Massgeschneiderte Aufrüstung

Mit dem Einbau eines massgeschneiderten Lifts konnte ein bauliches Schmuckstück aus der Jahrhundertwende für einen neuen Lebenszyklus fit gemacht werden.

Im Zusammenarbeit mit Emch Aufzüge

Mit dem Einbau eines massgeschneiderten Lifts konnte ein bauliches Schmuckstück aus der Jahrhundertwende für einen neuen Lebenszyklus fit gemacht werden.

Ein solches Haus zu sanieren, sei ein Traum, schwärmt Architekt Stefan Gysel, als wir die gewendelte Treppe hochgehen. Gysel ist Teil der traditionsreichen Berner Ateliergemeinschaft Werkgruppe agw, einem genossenschaftlichen Zusammenschluss von Baufachleuten. Seiner Begeisterung für das Wohn- und Geschäftshaus an der Spitalackerstrasse 60 in Bern kann man gut folgen: Eindrücklich sind die filigranen Steinstufen, dekorativ die Wandmalereien, die den Weg nach oben zieren. Das zenitale Licht fällt stimmungsvoll von weit oben durch das Treppenauge bis in die Eingangshalle hinunter. Das Treppensteigen ist ein Gang durch ein Stück Stadt- und Architekturgeschichte. Gysel kennt das Haus unterdessen wie seine Westentasche. Über die Planungs- und Bauzeit der vergangenen Monate habe er es in- und auswendig kennengelernt, erzählt er. Er habe verstanden, wie es gedacht und konstruiert worden sei. Bald schon habe er gewusst, wo der einzig mögliche Standort für einen Lift wäre. Er ahnte aber auch: Einfach würde der Einbau nicht werden.

Bijou der Jahrhundertwende: Das Wohn- und Geschäftshaus an der Spitalackerstrasse in Bern (Foto: Roland Juker)

Der Duft der Belle Époque

Erbaut wurde das Eckhaus an der Spitalackerstrasse 60 im Jahr 1906 vom Architekten und Baumeister Antonio Perello. Aus seiner Feder stammen auch die Entwürfe der fünf westlich anschliessenden Bauten – eine stattliche Gebäudezeile in Sichtbackstein und Sandstein. Entstanden sind diese Häuser – wie das gesamte Quartier Breitenrain / Spitalacker – um die Jahrhundertwende, als durch die Wahl Berns zur Bundeshauptstadt, den Bau der Eisenbahn und die Industrialisierung die Bevölkerung rasant wuchs. Der Bau der Kornhausbrücke 1898 gab den Startschuss für die Entwicklung der Nordquartiere, die bis dahin durch den tiefen Einschnitt der Aare von der Altstadt getrennt gewesen waren. Antonio Perellos Eckhaus ist ein typisches Beispiel für die ambitioniert gestalteten Bauten dieser Boomzeit. Die repräsentative Lage an der Ecke Spitalacker- / Moserstrasse führte zu einer Besonderheit: Ein vorgehängter, turmförmiger Erker mit Veranden schmückt die diagonal geschnittene Eckfassade. Reich verzierte, gusseiserne Geländer und Stützen verströmen den mondänen Duft der Belle Époque.

Eine filigrane, aber steile Treppe erschliesst die Wohnungen (Foto: Roland Juker)

Kein Wunder also, dass die Denkmalpflege beim Umbau und der Sanierung des Hauses von Anfang an stark involviert war. Jahrzehntelang war nichts angerührt, aber auch nichts investiert worden, das Gebäude war stark sanierungsbedürftig. Man könne sich heute kaum mehr vorstellen, wie es früher ausgesehen habe, meint Stefan Gysel. Die Denkmalpflege hatte ein grosses Interesse an der Sanierung – und daran, dass das Haus in Zukunft sorgsam und respektvoll genutzt würde. Denn: Der einfachste Schutz für ein Gebäude ist sein Gebrauch, besagt eine denkmalpflegerische Weisheit. Wenn ein Gebäude leer steht, können Beschädigungen und Zerfall erschreckend schnell voranschreiten. Eine zukunftsgerichtete Instandhaltung bedeutet deshalb auch bei einem Schutzobjekt nicht bloss Konservierung, sondern Auffrischung und Ertüchtigung. Das Haus soll den vielfältigen Anforderungen und Ansprüchen der aktuellen Zeit genügen und für die Zukunft gerüstet sein.

Bei einem gehobenen Wohnhaus in einem beliebten innerstädtischen Quartier gehört heute eine möglichst barrierefreie Erschliessung dazu. Wenn – wie an der Spitalackerstrasse 60 – Geschosshöhen von mehr als drei Metern, ein steiles Treppenhaus und der Wunsch der Bauherrschaft nach Wohnungen für Familien mit Kinderwagen oder für ältere Menschen dazukommen, ist der Einbau eines Lifts mehr als naheliegend. Mit einem minimalen Eingriff kann es gelingen, die historische Bausubstanz fast vollständig zu erhalten und sie gleichzeitig für einen weiteren Nutzungszyklus fit zu machen. Die Sanierung an der Spitalackerstrasse zeigt, wie durch die Integration einer massgeschneiderten Liftanlage der Erhalt und die Weiterverwendung der bestehenden Bausubstanz gesichert werden kann.

