Velochance an der Zuger Artherstrasse – Teil 1

Die Veloroute zwischen Zug und Arth wäre perfekt zum Pendeln und Freizeitfahren. Aber sie ist teils abweisend oder gefährlich. Eine Studie macht Vorschläge für die exemplarisch vertrackte Situation.

In Zusammenarbeit mit Energie Schweiz

Die Veloroute zwischen Zug und Arth wäre perfekt zum Pendeln und Freizeitfahren. Aber sie ist teils abweisend oder gefährlich. Eine Studie macht Vorschläge für die exemplarisch vertrackte Situation.

Auf der digitalen Karte von SchweizMobil sieht er grossartig aus, der Weg mit dem Velo von Zug nach Arth. Die Teilstrecke der Veloroute 51 Säuliamt-Schwyz schlängelt sich dem östlichen Ufer des Zugersees entlang und verspricht Aussicht auf Rigi und Pilatus. Rund 38 Minuten soll es mit dem Velo dauern. Im Kopf entstehen Bilder gemütlicher Sonntagsfahrten auf breiten Velowegen, bevölkert von Kindern und Erwachsenen, von Einheimischen und Touristinnen.
 
Aussichtsstrasse für Autos
Die Bilder kommen nicht von ungefähr. Die Artherstrasse wurde zwischen 1930 und 1939 als Panoramastrecke ausgebaut – allerdings für Autos, nicht für Velos. Historische Elemente wie die Aussichtkanzeln zum See, sorgfältig gestaltete Brüstungen aus Beton und die Stützmauer aus Naturstein, die noch in Teilen erhalten sind, zeugen von Sensibilität für die Landschaft. Ab den Sechzigerjahren reichten die sechs Meter Fahrbahn und zwei Meter Trottoir aber vielerorts nicht mehr aus. Mehrere Abschnitte der Kantonsstrasse wurden für Tempo 80 verbreitert, Mauern und Brüstungen dem Sicherheitsempfinden angepasst und mit wenig Rücksicht auf die ursprüngliche Gestaltungsidee erneuert. Heute ist die Artherstrasse im Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz (IVS) als historischer Verkehrsweg von nationaler Bedeutung verzeichnet.

Ausbauphase in den Sechzigerjahren: Bei Walchwil wird 1968 eine breitere Brücke vor die alte Strasse gesetzt. Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
Da ist die Artherstrasse bereits verbreitert. Die Aufnahme von 1970 belegt auch die Schönheit der Seeuferlandschaft. Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

 
Es wird eng fürs Velo
Dass die Strasse heutigen Geschwindigkeits- und Platzansprüchen nicht mehr genügt, zeigt auch die Analyse in der «Ideenskizze Veloverkehr entlang Zugersee, Stadt Zug bis Gemeinde Arth», die das Büro TEAMverkehr.zug 2022 erarbeitet hat. Querschnitte der Strecke illustrieren, wie viel Platz für das Velo bleibt – es ist nicht viel. Mit Ausnahme eines über drei Meter breiten Trottoirs zur Mitbenützung für den Veloverkehr am südlichen Zuger Stadtausgang sind es bestenfalls Velowege von 1,25 Metern in beiden Richtungen, wie in Zug, Leimatt und Arth. Im schlechteren Fall herrscht Mischverkehr – bei Tempo 50 in Hörndli und Walchwil oder sogar bei Tempo 80 auf der Höhe Tafelstättli, eingeklemmt zwischen Stützmauer und Böschung – und ohne Trottoir als Ausweichmöglichkeit. Das gibt Muffensausen, wenn ein Lastwagen zum Überholen ansetzt. Das idealisierte Bild der fröhlich dahinfahrenden Velofamilie verpufft.

