Eine Stadt nimmt sich die Zeit, nachzudenken

Mit den Dialogtagen hat Basel den städtebaulichen Diskurs für die Bevölkerung geöffnet. Das Ziel: ein gemeinsames Verständnis für die Zukunft einer wachsenden Stadt.

Fotos: Derek Li Wan Po
In Zusammenarbeit mit dem Kanton Basel-Stadt

Mit den Dialogtagen hat Basel den städtebaulichen Diskurs für die Bevölkerung geöffnet. Das Ziel: ein gemeinsames Verständnis für die Zukunft einer wachsenden Stadt.

«Stadtplanung geht alle etwas an», sagt Basels Kantonsbaumeister Beat Aeberhard. Und sein Stabsleiter Walter Reinhard doppelt nach: «Wir müssen die Menschen zum Mitreden befähigen. Nur so gelingen uns die anstehenden städtebaulichen Transformationen.» Was das heissen kann, zeigte Basel im Herbst 2023 mit der Veranstaltung ‹Dialogtage 2023›. Drei Tage lang nahm Basel sich Zeit, um nachzudenken. Das Thema war die städtebauliche Entwicklung, der Gegenstand der ganze Metropolitanraum, und der Zeithorizont 25 Jahre. Obwohl das abstrakt klingt, stiess das Thema in der Öffentlichkeit auf Interesse.

Es war die Kantonsverwaltung selbst, die Initiative ergriff. «Wir hatten keinen Auftrag, kein konkretes Projekt, kein vorgegebenes Ziel», sagt Reinhard. Es ging nicht um eine Mitwirkung im Dienst eines planerischen Vorhabens, sondern um den Dialog selbst. Man wollte ein gemeinsames Verständnis für Fragen, Probleme und Zielkonflikte entstehen lassen, aber nicht unbedingt Lösungen finden.

Mehr als 200 Teilnehmende

Dialog braucht Gesprächspartner, darum tat sich die Dienststelle Städtebau & Architektur mit der Kantons- und Stadtentwicklung und mit Immobilien Basel-Stadt zusammen. Und mit energischen Jugendparlamentsmitgliedern, SIA, BSA und BSLA, mit dem Schweizerischen Architekturmuseum und dem Bundesamt für Kultur. Eingeladen waren neben diesen und weiteren offiziellen Dialogpartnerinnen aber auch alle, die mitdiskutieren wollten. Am ersten Dialogtag im September kamen laut den Veranstaltenden gut 200 Menschen, am zweiten Tag im Oktober rund 160 und am dritten Dialogtag im November sogar 250. Mit Vernissage und Finissage hätten rund 900 Menschen die Dialogtage besucht, rechnet Walter Reinhard zusammen. Die allermeisten waren organisiert in Verbänden. Schlecht vertreten waren dagegen private Immobilieneigentümerschaften. Andere thematisch relevante Ämter wie das Tiefbauamt oder das Amt für Umwelt und Energie fehlten. Die ausländische Bevölkerung kaum vertreten.

Es ist kein Zufall, dass die Dialogtage gerade dann und gerade in Basel stattfanden. Die Stadt wächst, und das auf Inseln: auf Transformationsgebieten wie dem Dreispitz, dem Klybeck-Areal oder dem Rheinhafen. Das bringt viele Zeitpläne, Instrumente und Verfahren mit sich. Bei Beat Aeberhard laufen alle diese Fäden zusammen. Er sucht die Gesamtperspektive, will Ähnlichkeiten erkennen, die Räume dazwischen sehen. Deshalb schaffte er 2018 eine städtebauliche Begleitgruppe mit der Architektin Astrid Staufer, dem Architekten Andreas Bründler und dem Städtebau- und Planungshistoriker Angelus Eisinger. Das informelle Gremium, das die einzelnen Projekte als Teil der ganzen Stadt bespricht, schloss eine Lücke im städtebaulichen Prozess: Es dachte räumlich breiter als die Jurys und Gremien der einzelnen Arealentwicklungen und langfristiger als die Stadtbildkommission, die jeweils erst im Baubewilligungsverfahren dazustösst. Bald wurde klar, dass die Begleitgruppe den Diskurs öffnen wollte. Heute organisiert und unterstützt der Kanton städtebauliche Ausstellungen und Vortragsreihen – wie 2020 im Schweizer Architekturmuseum S AM – oder 2023 die ‹Basler Dialogtage›.

Am zweiten Dialogtag wird der Metropolitanraum vom Schiff aus betrachtet.

