Ein erfahrener Zimmermeister könnte die Häuser nach der Beschreibung, den Plänen und den Zeichnungen nachbauen, schreibt der Stadtwanderer.

Der Holzstil

Benedikt Loderer hat Ernst Gladbach gelesen. Er hat in «Der Schweizerische Holzstil» Schweizer Bauernhäuser genau dokumentierte. Für Gladbach sind Konstruktion und Architektur eins. Ein Gründerväterbuch.

Darüber bin ich schon ein paar Mal gestolpert: «Der Schweizer Holzstil». Das ist ein Buch über das Chalet und Compagnie, dachte ich, wo Holz heimelig ist und die Kuh trächtig. Und siehe, beim Antiquar Peter Petrej fand ich’s in einem Katalog. (By the way, es gibt keine erfrischendere Lektüre als Antiquariatskataloge.) Ich bestahl, genauer bestellte es, denn es war in der Literatur immer wieder aufgetaucht, also musste etwas dran sein. Petrej schickte mir die Neuedition von 1984. Teil eins der Erstausgabe kam 1868 heraus, Teil zwei 1883.


Dem Verfasser, Ernst Gladbach (1812-1896) war ich doch vor kurzem begegnet, aber wo? Ach ja, in «Der Bauschule am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich» von Martin Tschanz. Dort erfuhr ich, dass Gladbach nach Semper der zweite Professor für Architektur am Poly war. Einer seiner Studenten beschrieb ihn als «liebenswürdiges Faktotum mit reichlich kindlichem Gemüt», andersherum, Semper war der Grossarchitekt und Gladbach blieb ein Kleinmeister. Doch alle seine Mängel wurden «tausendfach wieder wettgemacht durch seine vortreffliche Darstellungskunst mit dem Stift und der Radiernadel.» Gladbach hat seine detaillierten Zeichnungen in rastloser Kleinarbeit eigenhändig in Stahl radiert. Wo ist ein heutiger Architekturprofessor, der radieren kann? Den Kupferstecher erlasse ich ihm.


Damit bin ich beim Buch angelangt. Gladbach begann mit Vorlagen für seinen Unterricht. Er beginnt das Buch, ein 33 x 25 cm Überformat, mit vier Vorzeigebauten: Eine Mühle bei Effretikon, ein Bauernhaus in «Fischenthal im Canton Zürich», eines «zu Büelisacher im Bünzthale» und ein Wohnhaus in Meiringen. Ein erfahrener Zimmermeister könnte die Häuser nach der Beschreibung, den Plänen und den Zeichnungen nachbauen. Gladbach ist beharrlich, er will wissen, wie der Bau gefügt ist. Für ihn sind Konstruktion und Architektur eins. Was ja lange Zeit das Erfolgsrezept der ETH gewesen ist.
Nach diesen Beispielen erst wird Gladbach grundsätzlich und macht zwei grosse Kapitel: Der Riegel- und Ständerbau erstens und der Blockbau zweitens. Er erläutert die Konstruktionen und stellt eine «vergleichende Übersicht schweizerischer und stammverwandter deutscher Holzbauten an». Doch hat er keinen völkischen Zungenschlag, er schaut sich nur die Machart an und lässt Blut und Boden beiseite. Auch den Zusammenhang von Gelände, Klima, Bewirtschaftung auf die Bauformen streift er kaum. Da ist das Objekt und hier seine Formen, die zeichnet er, mehr nicht.


Dann greift er zur Radiernadel und exerziert nun durch, was er auf seinen Reisen durch die Schweiz gefunden hat. Er begnügt sich nicht mit einem romantischen Bildli in Aeberli’scher Manier oder à la Freudenberger, nein, er zeichnet möglichst genau und nüchtern. Er dokumentiert, er kunstet nicht. Oft ist auch das Skelett der Zimmermannskonstruktion dargestellt und Details wie Haustüren, Schnitzornamente, Keildielen, Hausinschriften, kurz, das Merkwürdige und das Merkenswerte am «Schweizer Holzstil» ist getreulich wiedergegeben. Dass es den gibt, scheint ihm selbstverständlich, es macht ihm wenig geistige Umstände, ein Blockhaus im Berner Oberland und ein Winzerhaus im Zürcher Unterland unter den einen Hut zu bringen: Schweizerisch. So wie wir das heute noch tun, denn savoyisch, alemannisch oder lombardisch können Schweizerhäuser ja von Haus aus nicht sein.


Den zweiten Band hat Gladbach nicht mehr selber radiert. Seine Augen waren zu schwach geworden. Er zeichnete seine Blätter auf grosse Formate, die für den Lichtdruck verkleinert wurden. Zwischen 1868 und 1883 war auch die Photographie im Vormarsch, das Dokumentieren wurde einfacher.


Vor mir liegt ein Bilderbuch, das ursprünglich als Lehrbuch gemeint war. Ich habe nicht allen Text gelesen. So wird es auch andern gehen, die Augen spazieren voran, der Kopf kann nicht folgen. Ernst Gladbach ist der Gründervater der Bauernhauskunde. Er ist genau und nie sentimental, ihm ist Holz nie heimelig, es ist ein Baustoff. Ein künstlerischer Techniker.

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