Alle paar hundert Meter herrschen neue Regeln: Heutige Situation an der Artherstrasse. Quelle: Teamverkehr.Zug


Potenzial beim Pendelverkehr
Victor Zoller, Co-Präsident von Pro Velo Zug, kennt die Sorgen: «Die Strecke ist schon ewig ein Thema. Die «Gümmeler» lassen sich von den gefährlichen Engstellen nicht abhalten, die Rundtour um den Zugersee ist als Trainingsroute beliebt. Zwischen Arth und Immensee nimmt der Verkehr ab, und von Immensee über Cham nach Zug ist die Fahrt ein Traum». Grosses Potenzial sieht er für das Freizeitfahren und vor allem für den Pendelverkehr. «Im Ballungsraum Walchwil und im Kanton Schwyz steigt die Siedlungsdichte. Für den Alltagsveloverkehr sind die nur gerade gut 15 Kilometer von Arth nach Zug darum interessant.» Mit einem schnellen E-Bike wäre die Strecke bei guten Bedingungen in rund 20 Minuten zu schaffen. Eine ideale Strecke also für eine vorbildliche Velonetzplanung?
 
Tempo senken als Voraussetzung
Dass die Idee wieder an Fahrt aufgenommen hat, ist vor allem Daniel Brunner zu verdanken. Der als «roter Dani» bekannte Landis&Gyr-Erbe hat die «Ideenskizze Veloverkehr» in Auftrag gegeben, lässt sein Netzwerk spielen und scheut auch den Rechtsweg nicht. 2016 etwa erstritt er vor Bundesgericht zum zweiten Mal das Recht für Tempo 30 auf Hauptstrassen. Mit Oscar Merlo und David Steiner von TEAMverkehr.zug hat er für die Artherstrasse zwei Varianten für eine neue Strassenaufteilung entwickelt – einmal mit einem durchgehenden Velo- und Fussweg und einmal mit einer «Kernfahrbahn» mit Mischverkehr in Oberwil und Walchwil. Unausweichlich scheint den Studienautoren die Tempoanpassung. Innerorts setzen sie auf Tempo 30, zwischen den Ortschaften auf Tempo 40 und ausserorts auf Tempo 60. Niedrigere Geschwindigkeiten sind Dani Brunner ein doppeltes Anliegen: Seit 1990 wohnt er an der Artherstrasse und hat mit fast 20 Bewohnern und Eigentümerinnen beim Kanton ein formelles Gesuch für eine Lärmsanierung des Abschnitts vom Casino bis zur Räbmatt gestellt.

In der «Ideenskizze Veloverkehr entlang Zugersee, Stadt Zug bis Gemeinde Arth» schlägt das Büro Teamverkehr.Zug Vereinfachungen und Temporeduktionen vor. Quelle: Teamverkehr.Zug

Der Vorschlag für eine neue Regelung – Variante 1. Quelle: Teamverkehr.Zug

Vorschlag für eine neue Regelung – Variante 2. Quelle: Teamverkehr.Zug

 
Lärm als Anstoss
Die Lärmschutzverordnung ist ein wichtiger Hebel fürs Velo. Wo das Tempo reduziert wird, wird die Strasse für den Langsamverkehr attraktiver. Langsamere Fahrgeschwindigkeiten erlauben aber auch schmalere Fahrbahnen fürs Auto, womit mehr Platz für abgetrennte Velo- und Fussgängerwege bleibt. Auch auf bürgerlicher Seite sind Temporeduktionen kein No-Go mehr. Der Walchwiler FDP-Gemeinderat René Peyer meint dazu: «Wir begrüssen den durchgehenden Veloweg und sind natürlich für Verbesserungen zu haben. Aber ob die durchgehende Temporeduktion richtig ist, stellen wir in Frage. Grundsätzlich sind aber 30er-Zonen schweizweit salonfähiger geworden als noch vor 15 Jahren.» Für die Dorfstrasse, die von der Artherstrasse hoch ins Zentrum von Walchwil führt, beginnt dieses Jahr die Planung einer vom Agglomerationsprogramm 4. Generation unterstützten Umgestaltung – inklusive Temporeduktion.
 