Drei Tage, drei Szenen

Die ‹Basler Dialogtage› sind öffentliche Workshops im Grossformat. An den drei Vormittagen stehen Wissensvermittlung und Positionsbezüge von externen Expertinnen und Gastgebern auf dem Programm: Vorträge und Führungen von Grundeigentümerinnen, Architekten, Planerinnen. Das ist für die Teilnehmenden zwar Weiterbildung in Form von Frontalunterricht, legt aber die inhaltliche Basis für den Dialog am Nachmittag. In moderierten Gruppen kommen dort auch jene zu Wort, die vorher still zuhörten; die Gruppenmoderatorinnen bringen die Erkenntnisse zurück ins Plenum und am Schluss gibts eine Konklusion.

Die Dialogtage behandelten drei drängende Themen an drei passenden Orten. Der erste: das alte Zollfreilager Dreispitz, ein kantonsübergreifendes Entwicklungsgebiet im Süden der Stadt. «Weiterbauen – aber wie?», lautete die Frage des Tages. Es ging um Ökologie und Verdichtung, um Baurecht und Baukultur. Der zweite Tag fand auf dem Rhein statt. Mit dem Schiff fuhr die Dialoggesellschaft zunächst rheinaufwärts, die Roche-Türme zogen backbord hinter regennassen Fensterscheiben vorbei. Weil sich der Tag dem Thema trinationales Basel widmete, passte es gut, dass das Schiff bald kehrte und zurückglitt, vorbei an den Münstertürmen und in den kanalisierten Rhein hinein Richtung Frankreich. Auf dem Telefondisplay stand: «Willkommen in Frankreich», und fünf Minuten später: «Willkommen in Deutschland». An Bord des Schiffes diskutierten neben Basler Einwohnerinnen auch junge Menschen aus dem Badischen und einige wenige Personen aus dem Elsass.

Der dritte Dialogtag begann mit einem gemeinsamen Spaziergang von Volta Nord, einem Quartier im Umbruch an der Grenze zu Frankreich, bis zur Kaserne im Herzen von Kleinbasel. Und was am Nachmittag des ersten Dialogtags noch eine Überforderung war, schien nun mühelos: Ohne zu ermüden, sprachen die Menschen in grossen Gruppen 90 Minuten lang miteinander, und am Ende füllten sie die Flipcharts mit Thesen zum Thema Stadt im Klimawandel.
 

Dialogtag 1: Weiterbauen – aber wie?
8. September 2023, Dreispitz-Areal, Münchenstein
Inputs u. a. von Stefan Kurath, Planungsexperte, und Beat von Wartburg, Christoph Merian Stiftung; Workshops mit SIA, BSA, Sarah Barth, Britta Henschel u. a.

Dialogtag 2: Metropolitanraum Basel?
20. Oktober 2023, Rheinschiff und Dreiländereck
Inputs u. a. von Ariane Widmer Pham, Genfer Kantonsplanerin;
Workshops mit Agglo Basel, Amt für Mobilität, ETH Wohnforum, Kontextplan u. a.

Dialogtag 3: Stadt im Klimawandel?
17. November 2023, kHaus, Kaserne, Basel
Inputs u. a. von Xenia Dillmann, Stauffer Rösch, Marco Rickenbacher, Esch Sintzel Architekten, Barbara Rentsch, Leiterin Immobilien Basel-Stadt;
Workshops mit BSLA, FHNW, Stadtgärtnerei u. a.
 

Keine Antwort? Mutig!

Es war eine gut abgestimmte Gruppe, die durch die Tage führte: Beat Aeberhard als Miterfinder, Walter Reinhard als Programmleiter, Senem Wicki als Moderatorin. Andreas Ruby vom S AM kümmerte sich darum, dass die Jungen zu Wort kamen, Mitglieder von Verwaltungen und Fachverbänden moderierten die Gruppengespräche. Und an einem Zeichentisch sass Stephan Liechti. Er dokumentierte das Geschehen und projizierte es an die Wand: In Echtzeit erschienen auf einem riesigen Stadtplan Schemen der Rednerinnen, Köpfe des Plenums, Schlagworte aus der Diskussion. Es war, als würde die Stadt mit jedem Wort und jeder Minute reichhaltiger. Ganz nebenbei brachte der Zeichner zwei planerische Pole zusammen: den gezeichneten Masterplan der Zukunft und den Prozess des städtebaulichen Dialogs. «Auch heute braucht es das Entwurfshandwerk», sagte Beat Aeberhard. «Aber die Autorschaft wird kollektiver.» Beides hatte Platz.

