Hochhaus, Buchs: Turmbau im Rheintal

Zwei Projekte waren gescheitert, als HRS das Areal übernahm. Den gordischen Knoten löste ein Workshopverfahren mit einem einzigen Architekturbüro.

Fotos: Patrik Fuchs
In Zusammenarbeit mit HRS

Zwei Projekte waren gescheitert, als HRS das Areal übernahm. Den gordischen Knoten löste ein Workshopverfahren mit einem einzigen Architekturbüro.

Die Innenstädte sind von Onlinehandel und Shoppingmalls bedroht. Alle Innenstädte? Nein, ein kleines ‹Dorf›, das sich seit 2015 Stadt nennt, widersetzt sich dem globalen Trend zur Desertifikation der Zentren. Im sanktgallischen Rheintal gelegen bietet sich dem Besucher ein eindrückliches Bild. Gerade einmal gut 10 000 Menschen leben in Buchs, und trotzdem verfügt der Ort über ein funktionierendes Zentrum. Dies hat diverse Gründe. Angefangen bei der Topografie über die Siedlungsentwicklung bis hin zur aktuellen Stadt- und Hochhausplanung.

Der Mensch musste hier im Rheintal immer gegen den grossen Fluss kämpfen und sich vor dessen Hochwasser schützen. Der Rhein hat während Jahrtausenden das Tal aufgeschüttet und eine weite Ebene hinterlassen. Sie ist so flach, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner für ihre Burgen und Behausungen erhöhte Standorte an der Talflanke suchten, um vor dem launischen Fluss in Sicherheit zu sein. So auch in Buchs. Das Schloss Werdenberg grüsst, wie es sein Name sagt, idyllisch von der Kanzel einer Anhöhe ins Tal. Der verwinkelte Dorfkern von Buchs liegt ihm zu Füssen. Ein solches Sujet für eine Postkarte oder einen Instagrampost macht allerdings noch keine lebendige Innenstadt.

Blick aus dem Hochhaus

Schnurgerade Bahnhofstrasse

Die Stadt entwickelte sich, wie so oft, mit der Bahn. Nachdem der Rhein gezähmt und die Ebene entsumpft war, war der Talgrund frei für Agrikultur und die 1859 in Betrieb genommene Eisenbahn vom Bodensee nach Chur. Der Bahnhof von Buchs war damals einen Kilometer vom Ortskern entfernt in der Talsenke. Die entstandene Lücke wurde – dem Zeitgeist entsprechend – mit einer schnurgeraden Hauptstrasse quer zum Fluss erschlossen. Eine Strasse, die Buchs mit dem benachbarten liechtensteinischen Schaan auf der anderen Rheinseite verbindet. In Buchs heisst sie Bahnhofstrasse, jenseits der Brücke, im Fürstentum, wird sie sinnfällig zur Zollstrasse.

Zwischen dem Dorfkern und dem Bahnhof bildete sich ein Strassendorf, das später durch die parallel gelegte Grünaustrasse zu einem Stück geplanter Neustadt wurde. Hier finden sich heute sämtliche Angebote des täglichen Bedarfs in einer Art Freiluft-Shoppingmall, einer prosperierenden Innenstadt. Einzig der Kopf der Neustadt beim Bahnhofplatz gleicht noch einer Verkehrswüste. Eingeschnürt zwischen stark befahrenen Strassen und durchkreuzt vom Giessen, dem Stadtbach, liegt das Areal des Restaurants ‹Chez Fritz› zurzeit noch auf einer Insel.

Es erstaunt deshalb nicht, dass die mit der Konzeption des Areals beauftragten Architekten von Staufer & Hasler nach der eingehenden Ortsanalyse zum Schluss kamen, dass dem Ort nicht nur durch ein Bauwerk geholfen werden kann, sondern dass es hier auch eine umfassende Umgebungsplanung braucht. Aus der Insel soll eine Oase werden. Doch der Reihe nach.

Das Hochhaus-Projekt am Bahnhof von Buchs

Über Umwege ans Ziel

Das Areal hat aufgrund seiner prominenten Lage, der komplexen Interessen und diverser baurechtlicher Entwicklungen eine bald 50-jährige Geschichte siehe ‹Planungsgeschichte› Seite 19. Die aktuelle Planung ist der dritte Anlauf für ein Wohn- und Geschäftshochhaus an diesem Ort. Um den vielfältigen Ansprüchen von Städtebau, Architektur, Baurecht, Partizipation und den laufenden Plänen in der direkten Nachbarschaft gerecht zu werden, wählte HRS als Bauherrin ein Workshopverfahren und holte alle Einsprecher der früheren Verfahren mit an den Tisch. Auch die Gemeinde und der Kanton waren im Begleitgremium vertreten. Stephan Mäder, Architekt und Vorsitzender der Begleitgruppe, findet das Vorgehen aufgrund der Komplexität der Aufgabe richtig: «Auch wenn es einem Wettbewerb mit nur einem Teilnehmer nahekommt, war die Ausgangslage aufgrund der rollenden Planung für einen Wettbewerb nicht angezeigt.» Thomas Hasler, der zusammen mit Astrid Staufer 1994 das Architekturbüro Staufer & Hasler in Frauenfeld gründete, schliesst sich dieser Meinung an und ergänzt: «Das Workshopverfahren bietet einen weiteren Rahmen als der Wettbewerb. Für Architekten ist es problematisch, wenn man nur liefern kann, was bestellt wird, und einen Ausschluss riskiert, sobald man über den Tellerrand hinweg denkt.»

