Kurz vor der Abstimmung über den Projektierungskredit hat sich ein illustres Nein-Komitee formiert. Mit dabei: Architekturhistoriker Stanislaus von Moos – sein Kommentar zum Projekt.
Am 9. Februar entscheidet sich, ob Luzern ein neues Theater bekommt. Dann stimmt die Stadtluzerner Stimmbevölkerung über den Projektierungskredit für die Sanierung und Jahrhunderterweiterung ihres Theaterbaus an der Reuss ab. Es ist davon auszugehen, dass die Vorlage angenommen wird. Das Vorhaben findet quer durch das politische Spektrum Unterstützung. So hat sich der Grosse Stadtrat im vergangenen November einstimmig für den Projektierungskredit ausgesprochen. Dies, weil das Projekt aus betrieblicher und baulicher Sicht rundum überzeuge, sich ideal ins Stadtbild einfüge und als offenes Haus einen grossen Mehrwert für die Bevölkerung und den Kulturstandort Luzern biete, wie das Unterstützungskomitee auf der Website des Theaters Luzern schreibt.
Das Projekt von Ilg Santer Architekten, das sich in einem zweistufigen Wettbewerb gegen 127 andere Teams durchsetzen konnte, wird in Architekturkreisen allerdings kontrovers diskutiert. Auch Hochparterre-Redaktor Ivo Bösch schrieb in seinem Kommentar zum Wettbewerb, dass der Erweiterung trotz oder gerade wegen des überraschenden Erhalts des bestehenden Theaterbaus mehr Bescheidenheit gut täte: «Der Wettbewerb zeigt auch, dass es kein Richtig im Falschen gibt. Alle Entwürfe kämpfen mit der Grösse des Volumens. Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten haben ihren Ursprung im zu grossen Raumprogramm. Ein kleineres Volumen täte auch dem Siegerprojekt gut. Der Entwurf ist in vielen Teilen stimmig, er müsste nur konsequenter auf Bescheidenheit getrimmt werden.» Eine öffentliche Podiumsdiskussion von SIA und BSA im Mai 2024 widmete sich der erfolgten Überarbeitung des Projekts. Die Diskussion, an der prominente Gegenstimmen fehlten, blieb allerdings an der Oberfläche – das Projekt hatte sich nur wenig verändert, es gab wenig Grundlegendes zu besprechen. Hochparterre-Redaktor Tamino Kuny, der das Podium moderierte, bemerkte dazu: «Im Theaterjargon könnte man sagen, das Projekt wurde einfach in die Maske geschickt». Die Grundsatzfrage, ob Luzern eine weitere Ikone braucht (das KKL steht nur 500 Meter weiter vorne am See), wurde zwar aufgeworfen, aber die Bereitschaft, sich auf diese Diskussion einzulassen, war gering. Auch die Frage, ob das neue Luzerner Theater bei seiner Fertigstellung noch zeitgemäss sein wird, kam auf und hallt nach.
Prominentes Nein-Komitee
Es mag auch an diesem anhaltenden Unbehagen liegen, dass sich jetzt, kurz vor der Abstimmung, ein prominentes Nein-Komitee formiert hat. Ihm gehören unter anderem der renommierte Luzerner Architekturhistoriker Stanislaus von Moos sowie die ehemaligen Denkmalpfleger der Stadt und des Kantons Luzern, Ueli Habegger und André Meyer, an. Am vergangenen Freitag hat die illustre Gruppe, die vor allem die Ablehnung des vorliegenden Projekts eint, eine Pressekonferenz abgehalten. Die Vertreter*innen der Gruppe argumentieren unterschiedlich: Ist es für Meyer einmal mehr eine verpasste Chance, mit einem öffentlichen Bau ein neues Zentrum ausserhalb der Altstadt zu bilden und so die Stadt zukunftsweisend zu erweitern (Standortfrage), kritisiert von Moos vor allem die Architektur und plädiert für einen Neustart unter vernünftigen Vorzeichen (Architekturkritik). Hochparterre liegt das Transkript der Pressekonferenz vor. Da von Moos' Beitrag auch unterhaltsam geschrieben und historisch kenntnisreich bebildert ist, bringen wir ihn hier als wertvollen Diskussionsbeitrag:
So Bitte Nicht!
