Werner Huber ist Architekt und Redaktor sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Zeitschrift Hochparterre. Fotos: Jonas Weibel
In Zusammenarbeit mit Kanton Zürich, Theo Hotz Partner, HRS

PJZ kontrovers: «Es kommt auf die Mischung an»

Im Themenheft zum Polizei- und Justizzentrum in Zürich setzen sich zwei Hochparterre-Redaktoren mit dem Städtebau auseinander. Werner Huber findet: Die Stadt erträgt ein solches Volumen an diesem Ort.

Schon vor über sechzig Jahren hatte Jane Jacobs erkannt, wie wichtig für eine funktionierende Stadt die Mischung unterschiedlicher Nutzungen in kleinteiligen Strukturen ist. Basierend auf ihren Erkenntnissen aus dem bedrohten New Yorker Greenwich Village schrieb sie 1961 das Buch ‹The Death and Life of Great American Cities›. Jacobs hätte am Polizei- und Justizzentrum wohl keine Freude: ein grosser Block mit gerade mal drei Eingängen – durch die ausser den im Haus Beschäftigten erst noch kaum jemand freiwillig hineingehen möchte.

Doch eine Stadt besteht nicht nur aus kleinteiligen Strukturen mit lebendigen Nachbarschaften und hippen Läden und Restaurants. Weder Zürich noch New York. Zu einer Stadt gehören auch Bauten im grossen Massstab: Bahnhöfe, Theater, Hochschulen, Tramdepots, Kehrichtverbrennungsanlagen, Lagerhäuser und – je länger, je weniger – Fabriken. Und nicht alle dieser grossen Brocken sind gleich öffentlich zugänglich. Am Ende macht es die Mischung aus, ob ein Quartier, eine Stadt lebenswert ist.

Zugegeben: Beim PJZ ist diese Mischung noch nicht vorhanden. Als Gegenüber hat es die unattraktiven Rückseiten der Häuser an der Hohlstrasse, Richtung Hardbrücke breitet sich eine grosse Brache aus. Einzig das ‹Art Dock› in den Überresten des Güterbahnhofs setzt einen bunten Akzent. Doch schon in zwei Jahren soll auf der Brache eine neue Kantonsschule ihren Betrieb aufnehmen, in Provisorien zunächst, später in definitiven Bauten. Die 650 Schülerinnen und Schüler werden einen lebendigen Kontrapunkt zum verschlossenen PJZ setzen. Wenn dann dereinst die Grundstücke zwischen Hohlstrasse und Güterstrasse entwickelt werden, kann aus der jetzigen Rückseite die zur Allee gerichtete Vorderseite werden. Ob dies im Rahmen des Masterplans von Gigon / Guyer passieren wird oder aus dem Bestand heraus, ist irrelevant. Hauptsache, die Mischung stimmt.

Abgeschlossener Ort, aber keine Barriere
Ab dem Ersten Weltkrieg, als der zuvor offene Exerzierplatz geschlossen wurde, war das Kasernenareal über Jahrzehnte nicht nur ein verbotener Ort, sondern auch eine Barriere an einer Schlüsselstelle zwischen Innenstadt und Aussersihl. Die teilweise Öffnung 1987 änderte daran wenig. Auch das neue Polizei- und Justizzentrum ist ein abgeschlossener Ort. Aber es ist keine Barriere. Denn das PJZ steht nicht als erratischer Block mitten im Stadtgefüge, sondern an dessen Rand. Hinter dem Gebäude liegt unüberwindbar das Gleisfeld des Vorbahnhofs mit Gleissträngen, Abzweigungen und Viadukten. Das PJZ stellt sich niemandem in den Weg und kappt keine Verbindungen. Es legt sich einfach mit seinem breiten Rücken an das Gleisfeld und bildet so die Stadtkante von Aussersihl. Gerne sagt man, dass ein Gleisfeld eine Stadt in zwei Hälften teile. Das sieht zwar oft so aus, ist aber in der Regel nicht der Fall. Denn meistens waren die Gleise schon da, als die Stadt wuchs und sich an die Gleisfelder schmiegte. Das war auch in Zürich so, wie historische Luftaufnahmen von Ballonfahrer Eduard Spelterini illustrieren. 1847 fuhr die erste Bahnlinie der Schweiz noch durch Felder und Wiesen von Zürich Richtung Baden. Auch mehr als fünfzig Jahre später waren beide Seiten des Vorbahnhofs weitgehend unbebaut; einzig der Güterbahnhof stand, lang und breit, an seinem Ort.

Was hier passiert, gab es schon vorher
Oder sind es am Ende gar nicht die Grösse und der Standort des Polizei- und Justizzentrums, die bei vielen ein Unbehagen auslösen, sondern die Nutzung? Klar: Niemand hat gerne mit der Polizei oder mit der Justiz zu tun. Für manche sind aufgrund politischer Überzeugungen diese Institutionen ein Feindbild oder zumindest eine Projektionsfläche dafür. Doch letztlich gehört ein funktionierendes Polizei- und Justizwesen zu den Voraussetzungen eines funktionierenden Staates.

Wie viel Raum diese Funktionen im Kanton Zürich einnehmen, erstaunt angesichts des PJZ tatsächlich. Aber das, was jetzt im PJZ geschieht, passierte auch schon vorher, einfach auf 31 Standorte verteilt. Aus den Augen, aus dem Sinn? Macht dies die ‹Staatsmacht› weniger mächtig? Nein. Also dürfen sich diese Funktionen auch im Stadtbild manifestieren.

Dieser Beitrag stammt aus dem Themenheft «Imposanter Stadtbaustein», das Hochparterre in Zusammenarbeit mit dem Kanton Zürich, Theo Hotz Partner Architekten und HRS realisiert hat. Es liegt der abonnierten November-Ausgabe von Hochparterre bei und kann im Shop bezogen werden.

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