Das Möbel entsteht: Die Autorin (im weissen Hemd) an der Arbeit mit einheimischen Handwerkern. (Foto: M. Lussmann. M. Huber)

Ein Tischsessel aus Palmzweigen

In der von der Berner Fachhochschule organisierten ‹Summer School› im ägyptischen Luxor lernten die Studierenden Möbel aus lokalen Materialien herzustellen. Meret Huber berichtet für den Hochparterre Campus.

Kurz nach Sonnenaufgang, um 6 Uhr morgens, klingelt der Wecker. Im Zimmer ist es angenehm kühl. Die Klimaanlage surrt, das Display zeigt 27 Grad Celsius. Gedämpft höre ich die Geräusche von Motorrädern. Bellende Hunde begleiten das Eintreffen der Hotelangestellten. Ich trete aus dem Zimmer in den offenen Korridor, der mich in den Hof führt. Bereits jetzt ist es dort drückend heiss.

Das Hotel, auf der Westseite des Nils, ist ein C-förmiger Lehmbau, der sich in Richtung der Zuckerrohrfelder öffnet. Das Gebäude steht an der Grenze zur Wüste, davor liegen grüne Felder und kleine Palmgruppen, dahinter dominiert der scheinbar unendliche Sand. Wann es hier das letzte Mal geregnet hat, weiss niemand so genau. Das Wasser kommt in Luxor von unten. Obwohl der Nil nicht weit entfernt liegt, leben die Pflanzen vom Grundwasser.

Der Möbelbauer Ahmed arbeitet mit lokal gewachsenem Material. Er zeigt uns Studierenden zu Beginn der ‹Summer School›, wie er Palmzweige bearbeitet, um daraus Möbelstücke zu bauen. Zuerst hackt er sie mit einem grossen Messer in die gewünschte Länge, anschliessend werden sie mit einem Säbel gerüstet. Das schrittweise Abtragen der äusseren Schichten bestimmt Form und Durchmesser. Mit verschiedenen Metallröhrchen schlägt er Löcher in die dickeren Zweige. Dünnere Zweige werden in die Löcher der dickeren geschoben. Die Form seiner Möbel ergibt sich aus den Steckverbindungen. Mit dieser Technik baut Ahmed in wenigen Stunden Stühle, Tische, Schränke und Betten. Wir Studierenden haben zwei Wochen Zeit, um das Handwerk zu üben und dann selbst ein Möbelstück herzustellen.


Das fertige Möbel: Doppelfunktion als Sessel und Tisch.

Gearbeitet wird in den frühen Morgenstunden und später im Schatten der Sträucher neben den Zuckerrohrfeldern. Unsere Arbeitstage enden mit der untergehenden Sonne, immer kurz nach 18 Uhr. Wir sitzen barfuss am Boden auf Strohmatten, denn die Füsse dienen beim Lochen als Schraubzwinge. Im Rahmen der von der Berner Fachhochschule organisierten Studienreise entwarfen und produzierten meine Studienkollegin Miranda und ich ein Möbelstück, das wir ‹اثنين› nennen. Dies bedeutet in Ägypten ‹Zwei› und steht für seine Doppelfunktion als Sessel und Tisch.

Jetzt, im September, erleben wir an einigen Tagen Höchsttemperaturen von 46 Grad Celsius. Lange Mittagspausen sind nötig. Das bewusste Erleben der Zeit begleitet uns in vielerlei Hinsicht: im Rhythmus des Sonnenstands, beim stundenlangen Bearbeiten der Palmenzweige und auf Ausflügen. An den Vormittagen besuchen wir unter anderem eine Lehmsiedlung des ägyptischen Architekten Hassan Fathy aus den 1940er Jahren oder die Gräber und Tempel der altägyptischen Stadt Theben – monumentale Anlagen, die vor über 3500 Jahren erbaut wurden.


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