Max Frisch wie man ihn kennt: schwarzweiss und mit Pfeife. (Bild: Jack Metzger, ETH-Bibliothek, Zürich)

«man ist nicht realistisch, indem man keine idee hat.»

Lucius Burckhardt, Max Frisch und Markus Kutter übten in den 1950ern Fundamentalkritik an der Schweizer Planungspraxis. Die Neuauflage ihrer drei «Basler Politischen Schriften» – darunter die berühmte Streitschrift ‹achtung: die Schweiz› – bietet Diskussionsstoff für die Gegenwart. Am 15.3. diskutieren Angelus Eisinger, Vittorio Magnago Lampugnani, Anna Schindler und Charlotte von Moos an der ETH Zürich.


«man ist nicht realistisch, indem man keine idee hat.»

Mit diesem mittlerweile berühmten Satz nahmen der Soziologe Lucius Burckhardt, der Architekt und Schriftsteller Max Frisch und der Historiker Markus Kutter die harsche Kritik vorweg, die sie 1955 nach der Publikation von ‹achtung: Die Schweiz› ernteten. Sie warfen der Schweiz einen Mangel an Ideen und Mut vor – an Identität im grossen Systemkampf von Kapitalismus und Kommunismus – und forderten als Landesausstellung 1964 eine Neustadtgründung im Mittelland. Über 200 Zeitungsartikel und zahllose Diskussionsveranstaltungen zeigten: Es mangelte weder an flammender Unterstützung noch an Vorwürfen oder Bedenkenträgern.

‹achtung: die Schweiz› war der zweite von drei Bänden der «Basler Politischen Schriften» des Dreigespanns. Beim ersten hatte Max Frisch bloss das Vorwort beigesteuert, darin aber die Diagnose der zwei «Planungslaien» unterstrichen: Planung passiere im Hinterzimmer von Spekulanten und Experten , die Planungsinstrumente taugten wenig und es fehle eine gesellschaftliche Idee für das Zusammenleben. Zur Erinnerung: Bürgerbeteiligung und Raumplanung, wie wir sie heute kennen, steckten damals nicht einmal in den Kinderschuhen, höchstens im Embryonalstadium. Die Forderung einer demokratischeren, soziologischeren und stärkeren Planung war brandaktuell.

Heute erscheint der kämpferische und appellative Impetus der Texte reichlich historisch und man ist froh, dass aus der funktionalistisch erträumten Neustadtgründung nichts wurde. Trotzdem sind die Kernthemen der Schriften aktueller denn je: Gibt es eine Idee, wie wir zusammen leben wollen? Welche Bedeutung haben gesellschaftliche Überlegungen in der Planungspraxis gegenüber Experten, Behörden und Investoren? Wie lassen sich Zersiedelung, Verkehrswachstum und die Zerstörung von Baubestand verhindern? Sind die Baugesetze auf kleinem Massstab zu einschränkend und die Leitplanken grossräumlicher Planung zu lax?

Der Zürcher Triest Verlag hat die drei Schriften in einem Sammelband originalgetreu nachgedruckt. Im Rahmen der Ausstellung des Max Frisch-Archivs «Es wird nicht über Literatur gesprochen. Der Architekt Max Frisch» werden kommenden Mittwoch Abend die Inhalte besprochen: als wertvolles Zeitdokument und aus heutiger Sicht. Unter der Moderation von Hochparterre-Redaktor Palle Petersen diskutieren: Angelus Eisinger (Regionalplanung Zürich und Umgebung), Vittorio Magnago Lampugnani (Architekt und emeritierter ETH-Professor für Geschichte des Städtebaus), Anna Schindler (Direktorin Stadtentwicklung Zürich) und Charlotte von Moos (Architektin und Mitherausgeberin von ‹achtung: Die Landschaft›).

‹achtung: unsere Stadt – Max Frisch und der Städtebau von morgen›

Vortrag und Podiumsdiskussion

– Ort: ETH Hauptgebäude, Hörsaal E5, Rämistrasse 101, Zürich
– Zeit: Mittwoch 15.3.2017, 18.00 Uhr Vortrag von Angelus Eisinger, 18.30 Uhr Podiumsdiskussion, 19.30 Uhr Apéro, Buchverkauf und Ausstellungsbesuch

– Veranstalter: Triest Verlag, Zürich und Max Frisch-Archiv, Zürich

‹Es wird nicht über Literatur gesprochen. Der Architekt Max Frisch›

Ausstellung

– Ort: ETH-Bibliothek, Rämistrasse 101, Zürich

– Zeit: 18.4.2016 bis 31.3.2017, Mo-Fr 10-17 Uhr

‹achtung: die Schriften›

Reprint der Bände 1–3 der «Basler Politische Schriften» (wir selber bauen unsre Stadt / achtung: die Schweiz / die neue stadt), Deutsch, 244 Seiten, 22 Abbildungen

– Autoren: Lucius Burckhardt, Max Frisch, Markus Kutter

– Gestaltung: Karl Gerstner

– Herausgeber: Triest Verlag, Zürich 2017

– Preis: Fr. 39.– (bei Hochparterre Bücher)

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