Toilettenpoesie und Strassenkunst

Baraki aus Lausanne haben keine Angst und machen Architektur, wo sonst niemand hinschaut. Zu Besuch bei einer facettierten Strassenstützwand und Autobahntoiletten mit Spiegelblick auf den Greyerzersee.

Baraki aus Lausanne haben keine Angst und machen Architektur, wo sonst niemand hinschaut. Zu Besuch bei einer facettierten Strassenstützwand und Autobahntoiletten mit Spiegelblick auf den Greyerzersee.

Baraki als Video-Steckbrief.

Bereits als sich Jeanne Wéry und Georg-Christoph Holz nach der EPFL das erste Mal selbständig machten, hatten sie einen Ingenieur an Bord. Als dieser 2020 aus- und der langjährige Mitarbeiter Marc Vertesi einstieg, benannte sich das Lausanner Trio nach dem Belgisch-Französischen Wort ‹baraki›. Was so viel heisst wie «keine Angst vor gar nichts». Wéry, die Architektur, Kunst und Urbanismus studiert hat und als Theater-Szenografin und Tierpräparatorin gearbeitet hat, sagt: «Wir wollen frei sein, das zu bauen, was die Menschen wirklich brauchen – und nicht unter dem Druck der Architektur als Geldgeschäfts untergehen. Wir wollen mit den Grenzen der Disziplin flirten.»

Baraki sind Architektinnen und Ingenieure aus Lausanne, v.l.n.r.: Jeanne Wéry, Georg-Christoph Holz, Marc Vertesi. (Foto: Mathilda Olmi)

Dass heute «Architecture & Ingénierie» unter dem Bürologo steht, ist aber auch Zufall: Wérys Vater ist Ingenieur und verschaffte dem Büro 2015 ein schwieriges Bushaltestellen-Projekt. Baraki machten es besser, aber nicht teurer, was sich im Tiefbauamt rasch herumsprach. Es folgten ein Brückenhandlauf und eine Stützmauer oder Toilettenhäuser an der Autobahn. Aktuell berät das Büro den Kanton Fribourg bei drei Brücken. Daneben hat es ein Restaurant und einen Nachtclub umgebaut, Szenografie und Möbel für Max Bills ‹Théâtre de Vidy› der Expo 64 entworfen und ein Kloster zu einem Asylaufnahmezentrum transformiert. Die typischen Projekte von jungen Büros wie Dachausbauten, Mehrfamilienhäuser oder Pavillons sucht man bei Baraki vergebens. «Uns interessieren das Übriggebliebene und die Infrastruktur», sagt Vertesi, «dort wird zu viel gerechnet und zu wenig reflektiert.»

Eine Oase an der Autobahn
Wir steigen in den Büro-Familienvan und fahren auf der A1 zur Raststätte Gruyère. Mit Eis am Stiel setzen wir uns in den Schatten vor dem Toilettenhaus. Bleche und Rohre machen Strassensperren zu Sitzmöbeln mit Jackenständern. Aus Spiegeln blickt uns der Greyerzersee an, der zu Füssen der Autobahn liegt. «Vorher war das ein dunkler und zwielichtiger Ort», sagt Vertesi, «wir wollten ihn hell und transparent mache – wie eine Oase in der Asphaltwüste.» Der Umbau ist simpel: Ein Stück Natursteinmauer ist unmerklich ergänzt. Abgesehen davon ist der 1980er-Bau mit gespreizten Beinen, holzgeschindelten Seiten und Steildach mit Eternit unverändert geblieben. Statt verwinkelte Ecken betritt man nun direkt die Einzeltoiletten aus Chromstahl. Die Türen verschwinden beinahe in der Spiegelfläche. Weil in der Bauzeit ein Vogel zu Schaden kam, kleben nun zahllose dunkle Punkte über der Postkartenlandschaft – und wurden, die Not zur Tugend machend, Teil der Signaletik.

Unter dem Dach des Toilettenhäuschens an der A1 bei Gruyère machen simple Bleche und Rohre aus handelsüblichen Strassensperren Mobiliar. Baraki nennen das «la langue de la rue».

Auf der Spiegelwand erblickt man den Greyerzersee. Vorne und hinten zugleich, kann man der Postkartenschweiz am Autobahnrand nicht entkommen.

Die vormals unwirtliche Toilettenanlage wich von aussen direkt zugänglichen, abspritzbaren Einzeltoiletten aus Chromstahl.

Auf den Fotos sind die Spiegel noch nicht mit jenem Vogelschutzpunkten beklebt, die nun auch die Signaletik der Toiletten zeichnet.


Querschnitt

Erdgeschoss

Einige Zeit später, kurz hinter Fribourg, passieren wir eine 100 Meter lange Betonstützwand, in deren Facetten Licht und Schatten spielen. Als das Tiefbauamt die Strasse weg von der nahen Schlucht in den Hang verschob, erschraken die Beamtinnen darüber, welch gewaltige Mauer unterhalb des idyllischen Weilers Riederberg entstand. Als Urbanisten mandatiert, änderten Baraki die Geometrie in zwölf identische Bogensegmente. So musste man bloss acht Schaltafeln in Standardgrösse mit Blechen ausstatten, um das Relief etappenweise zu schalen. Es ist zehn Zentimeter tief und nach links geneigt. «Das ist ein optischer Trick für mehr Tiefenwirkung», sagt Holz und findet: «Eigentlich ist die Wand eine Hommage an die frühe Landart, gepaart mit Engineering.»

Licht und Schatten leiteten Baraki beim Entwurf der Stützmauer unterhalb des Weilers Riederberg bei Fribourg.

Über hundert Meter lang und über fünf Meter hoch zerschneidet die Mauer das grüne Idyll.

Den Rapport des Musters bilden acht Schaltafeln, die quase der geneigten Kurve hinaufkletterten.

Das Relief ist nur zehn Zentimeter tief, wirkt nach links gedreht aber weit plastischer.


Querschnitt

Axonometrie der acht Schaltafeln.

Konstruktion einer Schaltafeln mit Metallreflief.

Der Situationsplan zeigt die zwölf identischen Bogensegmente.

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