Die Tiere in Loetschers Buch reden menschlich, das ist der Schlüssel zu ihrer Welt. Redeten sie tierisch, der Mensch verstünde kein Wort, so der Stadtwanderer.

Loderer liest Loetscher

Hugo Loetschers Buch ‹Der predigende Hahn› sammelt Tiere in der Literatur. Stadtwanderer Loderer staunt, wie beredsam und vernünftig sie sind.

So hat alles angefangen. Als Gott alle Tiere zu Wasser, zu Land und in der Luft geschaffen hatte, da überliess er sie Adam, dem Menschen. «Mit dieser Nutzungserlaubnis wurde die erste Fleischerlizenz und der erste Jagdschein ausgestellt.» Hugo Loetscher ist eines nie: sentimental. Mit dem sezierenden Blick des Registrators blickt er auf die tierische Literatur. «Eigentlich interessierte mich zunächst nur, wie andere Autoren mit Tieren umgehen und wie sie moralisch und literarisch genutzt werden.» Was als Fingerübung begann, hat sich zu einem 350 Seiten dicken Literatur-Brehm ausgewachsen. Ich schaue beim Lesen dem Schreiber zu, der zuerst und vor allem ein Leser ist. Die Bibliographie führt gegen 200 Titel auf und darin ist die Bibel nur einmal aufgeführt, aber oft zitiert. Kurz, es ist eine ostentatio eruditionis, ein Beweis der Belesenheit. Er wandte eine alte Methode an, die er auch bei Ovids Metamorphosen entdeckte: «Er stützt sich auf Vorlagen, ein Beispiel mehr, wie man aus Lektüre Literatur macht.» Ich stelle mir vor, wie Loetscher von einem Fundstück zum nächsten und schrittweise zu seiner ungeheuren Sammlung kommt. Er hat sie zwischendurch mal abgeschlossen, das Buch ist erschienen, zu Ende aber ist er nicht.  

Die Tiere reden menschlich, das ist der Schlüssel zu ihrer Welt. Redeten sie tierisch, der Mensch verstünde kein Wort, alles Bellen, Krächzen, Muhen wäre blosses Geräusch. Nun aber, da die Tiere reden können, zeigt sich, dass sie vernünftig sind, so klug wie die Menschen auch. Doch «reden können heisst noch lange nicht, mit-reden zu dürfen». Ihre Weisheit, ihre Tapferkeit, ihre Taten hat nur der Mensch aufgeschrieben. Er nennt es Literatur. Loetscher hat sie durchgekämmt. Das Durcheinander der Funde hat er geordnet und in Kapitel abgefüllt. Da ist zum Beispiel eines über den Hund oder den Affen und das Schaf. Ihnen und anderen Tieren weist der Mensch Eigenschaften zu. Doch fauler Hund, blöder Aff, dummes Schaf nennt er auch seinesgleichen. Die Tiere übernehmen Charakterrollen «und was einem angedichtet wird, verliert man nicht so rasch». Überhaupt zeigt sich, wie menschlich doch die Tiere sind.
Mit Loetscher machte ich eine Weltreise. Ich besuchte Lateinamerika, wo er sich auskennt, war in China und Indien, wo die Weisheit zuhause ist, durchstreifte Afrika, wo die wilden Tiere wohnen, kurz Loetscher sieht die Literatur mit einem offen Blick. Seine Tiere leben nicht nur im Lande Aesopien und la Fontaine, sondern rund um den Erdball. Sie sind auch schon alt, so alt wie die Schrift und unterdessen so jung wie der Computer. Andersherum, Loetschers Tierwelt umfasst die ganze Erde und 6000 Jahre.   


Er erzählt seine Geschichten, es ist ja eine Aneinanderreihung von literarischen Anekdoten, im nüchternen Ton der Berichterstattung. Allerdings erlaubt er sich träfe Kommentare. Bauschan, der Hund Thomas Manns, ein Edeltier, verachtet den gemeinen Hühnerhund, «derb wie das Volk und wehleidig wie dieses». Loetscher dazu: «Es war schon immer so, dass ein gesichertes Einkommen weniger wehleidig macht.» Zum Hörneraufsetzten meint er: «Trotz Lügen und Hinhaltungen ist die Methode des Ehebruchs gängig, da das Verfahren einfach ist, wenn auch manchmal folgenschwer.» Bemerkenswert ist auch, dass oft ein Mensch zur Strafe in ein Tier verwandelt wird, aber nie ein Tier in einen Menschen. Nie kommt es vor, «dass ein Zauberkaninchen ein Stinktier zur Strafe in einen Werbetexter verwandelt». Die Tiere lachen nicht, das wirft ihnen der Mensch vor, doch «selbst wenn die Züchtung eines lachenden Löwen gelingen sollte, fühlte sich die Antilope nicht als heitere Beute.» Nicht mehr Raubvogel soll es heissen, das ist unterdessen diskriminierend, nein Beutegreifer. «Schliesslich pflegen Historiker Völker, welche andere als Beute greifen, auch nicht als Raubnationen zu bezeichnen». Loetscher ist ein grosser Stockzahnlächler.


Ich las das Buch mit Erheiterung. Ich fühlte mich bestätigt und belesen. Denn der Weg durch das Tierreich führte an vielen Büchern vorbei, die ich gelesen habe oder wenigstens daran geschnuppert. Es gibt auch eine ostentatio eruditionis des Lesers. Er verbündet sich mit dem Autor. Was beide gelesen haben, bringt sie zusammen. So grüsse ich Hugo L., den schweren Mann, der am Morgen in Café am Limmatquai sass, Zeitung lesend und mit mir, von Autor zu Leser morgenplauderte. Wir redeten über das Wetter, über Literatur sogar, über Tiere nie.

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