Kein Nullachtfünfzehn-Lift

Was Stefan Gysel im Kopf hatte, war auch in den Augen der Denkmalpflege die einzige Lösung: Zwischen Treppenhaus und Badezimmer – dort, wo einst ein Reduit mit Warmwasserboiler eingebaut war – konnte ein kleiner Lift untergebracht werden, der alle Wohnungen direkt erschliesst. «Ich habe eine grobe Skizze gemacht und gesehen, dass diese Lösung mit den bestehenden Wohnungsgrundrissen gut funktionieren würde. Und auch für den Laden im Erdgeschoss und die Erschliessung des Kellers ist sie sinnvoll», so Gysel. Allerdings: Der Platz war äusserst knapp, die historischen Bauteile sensibel und die bestehende Struktur mit vielen Unbekannten behaftet. Mit einem Nullachtfünfzehn-Aufzug von einer Nullachtfünfzehn-Firma, so ahnte der Architekt, würde es nicht gehen. Es brauchte Spezialisten mit einem Sinn für individuelle, vielleicht auch unkonventionelle Lösungen. Spezialisten, die Gysels Passion für das Haus und sein Engagement für eine respektvolle und behutsame Sanierung teilten. Er fand sie ganz in der Nähe, bei der Berner Liftmanufaktur Emch. 

Wohnungsgrundriss mit eingefügtem Lift rot.

Probleme und Lösungen

Der Standort des Lifts überzeugte organisatorisch und denkmalpflegerisch, brachte jedoch ein Lärmschutzproblem mit sich: Die Rückwand des vorgesehenen Liftschachts war gleichzeitig die Brandschutzwand zum Nachbargebäude. Vibrationen und Körperschall konnten bei einer konventionellen Anlage nicht ausgeschlossen werden. Ein erster Lösungsansatz sah zwei zusätzliche Betonwände vor, die entkoppelt vor die Brandschutzwand zu stehen kämen und an denen man den Aufzug befestigen würde. Dieser Vorschlag warf verschiedene Fragen auf: Wie giesst man Betonwände in einen schmalen Schacht, der sich über mehrere Geschosse erstreckt? Führt die Rückverankerung der Betonwände nicht ebenfalls zu Körperschall? Und sind zwei weitere Wände überhaupt möglich, wenn der Platz ohnehin schon knapp ist? Die optimale Lösung, das musste man sich eingestehen, war noch nicht gefunden.

Nach einiger Bedenkzeit hatte Emch die zündende Idee: ein Stahlgerüst als Liftschacht, selbsttragend, zusammengesetzt aus 6 mal 6 Zentimeter schmalen Rohren. Ein Prinzip, das häufig bei Glasliften zur Anwendung kommt: Auch dort hängt der Aufzug meist hinter der gläsernen Hülle an einem Stahlgerüst. An der Spitalackerstrasse würde das Stahlgerüst selbsttragend in einem Schacht aus teilweise historischen Gemäuern stehen. Auch für die Verankerung und ihr Schallübertragungsrisiko fand Emch eine überzeugende Alternative: Statt Anker in die Brandschutzwand zu treiben, arbeitete man mit Distanzhaltern: kleinen Gewindestangen mit Puffern aus Kunststoff, die zwischen Stahlgerüst und Schachtmauer eingespannt wurden und so den Aufzugschacht stabilisieren.

Blick durch den eingeschnittenen Schacht auf die alten Decken.

Stahlgerüst und Abstandspuffer.

Neuer Lift in einem denkmalgeschützten Haus: Das eingepasste Stahlgerüst geht über alle Stockwerke.

Der Vorschlag löste nicht nur das Lärmproblem, sondern sparte dank der schlanken Konstruktion auch wertvolle Zentimeter ein. Nahezu unsichtbar, versteckt in der historischen Struktur, hat der Lift dennoch eine rollstuhlgängige Türbreite von 80 Zentimetern und eine Innenfläche von 1 auf 1,15 Meter. Die praktische Umsetzung sei eine Herausforderung gewesen, erzählt Stefan Gysel. Das Haus sei alt, die Mauern unterschiedlich dick und nie ganz gerade. Der Architekt und die Emch-Mitarbeitenden fragten sich: Geht das auf? Steht die Mauer genug weit hinten oder entsteht ein Engpass? Ganz am Anfang der Bauarbeiten wurden darum durch alle Stockwerke hindurch Sondage-Löcher in die Decken geschnitten. Erst als das Senkblei von ganz oben bis in den Keller gelassen werden konnte, wusste man mit Sicherheit: Ja, so wird es gehen. Nun konnten die grossen Löcher für den Liftschacht eingeschnitten werden. Die dicksten Mauern unten geben die Schachtgrösse vor, oben füllen die eingespannten Distanzhalter den Luftraum.

Hinter einer historischen Zimmertür befindet sich der neue Lift, der alle Wohnungen direkt erschliesst. Foto: Merlin Photography

Beidseitiges Know-how

Mit den Spezialisten von Emch zu arbeiten, gleiche der Zusammenarbeit mit hoch spezialisierten Handwerkern oder Entwerferinnen, findet Gysel. Man denke und plane gemeinsam, diskutiere, profitiere gegenseitig vom Know-how und finde so passgenaue Lösungen. Er könnte noch viel erzählen: von der Liftgrube, die eigentlich zu niedrig sei, die man nun aber mit einer Schutzraumüberwachung kontrolliere. Oder von den Hourdisdecken, die für die Liftschachtlöcher abgeschnitten werden mussten und die jetzt auf einem neu gemauerten Winkel auflagern. Das alles sei technisch machbar, aber es brauche einen engagierten und kompetenten Partner wie Emch, um solche Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen. Einen Partner, der nicht einfach ein Produkt verkaufe, sondern ein Bauteil konzipiere. Falls ich mehr Unterlagen benötige, könne ich mich jederzeit melden, sagt Stefan Gysel zum Abschied. Mit Plänen sei er nämlich gut ausgerüstet. «So ein schönes Haus, ich konnte fast nicht aufhören zu zeichnen!»
 

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