Lorraine Beaudoin und Christophe Joud in ihrem Lausanner Büro. (Foto: Karsten Födinger)

Zufall und Schuppenkamin

Lorraine Beaudoin und Christophe Joud führen das Architekturbüro JVBA in Lausanne. Ihr Erstling bringt zahllose Gemeindewünsche unter ein polygonales Dach, vom Festsaal bis zum Feuerwehrauto.

Das Leben besteht aus Zufällen. Lorraine Beaudoin kam zur Architektur, weil sie die Anmeldung zum Kunststudium verpasste. Christophe Joud, der aus einer Bauernfamilie südlich von Lyon stammt, hatte sich bei einer Maurerschule gemeldet. «Mit solchen Noten studiert man», winkte diese ab. Und so begegneten sich die beiden im Studium in Lyon, diplomierten an der EPFL und führen heute das Architekturbüro Joud Vergély Beaudoin Architectes in Lausanne. Dass dieses einen dritten Namen trägt, ist ein weiterer Zufall: 2012 hatte Joud zunächst ein Büro mit Startkapital von Clément Vergély gegründet, bei dem er in Lyon während des Studiums als Praktikant gearbeitet hatte. 2017 kam Beaudoin an Bord, und der dritte Name blieb. In Lyon gibt es ein gemeinsames Projekt, doch ist statt der anfänglich geplanten Zusammenarbeit etwas anderes entstanden: «eine Art kultureller Austausch».

Das Sprechen, Denken und Schreiben über Architektur ist ihnen wichtig. Lorraine Beaudoin unterrichtet je einen Tag pro Woche an der HEPIA in Genf und am Laboratoire de Théorie et d’Histoire an der EPFL. Christophe Joud arbeitet dort zu fünfzig Prozent und schrieb mehrere Bücher, vor allem über kollektive Wohnbauten der Neuzeit. Bald enden ihre Lehraufträge. «Eine Chance», findet Beaudoin, «denn dann können wir uns auf das Büro konzentrieren.» Dass sie entwerfen können, beweisen mehrere zweite Ränge bei offenen Wettbewerben, ein gewonnener Studienauftrag für Behindertenwohnungen – ihr derzeit einziges Bauprojekt –, und ihr Erstlingswerk in Léchelles.

Ein Schuppenkleid aus braunen Dachziegeln verortet die Multifunktionshalle im Fribourger Strassendorf Léchelles. (Foto: Roland Berneath)

Holzsaal im Ziegelkleid

Die Freiburger Gemeinde unweit des Südufers des Neuenburgersees hatte im offenen Wettbewerb all das bestellt, was ihr fehlte. Die Architekten platzierten die ‹logements protégés› in einem hell verputzten Quader in der Tiefe der Parzelle. Ein zweiter Baukörper erstreckt sich der Strasse entlang. Mit seiner breiten Fensterfront und seinem markanten Kamin, der aus der Seitenfassade wächst, ist er als öffentlicher Bau erkennbar. Seine polygonalen Kanten und das Schuppenkleid aus braunen Dachziegeln erinnern an Analoge Architektur. Das ist kein Zufall: Die nahen Scheunen mit geschindelten Giebelfassaden dienten den Architekten als Inspiration.

In der Halle zwischen den betonierten Seitentrakten dominiert helles Holz. (Foto: Roland Berneath)

Hinter der keramischen Schuppenhaut verbirgt sich ein dreigeteiltes Innenleben. Zwei seitliche Betontrakte steifen das Haus aus und nehmen Toiletten, Garderoben und Geräteräume auf, ausserdem eine Gastroküche, eine Feuerwehrgarage und eine Holzpelletheizung fürs Quartier. In der Mitte liegt ein Saal für Sportvereine und Dorffeste oder Hochzeiten, gebaut aus hellem Holz. Zwischen kräftig geschwungenen Bindern gliedern schlanke Latten die Füllflächen. Hangaufwärts sitzen Tribünenstufen im Terrain. Die Fenster darüber reichen bis unter die Traufkante. Hangabwärts sind sie bodengleich angeschlagen, sodass man direkt ins Freie kann. Das ist auch physikalisch clever: Weil bei gekippten Fenstern ein Luftzug entsteht, braucht der Saal keine künstliche Lüftung.

Was sie heute anders machen würden? Beaudoin blickt auf einen grellgrünen Defibrillator, einen lieblos hingestellten Mülleimer und ein Designmonster von einem Aschenbecher, die den Strasseneingang belagern. «Wenn ich eines gelernt habe», sagt sie, «dann, dass wir als Architekten antizipieren müssen, was nach dem Bauen passiert.»

Oberes Geschoss auf Strassenhöhe.

Unteres Geschoss auf Höhe der Wiese.

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