Neben Beat Aeberhard waren auch Barbara Rentsch und Lukas Ott Gastgeberinnen. Rentsch ist die Geschäftsleiterin von Immobilien Basel-Stadt, Ott leitet die Kantons- und Stadtentwicklung. Botschaften sendeten sie während der drei Tage wenige, sie hörten vor allem zu. So kamen sie kaum in eine Verteidigungsrolle. Manchmal wussten sie auf eine Frage keine Antwort. Das war mutig und liess ein Gemeinschaftsgefühl aufkommen: Zusammen stand das Plenum vor den Herausforderungen der Zukunft.

Beat Aeberhard an der Eröffnung der Dialogtage: «Auch heute braucht es das Entwurfshandwerk. Aber die Autorschaft wird kollektiver.»


Zugang Zukunft

All das war von den beiden Zukunftsforscherinnen Senem Wicki und Martina Kühne orchestriert, die die Dialogtage mitkonzipiert hatten. «Das Ziel ist ein Dialog. Eben nicht eine Diskussion», so Senem Wicki. «In einer Diskussion werden oft bekannte Argumente ausgetauscht. Da kann es rasch zur Verhärtung von Positionen kommen. Wir hingegen wollen erreichen, dass ein neues, gemeinsames Verständnis entsteht – als Grundlage für neue Lösungen.»

Es war hilfreich, dass die ganze Stadt Gegenstand des Dialogs war – und nicht etwa ein konkretes Bauprojekt. Unmittelbar stand weniger auf dem Spiel. Und das weitete die Möglichkeiten, ins Gespräch zu kommen und gedanklich Neues zu wagen. «Unser Zugang ist immer die Zukunft. Und die bedeutet Veränderung, Loslassen und Neuorientierung», so Martina Kühne. Mit einigen Dialogpartnern haben Kühne und Wicki vorbereitende Workshops durchgeführt, im Vorfeld die Ausgangslage reflektiert, über die Eigenheiten der Stadt Basel gesprochen und das Bewusstsein für künftige Herausforderungen geschärft. So waren die Dialogpartnerinnen als Stützen des Experiments fit für einen Austausch auf Augenhöhe, auch mit Fachleuten.

Nicht zuletzt gelang der Dialog dank rhetorischen und moderierenden Tricks. «Stelle nur Fragen, deren Antwort du nicht weisst», sagte Senem Wicki zwischendurch. Am Abschlusstreffen leitete sie eine Übung an, die von allen Mut erforderte: «Schaut eurer Nachbarin oder eurem Nachbarn in die Augen, eine halbe Minute lang, ohne zu lachen, ohne zu reden.» Sich selbst kennenlernen und das Gegenüber besser verstehen – vielleicht ist der Städtebau der Zukunft auch eine öffentliche Gruppentherapie.

Welche Identitäten werden die Region Basel 2050 prägen? Jugendliche auf dem Rheinschiff am zweiten Dialogtag.

 


Die ‹Position 2022›

Klimakrise, Bevölkerungswachstum und eine rasche städtebauliche Transformation verlangen Städten viel ab. Basel will zudem schon 2037 das Netto-Null-Ziel erreichen. Dies ruft nach städtebaulichen Strategien, weshalb Basel das Forum Städtebau ‹Basel 2050› gegründet hat. Dieses startete 2020 mit einer Ausstellung, mit Podien und Vermittlungsarbeit. Die Erkenntnisse daraus wurden von der Dienststelle Städtebau & Architektur und der Begleitgruppe Städtebau zur ‹Position 2022› verdichtet. Sie besteht lediglich aus sechs Leitsätzen (siehe Grafik, Sätze A bis F), die Basels städtebauliche Haltung formulieren, die künftige Entwicklung prägen und dabei Priorität erhalten sollen. Konkrete Massnahmen sind keine enthalten.

Die sechs Leitsätze finden sich in den Tagesthemen der Dialogtage 2023 wieder. Nach den Dialogtagen wird die ‹Position 2022› überdacht und soll zur ‹Position 2024› weitergeschrieben werden.


Quelle Grafik: www.basel2050.ch, Bearbeitung: Hochparterre


 

 

 

Kommentare

Barbara Buser 03.04.2024 00:29
Schön wär's wenn's so wär!
Matthias Bürgin 02.04.2024 23:06
Und wo sind die sechs Leitsätze zu finden?
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