Corbusiers Villa liegt eingeklemmt zwischen Hauptstrasse und See, man übersieht sie beinahe. Fotos: Filomena Carboni*

Auf Corbusiers Betontisch tanzen

«Es ist nicht gestattet, sich auf den Beton-Tisch des ‹Grünen Zimmers› zu setzen oder zu stehen», lautet Regel Nr. 8 in der Villa Le Lac in Corseaux. Unsere Autorin besucht Corbusiers Bau und denkt darüber nach, die Regel zu missachten.

«Es ist nicht gestattet, sich auf den Beton-Tisch des ‹Grünen Zimmers› zu setzen oder zu stehen», lautet Regel Nr. 8 der Villa Le Lac in Corseaux, die wir im Rahmen einer Exkursion zu verschiedenen Bauwerken rund um den Genfersee besuchten. Corbusiers Villa liegt eingeklemmt zwischen Hauptstrasse und See, man übersieht sie beinahe. Am Eingang empfängt uns Patrick Moser, Kurator der Villa. Bei der Führung erfahren wir, dass der ehemalige Alterssitz von Charles Jeannerets Eltern als Experimentierfeld für seine zukünftigen Bauten gilt. Das Bauwerk zeigt bereits Ansätze der ‹Fünf Punkte zu einer Neuen Architektur›, die Corbusiers Architektursprache später massgebend prägten. Und offenbar muss nicht alles auf Anhieb funktionieren – das längliche, schiffartige Gebäudevolumen brach einst aufgrund von Wasserschäden entzwei und hinterliess in der Fassade einen bis heute sichtbaren Riss.
Im Inneren des Gebäudes überrascht mich Le Corbusier ein weiteres Mal mit seinen Grundrissdimensionen, die ich aus heutiger Sicht auf einer doppelt so grossen Fläche erwarten würde. Ihm gelingt es, in seiner für zwei Personen konzipierten Wohnmaschine, auf einer minimalen Fläche von sechzig Quadratmetern Wohnzimmer, Küche, Waschküche, Schlafzimmer, Umkleideraum und sogar ein multifunktionales Gästezimmer präzise definiert unterzubringen. Mit Farben werden die ineinanderfliessenden Wohnzonen differenziert – jede Ecke hat ihre Funktion. So ist der Einbauschrank auf beiden Seiten zugänglich und der Hohlraum unter dem Bett kann als Staumöglichkeit genutzt werden. Auch der zierliche Garten ist bis ins letzte Detail durchdacht und übertraf mit Hundefenster in der Hecke und Katzenaussichtspodest auf dem Dach meine Erwartungen erneut.
Zwischendurch wünschte ich mir allerdings insgeheim, mich alle Regeln missachtend auf den Beton-Tisch im Grünen Zimmer zu stellen und diese scheinbar perfekt inszenierte Architekturwelt ins Wanken zu bringen.

*  Filomena Carboni studiert im 6. Semester Innenarchitektur an der Hochschule Luzern Architektur & Technik.

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