Ein Kommentar von Stanislaus von Moos
Im Mittelpunkt meiner Kritik steht die Qualität des Projekts, das aus dem umständlichen Verfahren hervorgegangen ist und das heute in überarbeiteter, das heisst – so muss man annehmen – definitiver Form vorliegt.
Der vorgesehene Bau setzt sich aus drei scheinbar locker arrangierten Baukörpern zusammen: dem historischen Bau von 1839, links aussen, und zwei weiteren seitwärts anschliessenden, von denen einer, der höhere, vom Boden abgehoben scheint. Das, was vom historischen Theaterbau von Louis Pfyffer von Wyher noch erhalten ist, überlebt als Attrappe: Er enthält gerade noch das Foyer und im Dachstock die Kantine. Die eigentliche Funktion des Theaters ist in Gestalt einer grossen Guckkastenbühne mit 600 Plätzen und zwei weiteren Spielmöglichkeiten in die beiden seitlich angedockten «Kästen» exportiert und auf der Schauseite um ein Restaurant mit Ausblick auf die Reuss erweitert.
Wenn die Rechnung irgendwie nicht aufgeht, so liegt das einerseits an dem vom Bauherrn vorgegebenen, massiv überfrachteten Programm und andererseits an der Absicht der Architekten, das erdrückende Volumen in eine aufgelockerte Form zu zwängen, die entfernt an eine Gruppe von mittelalterlichen Häusern in einer Kleinstadt am See denken lassen soll.
Wie kommt es nun aber, dass eine Architektur, die sich an der malerischen Dachlandschaft einer Kleinstadt orientiert, die Anmutung einer Gruppe von Lagerschuppen am Basler Rheinhafen annimmt? – Das Problem sind die gewaltigen Dimensionen der anvisierten Bauvolumen. Der Schnürboden eines klassischen Opernhauses – und ein solches soll offenbar hier realisiert werden – ist nun einmal etwas anderes als der Estrich des Freienhofs aus dem 15. Jahrhundert (die Möglichkeit, dass Ilg Santer dabei an die Baugruppe dachten, die sich bis 1949 an diesem Standort befand, macht die Sache nur noch schlimmer).
Spätestens an diesem Punkt muss man sich also fragen, ob die mittelalterliche Kleinstadt in spielzeughaft vereinfachter Form überhaupt die adäquate architektonische Bildersprache für die Umsetzung eines derartigen Raumprogramms ist. Ganz abgesehen von dem ärgerlichen Widerspruch, der darin besteht, dass sich die Baugruppe mit ihren Giebeln und mit der mehr als zwölf Meter hohen Vitrine des Restaurants gegen den Flussraum richtet, während die Raumfolge im Innern im rechten Winkel dazu verläuft, nämlich von links nach rechts, vom alten Theater zur Jesuitenkirche.
Die Architekten scheinen das unfreiwillige Pathos einer ausgemusterten Schiffswerft dadurch neutralisieren zu wollen, dass sie ihm ein silbern schimmerndes Paillettenkleid überwerfen, was ja vielleicht eine sympathische Idee ist. Wäre das Ganze als Provisorium gedacht, etwa vergleichbar mit der riesigen 1901 errichteten Festhütte neben dem Luzerner Bahnhof (eine pseudomittelalterliche Schiessbude im wörtlichen Sinn; sie war auch als Hintergrund für das damals anberaumte Eidgenössische Schützenfest gebaut worden, blieb dann aber über ein Vierteljahrhundert stehen), so wäre heute wenig dagegen einzuwenden. Abgesehen vielleicht von der Frage, ob die groteske fasnächtliche Karambolage wirklich an dieser exponierten Stelle im Stadtbild inszeniert werden muss.
