Normiert
Im Architekturstudium an der ETH Zürich bleibt kaum Raum für die persönliche Entwicklung. Zu grosse Entwurfskurse und der Mangel an Betreuung lassen normierte Projekte, normierte Architekten entstehen. Ist das gut oder schlecht?
Ich bin Deutsche Mittzwanzigerin. Entspreche ich der Norm, so heisse ich Julia und heirate in 7,3 Jahren einen 3,2 Jahre älteren Mann namens Sebastian, werde mich nach etwa 18-jähriger Ehe wieder scheiden lassen und habe in dieser Zeit 1,37 Kinder produziert, die wahrscheinlich Marie oder Leon heissen.
Es gibt Normen, die statistischen Mittelwerten entsprechen und durch die Gesellschaft in Form von Konventionen selbst generiert werden. Doch wer ist normal? Der, der allen Normen entspricht? Oder kehrt nicht vielmehr die Entsprechung aller Normen das Normale ins Abnormale? Die Definition des lateinischen norma reicht von der Richtschnur zur Vorschrift. Doch wann ist die Norm der grobe Faden, der einen leitet, wann die feste Regel, an die man sich halten muss?
Im Architekturstudium lernen wir in Bauprozess über (Bau-)Normen und den normalen Bauablauf, in Konstruktion über normierte Bauteile und im Entwurf neben dem Entwerfen auch über den Normarbeitsaufwand des Architekten. Doch wer bestimmt die Standards? Und wer hinterfragt? Peter Zumthor kritisiert in der Publikation Architekturdialoge des Departements für Architektur der ETH Zürich die Einheitlichkeit der ETH-Studierenden. Valerio Olgiati übt in gleicher Publikation ähnliche Kritik direkt an der gesamten Deutschschweizer Architektur. Am Versuch jedoch, Radikales und Unkonventionelles an der ETH zu lehren, scheiterte nicht zuletzt Winy Maas während seiner Gastprofessur. Kaum jemand wollte bei ihm studieren.
Architektur ist schon als Studienfach emotional und persönlich. Einzigartigkeit und Genialität werden angestrebt, das sich Lösen von der Masse. Zu grosse Entwurfskurse und der Mangel an individueller Betreuung lassen in der Ausbildung jedoch oft kaum Raum für die persönliche Entwicklung. Drei Themen werden für die Masterarbeit an der ETH Zürich zur Verfügung gestellt. Unser letztes – und wichtigstes – Semester lang definieren wir uns durch die Buchstaben A, B oder C. Nicht leicht, herauszustechen, wo die Ausbildung zur normierten Masse formt. Doch die Schweizer Norm ist auch nicht die radikale Andersartigkeit. Schweizerisch ist: Still und leise besonders sein.
Die nächste Ausgabe des transMagazins zum Thema „Normiert“ erscheint im März 2014.