Rosen, trotz allem

Josephine Rowe wuchs in Australien auf. Als Writer in Residence in Zürich hat sie sich auf Spurensuche nach ihren Schweizer Vorfahren begeben – und auf eine Zeitreise.

Fotos: Simon Gross

Josephine Rowe wuchs in Australien auf. Als Writer in Residence in Zürich hat sie sich auf Spurensuche nach ihren Schweizer Vorfahren begeben – und auf eine Zeitreise.

Bis ich die Einladung erhielt, wäre mir nicht eingefallen, in die Schweiz zu reisen, nicht im Traum. Obwohl der mütterliche Zweig meiner Familie aus der Schweiz ausgewandert war und obwohl meine Mutter, die zur Selbstmythologisierung neigte, immer wieder mal wehmütig, auch ein bisschen hochtrabend, auf unser Schweizer Erbe anspielte, vielmehr: auf unser Deutschschweizer Erbe (weil gute Mythologie nicht ohne heilige Details auskommt). Ich kann nicht sagen, inwieweit die Schweiz-Beschwörungen ein privates Bedürfnis meiner Mutter befriedigten oder ob sie mehr uns galten: Verzierungen mit dem Zweck, uninteressierte Kinder bei der Stange zu halten. Vielleicht waren sie auch einfach Selbstvergewisserung einer isolierten Mutter, die sich aus nie thematisierten Gründen mit ihren Eltern und Geschwistern überworfen hatte und ihre Kinder hauptsächlich allein aufzog, dabei eine Reihe von Trailerparks und Sozialunterkünften durchlief, wo nichts auf Dauer angelegt war. Irgendwo waren Wurzeln, tiefe Wurzeln, war eine ureigene und unumstössliche Zugehörigkeit zu einem Ort. Unterdessen züchtete sie Rosen, auf kommunalem Boden: eine gelbe, zitronig duftende Art und eine alte australische Sorte in Rosa, die ihren Namen trägt. Ich habe immer Bewunderung empfunden, wenn jemand auf gemietetem Grund etwas anpflanzt, was das Mietverhältnis mit Sicherheit überdauern wird. Erst jetzt, da ich dies schreibe, begreife ich, dass auch meine Mutter zu dieser Spezies gehört hat. Lange ist mir diese Besonderheit entgangen: dass sie eine war, die Rosen züchtete, trotz allem. Sie starb jung, wie schon ihre Mutter jung gestorben war, wie meine vier Schwestern und ich junges Sterben immerhin für möglich halten. Sie hat Australien nie verlassen, und ihr engster Kontakt mit der Schweiz war die Zigarettenmarke St. Moritz Menthol, die sie als junge Frau rauchte. Einmal, fällt mir jetzt wieder ein, hing in ...

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