Manche reden heute von «Hundehäuschen», andere von «Chrüsimüsi». Man braucht solche Reaktionen nicht auf die Goldwaage zu legen. Immerhin ist der Volksmund ein untrügliches Indiz dafür, dass es in Luzern offenbar eine grössere Zahl von Menschen gibt, die von einem neuen Theaterbau etwas anderes erwarten als gebauten Schabernack. Nämlich entweder ein vernünftiges Mass an Zurückhaltung gegenüber dem über Jahrhunderte gewachsenen Stadtbild oder aber das gestalterische Vermögen, dieses Stadtbild durch einen Akzent zu bereichern, der an Bauten wie der Jesuitenkirche, dem Wasserturm oder dem KKL Mass nimmt.
Für die Gegenpartei – mit anderen Worten das offizielle Luzern – sind solche Überlegungen offensichtlich sekundär. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, das nun einmal gegebene, elitäre Prinzip eines traditionellen Dreispartentheaters mit populistischen Argumenten unter die Leute zu bringen. Der Neubau sei «kein Tempel wie im 19. Jahrhundert», heisst es, und darüber hinaus auch keineswegs «nur für die Hochkultur» gedacht. Es grenzt schon an Kühnheit, einerseits ein Programm aufzustellen, das einerseits in fast jeder Hinsicht auf die Zelebration traditioneller bildungsbürgerlicher Feierabendkultur hinausläuft (mitsamt dem damit verbundenen, aufgeblähten Verwaltungsapparat) und andererseits mithilfe von Architektur um die Zustimmung eines Publikums zu buhlen, das sich an der Ästhetik des Samstagabendprogramms im Fernsehen orientiert.
Zum Luzern des 21. Jahrhunderts
Zwei Bemerkungen zum Schluss. Ich teile die Meinung Vieler, der zufolge schon die Weichenstellung, die dem Programm zugrunde lag, problematisch war, ja im Grunde verfehlt. Der gewählte Platz ist zu eng bemessen für ein Theater, das Räume für drei äusserst verschiedenartige Sparten unter einem Dach vereinen soll. Ich teile auch die Meinung, dass die Luzerner Innenstadt nicht weiter durch kommerzielle und kulturelle Grossprojekte belastet werden kann und soll, weil diese nämlich ein gewaltiges Verkehrsaufkommen nach sich ziehen und die Mietpreise für Wohnraum erst recht in die Höhe treiben.
Nun gibt es natürlich auch jene, die sich auf den Standpunkt stellen, es sei eine Frage der entwicklungsgeschichtlichen Logik, dass sich die Innenstadt mit der Zeit entvölkert und die Bahnhofstrasse entlang der Reuss mittel- und längerfristig zur zentralschweizerischen Event-Zone aufgeputscht wird, die vom KKL über den Bahnhof bis zur Jesuitenkirche reicht – in Analogie zu dem Prozess, der die rechtsufrige Seefront seit den 1830er Jahren in einen kompakten Hotelprospekt mit Quaianlagen verwandelt hat, vielleicht die grossartigste Anlage dieser Art in der Schweiz.
Wenn das die Dynamik ist, an der sich das Luzern des 21. Jahrhunderts zu orientieren hat, dann muss sich die Architektur dieser Herausforderung stellen. Es gab unter den eingereichten Projekten durchaus solche, die zeigen, wie man sich eine solche Entwicklung vorstellen könnte.
Offensichtlich sind aber die Prämissen für eine solche Strategie heute nicht gegeben. Es gibt daher meines Erachtens keine Alternative zum Übungsabbruch.
Die Losung heisst: Denkpause.
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Es gibt keinen vernünftigen Plan ohne einen Plan B.
Stanislaus von Moos