, Tamins
Architektur und Landschaftsarchitektur: von Ballmoos Krucker Architekten (Wettbewerb), Büro Krucker Architekten, Zürich
Mitarbeit: Adrian Pigat, Alexander Richert, Sabrina Mohr, Mario Skier, Benjamin Boehringer
Auftragsart: Wettbewerb mit Präqualifikation, 2016
Bauleitung, Bauphysik: Fanzun, Chur
Tragwerksplanung: Widmer Ingenieure, Chur
Elektroplanung: Brüniger + Co., Chur
HL-Planung: Collenberg Energietechnik, Chur
Sanitärplanung: Marco Felix, Chur
Planung der Photovoltaik-Fassade: GFT, St. Gallen
Gesamtkosten (BKP 1–9): Fr. 10,2 Mio.
Baukosten (BKP 2 / m3): Fr. 840.—