«Ich möchte in keiner einzigen Neubausiedlung leben»: Jürg Sulzer in seiner Wohnung in Zürich. Fotos: Urs Walder

Heimat schaffen mit Jürg Sulzer

Jürg Sulzer (82) wurde geprägt vom Studium in Berlin und war Stadtplaner in Bern. Im Rückspiegel pladiert der Architekt für «Raumgeborgenheit» und umsichtiges Weiterbauen unserer Städte.

Jeden Backstein der Kirche Saatlen in Zürich-Schwamendingen habe ich für den Architekten Claude Paillard gezeichnet, kurz nach meiner Hochbauzeichnerlehre. Der war ja ein Pingelkopf! Aber es war eine grosse Leistung, in dieses Siedlungschaos eine Skulptur zu setzen, die Ruhe schafft. Bereits in den 1960er-Jahren fehlte mir der räumliche Zusammenhang in der Agglomeration. Dem wollte ich etwas entgegensetzen und deshalb Städtebau studieren. In der Schweiz hätte ich damals nur Techniker werden können, also ging ich nach Berlin. Ich studierte bei Thomas Sieverts und Hardt-Waltherr «Gustav» Hämer; es war ihr erstes Semester an der Uni. Beide gehörten einer Professorengeneration an, die sich gegen den Totalabriss der Stadt wehrte und stattdessen die Stadtreparatur forderte. Sie brachen mit der Ideologie der 1960er-Jahre. Das Märkische Viertel in Berlin, eine modernistische Plattenbausiedlung, war der Höhepunkt der Entwicklung einer nichturbanen Stadt und der Startpunkt der 68er-Bewegung. Für eine ganze Generation steht das Quartier symbolisch für «So nicht mehr!». Diese Haltung hat mein Denken geprägt. Behutsam mit dem Kulturgut umgehen Für die Schweiz dagegen war Le Corbusier immer der grosse Meister, obwohl sein ‹Plan Voisin› schon damals komplett daneben war. Er wollte die Pariser Innenstadt abreissen und die Bauten durch Hochhäuser und Scheiben ersetzen. Nicht nur Architekten, auch vielen Eigentümerinnen fehlt das Bewusstsein, dass mit gutem Städtebau alle gewinnen. Das Kulturgut Stadt sollte an oberster Stelle stehen. Damit muss man behutsam umgehen, sonst entstehen Anonymität und Kälte. Ich möchte in keiner einzigen Neubausiedlung leben. Heute wird wie in den 1970er-Jahren einfach Wohnraum realisiert, so schnell wie möglich. Wenn wir Hochhäuser und Gebäudeschluchten bauen, flüchten die Menschen in ein schnuckeliges «Hüüsli» in Graubünden. Wir müss...
Heimat schaffen mit Jürg Sulzer

Jürg Sulzer (82) wurde geprägt vom Studium in Berlin und war Stadtplaner in Bern. Im Rückspiegel pladiert der Architekt für «Raumgeborgenheit» und umsichtiges Weiterbauen unserer Städte.

E-Mail angeben und weiterlesen:

Geben Sie uns Ihre E-Mail-Adresse und wir geben Ihnen unseren Inhalt! Wir möchten Ihnen gerne Zugriff gewähren, obwohl dieser Beitrag Teil unseres Abos ist.