Es ist durchaus vorstellbar, dass die Architekten in einem Wettbewerb chancenlos gewesen wären, denn sie schlugen vor, auch die Umgebung massiv zu verändern, inklusive der Verlegung von Strassen, dem Abtausch von Parzellen und eine Verkehrsplanung, die in einer Volksabstimmung bestätigt werden musste. So trug die Verfahrenswahl glücklicherweise dazu bei, dass das Projekt über Umwege ans Ziel gelangte und sich auf dem längeren Weg besser entwickeln konnte. Hasler zeigt sich erfreut, «dass es gelungen ist, ein Projekt zu konzipieren, bei dem alle gewinnen und das allgemein verständlich ist. Es geht uns nämlich nicht darum, nur dem Besteller zu folgen, sondern Potenziale zu schaffen.»

Hochhaus in Buchs von Staufer & Hasler: Das Workshopverfahren löste den gordischen Knoten.

Ein Projekt für alle

Diese Potenziale sind vielfältig. So profitiert nicht nur das Hochhaus von der Freiraumgestaltung am Giessen inklusive ‹Pocket-Park›, sondern auch die gegenüber geplante Erweiterung des Bahnhofplatzes von OSMB Architekten und damit die Visitenkarte für die Bahnreisenden. Das Erdgeschoss des Hochhauses soll publikumsorientierte Nutzungen erhalten und wendet sich auf der Ostseite repräsentativ zum Bahnhof. Auf der gegenüberliegenden Westseite schliesst eine Kolonnade entlang der umgelegten Kappelistrasse den Dorfkern ab. Hier sind Verkaufs- und Gewerbeflächen geplant, während auf der anderen Strassenseite die bestehenden Nutzungen in Zukunft erweitert werden können und grosszügige Aussenräume erhalten. Zur Neustadt hin sieht das Projekt einen Sockelbau mit Büroflächen vor, der sich an den Höhen der Nachbarsbauten orientiert. Darauf ist eine begrünte Dachterrasse für die Mieter der Büros und Wohnungen geplant.

Im Hochhaus sind mehrheitlich mittelgrosse Mietwohnungen vorgesehen, pragmatisch um eine eingezogene Loggia organisiert. Den oberen Abschluss bilden grosse Maisonettes und ein Mehrzweckraum, der der Gemeinde und damit der Bevölkerung zur Verfügung stehen wird. Der Baukörper zeichnet die unterschiedlichen Nutzungen plastisch ab. Vier Obergeschosse des Wohnturms dringen im Schnitt in den Sockelbau und schaffen Platz für Technik-, Wasch- und Kellerräume. Auf diese Weise minimiert sich das kostspielige Volumen im vom Rhein angeschwemmten Untergrund.

Diese vielfältige Gestaltung und Nutzung trägt der Prominenz der Aufgabe und des Orts Rechnung. Oder wie es Hasler formuliert: «Wenn es nur ein Hochhaus im Ort gibt, ist dessen Planung mit einer viel grösseren Verantwortung verbunden. Es prägt das Gesicht des Orts für eine lange Zeit.» Der Anspruch sei, «nicht nur eine Fassade zu einem Programm zu entwerfen, sondern als Architekten Ideengeber zu sein und gewissermassen als Spiritus Rector voranzugehen, nicht in einem arroganten, sondern in einem visionären Sinn.»

Das Projekt hat sich auch im politischen Prozess als stabil erwiesen. Es wurde in einer Volksabstimmung angenommen, und der damalige Kantonsbaumeister und Mitglied der Begleitgruppe, Werner Binotto, setzte sich in einer öffentlichen Veranstaltung für das Hochhaus ein, was HRS besonders freute.

Die Rolle des Architekten

Die Anfänge der modernen Stadtplanung in Buchs stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Damals entwickelte sich auch das Bild des Architekten als Generalisten genialer Prägung: Von der kühnen Vision bis zum Industriedesign war ein einzelner Autor zuständig. Dieses Bild hat sich – ungefähr im gleichen Zeitraum wie die Planungsgeschichte des Buchser Stadtstücks ‹Chez Fritz› – stark verändert. Die unangefochtene Autorenschaft des Architekten ist der Überzeugung gewichen, ihn als Teamplayer oder nur als Dienstleister zu sehen.

Diesem Trend steht die Arbeit von Staufer & Hasler Architekten mit dem Workshopverfahren entgegen. Ihre Arbeit ist geprägt von einem ungebremsten Interesse an Geschichte und Technik der Architektur, sei dies in der Lehrtätigkeit – zurzeit an der Technischen Universität Wien – oder als erfolgreiches Büro mit Projekten in der ganzen Schweiz. Die aus dem Kontext und der Baukultur heraus entwickelten Entwürfe stehen für das neue Bild des Architekten als Generalisten kongenialer Prägung. Die Architektur sieht sich zwar immer noch als Visionärin, aber nicht als Selbstzweck, sondern als gestaltende Vermittlerin dank einer räumlichen und bildhaften Sprache zwischen den Menschen, dem Ort und der Technik.

Brückenbauer zwischen den einzelnen Stakeholdern mit ihren verschiedenen Ansprüchen zu sein, war denn auch die Aufgabe in Buchs. Vernetztes Querdenken war gefragt, etwas, was der Populärphilosoph Richard David Precht als «Inkompetenz-Kompensations-Kompetenz» beschreibt. Das Workshopverfahren mit nur einem Architekturteam ist hier auch gelungen, weil die Aufgabe nicht genau definiert war und der Architektur genug Spielraum liess, um geduldig den gordischen Knoten zu lösen. Nun hofft Buchs, dank dieser Planung weiterhin dem Trend der leeren Geschäfte widerstehen und auf eine lebendige Innenstadt zählen zu können – inklusive ‹Fritz›.

Kommentare

Kommentar schreiben