Der Wohnprototyp von 1992 Fotos: Lacaton & Vassal

Less is more – ökonomisch verstanden

«Less is more – das ist ökonomisch relevanter als gestalterisch.» Diese Aussage stellte Jean-Philippe Vassal vom Pariser Architekturbüro Lacaton & Vassal seinem Vortrag voran.

«Less is more – das ist ökonomisch relevanter als gestalterisch.» Diese Aussage stellte Jean-Philippe Vassal vom Pariser Architekturbüro Lacaton & Vassal seinem Vortrag voran, den er am Dienstagabend am Departement für Architektur der ETH Zürich hielt. Er präsentierte neben seinen vieldiskutierten Sozialwohnbauten auch die jüngst eröffnete Architekturschule in Nantes. Das Ziel der Pariser ist stark sozial und gesellschaftlich verankert: Für möglichst wenig Geld möglichst viel Fläche erstellen, klimatisch sinnvolle Situationen schaffen und dem Nutzer damit Freiheit ermöglichen.

1992 entwickelten Lacaton & Vassal einen Wohnprototyp, eine Art Gewächshaus auf einem Betonsockel. Ein Jahr später konnten sie mit dem Latapie House in Floirac ein ähnliches Haus realisieren: Wellblech, Betonstützen und –unterzüge, unverputzte Decken und eine vorgelagerte und erhöhte Gewächshauszone mit transparentem Polycarbonat bekleidet, führten zum unschlagbar günstigen Einfamilienhaus mit 185 Quadratmetern für 55'000 Euro. Spätestens 2005 sind Lacaton & Vassal mit ihrem kontinuierlich weiter entwickelten System auch im Schweizer Architekturbewusstsein angekommen. In Mulhouse realisierten sie in einem Grossprojekt unmittelbar neben Jean Nouvel, Shigeru Ban, Poitevin&Raynaud sowie Lewis+Block 14 Wohneinheiten, die das gestapelte Prinzip ihres Wohnprototyps von 1992 wieder aufnahmen.

Als das Büro 2006 den Schelling Preis für Architektur erhielt, lobte die Jury: «Ihnen ist es gelungen, durch kreative Zurückhaltung die Architektur zu erneuern.» Kreativ bedeutet hierbei aber eben keine Form- und Materialspielereien. So verkündete Jean-Philippe Vassal gestern: «Wir brauchen keine Fassaden, bloss Filter zwischen Innen und Aussen.» Auf die Frage, ob er sich bei seinen Bauten für den Ausdruck interessiere, antwortete er: «Früher hatte ich immer Angst, dass meine Gebäude am Ende nicht gut aussehen. Heute ist mir das egal, denn was gut ist, sieht auch gut aus.» Diese radikale Unterordnung der Architektur unter die Bedürfnisse der Gesellschaft zeigt die Stärke des Büros, das Architektur als Dienst am Menschen und nicht als baukünstlerische Forschung oder gar Selbstverwirklichung begreift. Und dass Vassal mit seiner Forderung, der «kreativen Intelligenz der Benutzer zu vertrauen», Recht hat, beweisen die bunt eingerichteten Gewächshäuser – klimatische Zwischenzonen und loftartiger Raum zur Inanspruchnahme.

Flächenfrass scheint für Lacaton & Vassal kein Thema zu sein, Energieeffizienz dagegen erreichen sie auf eigene Art und Weise: durch das Klima der Gewächshaustechnik und dicke Aluminium-Woll-Vorhänge, die nachts zugezogen werden. Hierbei machte Jean-Philippe Vassal eines klar: «Häuser dämmtechnisch auf die kältesten zwei Wintertage einer Dekade auszurichten, macht wenig Sinn – wir müssen optimistischer bauen und die unzähligen Tage, an denen die Temperaturen höher sind, in den Vordergrund rücken.» Fazit: Ein spannender Vortrag eines aussergewöhnlichen Büros, dass radikal mit Bautechnik, Materialien und Wohnytpologien umgeht. Hier, nicht in den material- und handwerksverliebten Hochglanzarchitekturen der Gegenwart, liegen die Antworten auf die baulichen Herausforderungen der globalen Zukunft.

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