Die Entstehung des Zentrums Regensdorf, ein gemeinsames Projekt Pragers und Göhners wird erzählt und in das historische Bindegewebe eingefügt, schreibt der Stadtwanderer.

Mein Götti Ernst

Loderer liest «Zwischen Konsumtempel und Dorfplatz». Die Geschichte des Shoppingcenters in der Schweiz weckte Erinnerungen im Stadtwanderer.

Ganz vorn im Buch sind zwei Herren zu sehen, die mich durch ihr Werk beeinflusst haben: Links Ueli Prager, der Erfinder des Möven Picks und rechts Ernst Göhner, der Baulöwe. Die Aufnahme stammt aus den Jahr 1965. Drei Jahre später war ich Bauzeichner in der Bauabteilung 1 der Göhner AG. Ich habe mit meinem Götti Ernst nur einziges Mal geredet, doch hat er mich damals tief beeindruckt. Voilà un patron. Er hatte verwirklicht, wovon ich träumte, die Industrialisierung des Bauens. «Die Geschichte des Shoppingcenters in der Schweiz» ist also Hintergrundmusik meiner ersten Zürcherjahre. Ja, ich bin dabei gewesen, aber nur als mitbewegter Beobachter. Die bernisch-provinziellen Augen geöffnet hatte mir kurz zuvor ein Besuch der IKEA in Spreitenbach, als das Selbstbedienungsmöbelhaus noch ganz neu war. Mit einem rachitischen VW fuhr ich hin, kaufte nichts, war aus Neugier dort, aber reihte mich sofort in die IKEA-Gemeinde ein. So sah das Gegenteil von Möbel Pfister aus. In Spreitenbach erkannte ich: Es gibt ein Leben ohne Aussteuer.


Furter und Schoeck, die unermüdlich die neuere Geschichte des Kantons Aargau umgraben, schrieben hier ein Auftragswerk. Die Entstehung des Zentrums Regensdorf, ein gemeinsames Projekt Pragers und Göhners sollte erzählt und in das historische Bindegewebe eingefügt werden. Die Geschichte geht so: Am Anfang war das Auto und das Auto fuhr in Amerika. Damit wanderten die Mittelständler in die Vorstadt, die zur Agglomeration wurde. Die Selbstbedienung wurde erfunden und der Tante-Emma-Laden verdorrte, denn nicht nur in den USA, auch in der Schweiz entstanden die ersten Shoppingcenters nach amerikanischem Vorbild. Erst wollten die Erfinder mehr als reiner Einkaufstempel, nein, sie planten richtige «Dorfzentren» mit Hallenbad und Gemeindesaal, Wohnungen und Poststelle, kurz, hier sollte das soziale Leben blühen.


So auch in Regensdorf. Das Furttal ging einer grossen Zukunft entgegen, denn der Kanton Zürich plante in grossem Stil. 1964 lebten dort 9600 Menschen, der «Vollausbau», den Professor Ernst Egli vorschlug, rechnete mit 40 000. Da schien genug Fleisch am Knochen für ein Shoppingcenter, sagte sich Göhner, der darauf Prager ins Boot holte. Regensdorf ist nur eines von den vielen, die damals entstanden, von Tivoli Spreitenbach über das Glattzentrum bis Sihlcity.  Als Hintergrund erzählen Furter und Schoeck die Geschichte der Landesplanung seit Armin Meili. Besonders erquickt haben mich die drei autofreien Sonntage im Herbst 1973. Nie bin ich freudiger Velo gefahren als auf der leeren Autobahn. Kurz, bei der Lektüre zog die erlebte Zeit an mir vorüber und mit onkelhaftem Vergnügen badete ich im Weisch-no-denn. Ach, wie farbig wir doch waren, 1973 als das Zentrum Regensdorf eröffnet wurde! Ich trug Schlaghosen und eine breite Krawatte und hatte einen reglementswidrigen Lockenkopf. Das Trio Eugster und Paola waren auch gekommen. Neben dem Text erzählen die Bilder und Pläne die Geschichte ein zweites Mal. Mir wurde ganz warm ums Herz, als ich Göhners Inserate wieder sah, wo die Familien intakt waren und der Komfort oberklassig. Zeiten, als es noch einen Landesring der Unabhängigen gab, den ich damals wählte.


Ich traf auch einige Helden meiner Jugend an. Walter R. Hunziker, als Architekt und Importeur des Shoppingcenters, Hans Marti, den wortgewaltigen Landesplaner, auch Rolf Keller den Empörten, der das Bauen als Umweltzerstörung geisselte. Ein Prophet im eigenen Land, den ich ausspuckte aus meinem Mund und ihm später zustimmen musste. Ja, nach Otelfingen kam ich auch, da wo, statt einer Landesaustellung, eine neue Stadt gebaut werden sollte, Stichwort «achtung: die Schweiz» ff. Ich traf auch auf vertraute Namen von Architekten aus Göhners Stall: Klemenz und Flubacher, Felix Rebmann, Schwarzenbach und Maurer. Einer der alten Bekannten war von einem besonderen Mythos umweht: Dr. Albert Schellenberg, Göhners Anwalt und Landeinkäufer. Wenn er, selten zwar, aber doch, an der Hegibachstrasse 47 in die Kantine kam, ging ein Raunen durch die Esser.

All das versank in der Ölkrise. Ich habe mich nie mehr davon erholt. Immerhin bin ich unterdessen in der grünen Partei.

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Kommentare

Benedikt Loderer Loderer 22.02.2024 11:48
Ja, lieber Herr Konrad, weg damit! Das ist, was Göhner zum Beispiel mit der Villa Tobler vorhatte. Nur denke ich heutzutage ist Abreissen doch etwas altmodisch. Besser wäre es, das Rägi der Methode der differenzierten Erhaltung umzubauen. Mit Stadtwanderergruss Lr.
Andreas Konrad 21.02.2024 23:05
Das Glatt. Victor Gruen. Das braune ( heute blaue ) Mies-van-der-Rohe-Hochhaus. Die klare Wegführung. Die Werbung für das Glatt: witzig, gescheit, amerikanisch, international. Es begann mit einem Paukenschlag. Dann Regensdorf, am unteren Ende der Skala: Statt westlicher Aufbruch sibirische Tristesse. Ein Blechhaufen, umsäumt von billigen, scheusslichen Hochhäusern. Lieblos geplant, typisch Göhner. Ein Elend. Es gehört geräumt. Um Platz für Besseres zu machen. Neben dem «Rägi» entstehen Neubauten, die den Ort adeln und mit feinem Strich etwas Poesie ins Nirgendwo zeichnen. Bloss: Das Zentrum, Gönners und Pragers Klumpen, ist zu dominant, zu hässlich, zu schlecht geplant. Schlimmste Hochkonjunktur, nicht dem internationalen Städtebau, sondern bloss dem schnellen Schweizer Profitdenken verpflichtet. Es dürfte mittlerweile abgeschrieben sein. Deshalb schnell weg damit!
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