Dorfbewohnerinnen bei der Ausfachung der Bambuswände mit Lehm. (Foto: Daniel Haselsberger)

Forschung durch Gestaltung

Der Architekt Daniel Haselsberger verknüpft sein Doktorat an der Universität Liechtenstein mit dem Bau einer Schule im indischen Bundesstaat Bihar. Im ‹Campus› stellt er das Projekt und seine Forschung vor.

Das Schulprojekt und die damit verbundene Forschung starteten im Frühling 2022, als meine Partnerin Isha in den sozialen Medien auf die Bemühungen eines jungen indischen Mannes aufmerksam wurde, benachteiligten Kindern seines Dorfes eine schulische Grundbildung zu ermöglichen. Dazu hatte er eine kleine NGO gegründet und sich auf die Suche nach Kooperationspartnerschaften für den Bau eines permanenten Schulgebäudes für etwa 200 Kinder begeben. Isha und ich besuchten den Ort im indischen Bundesstaat Bihar und verschafften uns einen Einblick in das Leben der Menschen, bevor wir uns für eine Kooperation mit der NGO entschieden. Zur gleichen Zeit eröffnete sich mir an der Universität Liechtenstein eine Möglichkeit, dieses Projekt mit einem Doktorat zu verknüpfen.

Bauen als Kommunikationsmittel
Mit meiner Forschung versuche ich zu verstehen, wie sich die Baumethoden in der Region von Bahuarwa, einem Dorf im indischen Bundesstaat Bihar verändern, und wie traditionelle und moderne Bauweisen miteinander kombiniert werden können. Anhand eines partizipativen Planungs- und Bauprozesses des Schulgebäudes in Bahuarwa entwickelten wir eine Hybridlösung, bei der sowohl natürliche Materialien wie Lehm und Bambus, als auch stärker verarbeitete Produkte wie Ziegel und Beton zum Einsatz kommen. Die Suche nach einem Kompromiss erforderte eine Offenheit von allen Beteiligten, die sich in zweifacher Sicht als Vorteil erwies: Zum einen verbesserte sie die gesellschaftliche Akzeptanz des Schulgebäudes, zum anderen führte sie zu überraschenden Erkenntnissen für die Forschung.


Dorfbewohner beim Flechten der Bambusstruktur. (Foto: Isha Haselsberger)

Kommunikation ist für die erfolgreiche Umsetzung eines solchen Projektes und für die Erlangung von neuem Wissen zentral, stellt aber in einem eher abgelegenen indischen Dorf auch eine grosse Herausforderung dar. Auch wenn meine Partnerin und die lokale NGO übersetzten und vermittelten, erwies es sich für alle Beteiligten als herausfordernd, gewisse Themen in Worte zu fassen. Diesem Umstand schaffte der Bauprozess Abhilfe. Denn während des Bauens nahm die Forschung Gestalt an und wurde für die Beteiligten greifbar. Plötzlich mochten sich alle zum allmählich entstehenden Gebäude äussern. Dabei kam es zu wertvollen Erkenntnissen, die in weiterführenden Gesprächen vertieft und aufgezeichnet wurden.

Anwendungsorientiertes Wissen
Die ethnografische Auseinandersetzung mit dem Dorf lieferte relevante Einsichten zu den baulichen Prozessen und damit auch zur sozialen Akzeptanz von Materialien und Methoden. Anschliessend machte der Bauprozess deutlich, inwiefern die entwickelte Hybridlösung auch umgesetzt werden konnte. Dabei zeigte sich, wie sich vernakuläres Wissen und neue Technologien, lokale Materialien und globale Produkte miteinander verbinden lassen. Der Bauprozess führte zu einem anwendungsorientierten Wissen, das durch die Forschung reflektiert und anderen zur Verfügung gestellt werden kann.


Zusammen Bauen: Frauen und Männer, Expert*innen und Laien. (Foto: Daniel Haselsberger)

Ethnografische Forschung mit benachteiligten Bevölkerungsgruppen im globalen Süden werden oft wegen ihrer Einseitigkeit kritisiert: Sie liefern dem Forschenden wichtige Daten, hinterlassen aber keinen Mehrwert für die Betroffenen. Durch den Bau der Schule soll diese Einseitigkeit aufgehoben und ein fairer Austausch sichergestellt werden. Die Forschung wiederum erlaubt im Vergleich zu herkömmlichen Kooperationen eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Ort. Das erlaubt es, das Gebäude auf die Bedürfnisse der Betroffenen anzupassen und damit auch die langfristigen gesellschaftlichen Auswirkungen zu verbessern.

Überwindung von Dichotomien
Mit meiner Forschung möchte ich vorherrschende Dichotomien überwinden: Zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, globalem Norden und Süden, wie auch zwischen einer Architektur mit und ohne Architekt:innen. Die Verknüpfung von Forschung und Gestaltung unterscheidet diesen Ansatz von einem herkömmlichen Bauprojekt, dessen Entstehungsprozess mit all den Herausforderungen und Missgeschicken in der Regel im Verborgenen bleibt. Dadurch möchte ich einerseits vermeiden, dass Forschung ihre gesellschaftliche Relevanz einbüsst. Andererseits versuche ich so meine Erkenntnisse über den Planungs- und Bauprozesses mit anderen zu teilen.


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