Der Lewinsky, der kann’s. Er ist ein literarischer Stockzahnlächler, freut sich der Stadtwanderer.

Übers Kreuz

Loderer liest die Geschichte einer Männerfeindschaft. In «Rauch und Schall» hat Johann von Goethe Schreibstau. Sein Schwager heilt ihn. Doch die Therapie zeugt einen Bestseller, der vom falschen Dichter ist.

Das ist ein Buch nach meinem Geschmack. Warum? Weil es so sauber konstruiert ist. Der Dichterfürst und der Hungerleider treffen aufeinander wie das Plus und Minus der Algebra. Und verwandt sind sie erst noch, ist doch der Vielschreiber Christian August Vulpius seiner Exzellenz, des Staatsministers Johann von Goethes Schwager. Dazwischen steht das Kebsweib Christiane Vulpius, die Schwester des Hungerleiders. Klein August der siebenjährige uneheliche Sohn ist auch noch da und stellt naseweise Fragen. Über allen schwebt seine Hoheit, der Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, dessen poetische Aufträge die Geschichte in Gang setzen. Waldenfels, ein Schauspieler ohne Engagement zieht eine krumme Linie durch die wohlkalkulierte Affäre. Daneben treten noch einige Damen von Adel auf.


Wie sich’s gehört, ist’s eine Verwirr- und Verwechslungsgeschichte. Goethe also hat Schreibstau und auch Hämorrhoiden. Beides macht ihm Selbstzweifel. Ist seine Schöpferkraft erloschen? Da bestellt der Herzog bei seinem persönlichen Dichter ein Lobgedicht, doch der kriegt nicht den mickrigsten Reim zustande. Aus seiner Not hilft ihm der Schwager Vulpius, der das Auftragsgedicht in einer Nacht hervorsprudelt. Seine Hoheit, der Herzog ist mit dem Machwerk, Goethes Urteil, hoch zufrieden. Man kann sich auf seinen Dichter verlassen. Doch Goethe plagt der Schreibstau immer noch und Vulpius weiss Rat. Er, der Dichterfürst, solle sich von seinen hohen Ansprüchen lossagen und einfach mal drauflosschreiben. Was Johann Wolfgang tut und eine Räuberpistole hinsudelt, der Nase nach und ohne Literaturverstand. Ort der Handlung Kalabrien, die Bösen sind bös und die Guten gut. Garniert ist die Schauergeschichte mit Edelmut, Männerstolz, Frauenliebe und Mondschein. Der Held heisst Rinaldo Rinaldini, der wird später den Deutschlehrern bekannt sein. Die Therapie wirkt, der Schreibstau löst sich, Goethe kann wieder dichten. Da macht er sich an die Überarbeitung des Faust.


Goethes Sudelroman veröffentlicht Vulpius unter seinem Namen und das Buch wird ein Riesenerfolg. Wüsste die literarische Gemeinde, dieses Machwerk, des Herzogs Urteil, stamme vom Verfasser des Werther und des Tasso, wäre Goethe blamiert und fiele vom hohen Denkmalsockel herab, auf dem er als Originalgenie thront. Der Dichterfürst und der Hungerleider lösen das Problem durch eine nächtliche Prügelei und gegenseitiges Stillschweigen.


Konstruktiv ist’s eine Kreuzlage. Wie du mir, so ich dir, ein labiles Gleichgewicht. Die Handlung schnurrt ab wie ein Uhrwerk, da erzählt einer, der sein Handwerk beherrscht. Goethe aber den Rinaldini schreiben zu lassen, das ist wahrlich ein verblüffender Einfall, genauer eine literarische Delikatesse für die Verächter des Bildungsbürgertums, zu dem sie dazugehören. Lewinsky macht aus seinem Roman auch ein exercice de style, er redet weimarisch wie am Ende des 18. Jahrhunderts. Das Hofgetratsche und die Bürokratensprache tönt aus den Seiten, abgeschmeckt mit einigen lateinischen Sentenzen zur Wahrung des gebildeten Standes. Einzig Christiane, das Kebsweib, macht da nicht mit, sie hat einen gesunden Hausfrauenverstand, den sie auch bei Tisch und im Bett mit dem Dichterfürsten teilt. Sie ist ohnehin die Einzige, die fest auf dem Boden steht.


Der Herzog raucht Pfeife und verliebt sich in die Demoiselle Jagemann, eine Schauspielerin seines Hoftheaters. Auch für sie bestellt er bei Goethe ein Gedicht, das Vulpius zusammenpappt. Sehr zur Zufriedenheit des wohlaffektionierten Landesherrn. Der Goethe, der kann’s. Ach ja, der Schauspieler noch. Eine verkrachte Existenz, ein Schwadroneur der Goethe erst nervt, dann erbarmt und den der Herr Geheimrat ins Irrenhaus bringt, wo ihm ganz wohl ist (dem Schauspieler). Er hat die Aufgabe Zitate ins Buch zu streuen. Die adeligen Damen sind Beiwerk und kaum erwähnenswert. Sie dienen der Staffage. Und August? Der behauptet sich altklug gegen seines Vaters Überformat.


Ich habe das Buch, 296 Seiten, in einem Zug gelesen, als ich’s aus der Hand legte, war es halb zwei nachts. Der Lewinsky, der kann’s. Er ist ein literarischer Stockzahnlächler.  

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