Und in Schwyz?
Der Strassenabschnitt von Arth nach Walchwil liegt im Kanton Schwyz und heisst dort Zugerstrasse. Für die dortige Veloroute setzt sich der frühere SP-Kantonsrat Andreas Marty ein. «Zwischen Arth und Walchwil hat es kein Trottoir entlang der sieben Meter breiten Zugerstrasse, und seit zwei Jahren befährt auch kein Bus mehr diese Strecke. Wer dort wohnt, dem bleibt nur das Auto, um ins nächste Dorf zu kommen. Gäbe es einen schönen und sicheren Veloweg, würde er genutzt, davon bin ich überzeugt». 2020 hat er das Postulat «Mehr Sicherheit für Fuss- und Veloverkehr auf der Zugerstrasse von Arth nach Walchwil» eingereicht, das überparteiliche Unterstützung erhielt. Was die Temporeduktion angeht, ist er mit den Studienautoren einig: «Höhere Geschwindigkeiten führen dazu, dass man Strassen verbreitern muss. Dadurch kostet ein Ausbau schnell Millionen mehr oder wird fast unmöglich wegen des Landschafts-, Gewässer- und Denkmalschutzes. Oder weil sich Bodenbesitzer quer stellen.» Soweit kam es auf der Strecke zwischen Arth und Walchwil aber nicht: Das Sanierungs- und Ausbauprojekt ohne Temporeduktion, das auf das Postulat folgte, wurde ebenfalls im Agglomerationsprogramm eingegeben – und vom Bund abgelehnt. Dennoch will es André Rüegsegger, Landammann und Vorsteher des Baudepartements des Kantons Schwyz, weiterverfolgen: «Der Ausbau einer rund zwei Kilometer langen Strecke, die auch noch in einem äusserst anspruchsvollen Gebiet zwischen See und unmittelbar ansteigendem Gelände liegt, ist ein grosses Projekt. Daraus folgt ein aufwändiges Planungs- und Bewilligungsverfahren. Wir sehen darum im Moment von genaueren Angaben zum zeitlichen Verlauf ab.»

So könnten neue Strassenquerschnitte aufgeteilt werden – Vorschläge 1 bis 3. Quelle: Teamverkehr.Zug

Vorschläge 4 bis 6. Quelle: Teamverkehr.Zug

Vorschläge 7 bis 9. Quelle: Teamverkehr.Zug

 
Chance auf Vorzeigebeispiel
Auf der Artherstrasse, eingezwängt zwischen See und Hang, prallen die Partikularinteressen besonders heftig aufeinander: Hier das Bedürfnis nach einem attraktiven, sicheren und wo immer möglich vom motorisierten Verkehr abgetrennten Veloweg und dort der Wunsch nach freier Fahrt mit dem Auto. Die historische Strecke ist gleichzeitig Kantonsstrasse, als Radverbindung eine Hauptroute und SchweizMobil-Route. Sie ist sowohl touristisch wie auch für den Alltagsverkehr relevant, und sie führt zwischen Walchwil und Arth über die Kantonsgrenze – für eine befriedigende Lösung ist die Zusammenarbeit der beiden Kantone unabdingbar. Gerade diese widersprüchlichen Anforderungen sind eine Chance, um exemplarische Lösungen zu suchen und bei der kantonalen Velonetzplanung vorbildlich voranzugehen.
 
Fortsetzung folgt
Die Temporeduktion ist politisch unbeliebt, der Ausbau der Strasse mit einem durchgängig abgetrennten Veloweg aus dem Blickwinkel von Denkmal-, Landschafts- und Gewässerschutz schwierig. Eine Pattsituation. Wäre da nicht das Veloweggesetz, das die Kantone seit 2023 verpflichtet, ihre Velonetzplanung innert fünf Jahren abzuschliessen und die Massnahmen innert 20 Jahren umzusetzen. Der Zuger Abschnitt befindet sich zurzeit in der internen Vernehmlassung der Baudirektion. Im April will sie darüber informieren. Ob die beiden reichen Kantone die Chance zum Vorzeigeprojekt packen und wie die verschiedenen Akteure reagieren, wird demnächst der zweite Teil dieses Artikels berichten.

Mit grosser Sorgfalt gestaltet: Situation in der Nähe von Lotenbach, wo Strasse und Schiene zwischen See und Steilhang geschickt übereinandergelegt sind. Foto: IVS

 

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