Eine Zerstörung in Chur
Bei der psychiatrischen Klinik Waldhaus steht eine Arbeitersiedlung mit viel Grünraum. Sie soll für eine Verdichtung zerstört werden. Das ist falsch. Die Bewohnerinnen wehren sich. Sie brauchen Unterstützung.
Da liegt sie nun, die Siedlung Waldhaus: 12 einstige Angestelltenhäuschen der Klinik mit viel Grün, Hecken und 138 Bäumen. In mehr als 70 Jahren ist hier ein Lebensraum für Menschen und Pflanzen, aber auch für eine Tierwelt gewachsen: Wiedehopf, Specht, Gartenrotschwanz, Dorngrasmücke, Ringelnatter und Blindschleiche. Und das alles soll nun samt den Feldern dem Erdboden gleichgemacht werden. Im Endausbau 120 Wohnungen sollen hier entstehen. Auch die Felder hinter der Siedlung sollen überbaut werden. Hier arbeiten auf ihnen Menschen, die keiner „normalen“ Arbeit nachgehen können. Das Ganze ist eine Symbiose aus menschlicher, ökologischer und sozialer Schönheit. Sie soll zerstört werden.
Alte Leiher
Die Argumente für solche Grossprojekte sind immer die gleichen. „Wir brauchen mehr Wohnraum“ heisst es. Bei genauerem Hinsehen haben wir aber auch in Städten wie Chur keinen Mangel an Wohnraum. Viel umbauter Raum an gut erschlossener Lage steht leer. Die Industrie- und Bürobrache ist schweizweit etwa so gross wie die ganze Stadt Genf. Denken wir an alle Büros und Geschäfte, die schon heute ungenutzt herumstehen und in attraktiven Wohnraum umgenutzt werden könnten. Nicht an Beton mangelt es heute in Städten, sondern an Grünräumen und Naturnetzen, wie sie hier noch vorhanden sind. Was fehlt, sind nicht Projekte für Neubauten, sondern städtebauliche Achtsamkeit im Umgang mit bestehender Substanz und gewachsenen Strukturen.
Verdichtung für den Profit
Verdichtung heisst das Schlagwort, das für solche Projekte ins Feld geführt wird. Dahinter steckt nur das Bestreben, den Baugrund nach dem Prinzip der Rendite auszunützen. Verdichtung und Ausnützungsziffer sind Metaphern, die aus der Physik stammen. Man kann ein Gas, Beton oder andere Feststoffe verdichten oder Holzspäne zu Faserplatten pressen, aber man kann vielfältige Lebensräume nicht verdichten. Viel besser wäre es, die Stadt würde hier mit einen Gestaltungsplan für eine sorgfältige Aufwertung und Sanierung dieses Areals sorgen. Vergessen wir nicht: wir stehen vor einer Wende. In dieser unsicheren Zeit ist nur eines sicher. Angesichts schwindender Ressourcen und des Klimawandels mit unabsehbaren Folgen wird uns schon die kommende Generation nicht mehr danken, für das was wir auch noch in die Landschaft gestellt haben, sondern für das, was wir an vielfältigem Lebensraum erhalten haben.
Die Bewohner wehren sich
Die Bewohnerinnen und Bewohner wehren sich. Sie haben einen Film über ihren Lebensraum gedreht. Sie haben eine Petition lanciert. Allein werden sie ihre Siedlung nicht verteidigen können. Sie verdienen und brauchen unsere Solidarität und Unterstützung. Darum: mischen wir uns ein!
Hans Weiss war der erste Beauftragte für Natur- und Landschaftsschutz des Kantons Graubünden und später Mitbegründer und Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz