Als eines von vier Büros wetteifert Studioser um die Wilde Karte 2023. Fotos: Sven Högger

Brotschrank, Sitzbank, Murmelbahn

Mit kleinen Interventionen stärkten Studioser den sozialen Zusammenhalt im Tessiner Dorf Monte. Die Menschen und ihre Geschichten bilden den Ausgangspunkt für die Projekte des jungen Büros.

«Das Unvorhersehbare beim Zusammentreffen von Menschen und Dingen war schon bei unserer ersten Zusammenarbeit Thema», erzählt Tiziano Schürch. «Und dieses Thema ist uns immer wichtiger geworden», ergänzt Rina Rolli. 2019 leiteten die beiden an der Universität Mayor in Santiago einen Workshop für Studierende. «Rina half mir beim Diplom an der ETH, und ich fragte sie, ob wir den Workshop gemeinsam durchführen wollten.» Noch im gleichen Jahr folgte die Gründung von Studioser.

 

Studioser im Videoportrait.

 

In einem Gemeinschaftsbüro in Zürich arbeitet Rolli, und hier finden auch die Arbeitstreffen statt. Schürch ist aus Lugano angereist, wo er lebt. Beide sind im Tessin aufgewachsen und der Region bis heute verbunden. Das Leben beidseits der Alpen sehen sie als Gewinn: «Der räumliche Einfluss hat ein Potenzial, aus dem wir schöpfen.» Ihre Arbeitsfelder sind vielfältig. Rolli unterrichtet am Lehrstuhl von Jan de Vylder an der ETH und ist Teil des Möbelkollektivs Piccolli. Schürch ist für das Istituto Internazionale di Architettura, kurz i2a, in Lugano tätig und lehrt in Barcelona als Assistenzprofessor. Dichte Mittelmeerstädte faszinieren ihn. Mit Blick aus dem Atelier meint Schürch: «Zürich ist noch keine dichte Stadt, viele Gebäude berühren sich nicht.»

 

Orte für alle

Das erste Bauprojekt von Studioser stiess im Tessin auf positive Resonanz. Das Dorf Monte im Valle di Muggio wollte die Lebensqualität der älteren Menschen verbessern – wie dies geschehen sollte, war offen. Studioser packte die Chance und schlug zugleich praktische und poetische Interventionen im öffentlichen Raum vor. Subtile Massnahmen stärken den sozialen Zusammenhalt: Sitzbänke und Brunnen schaffen Treffpunkte, und in der ‹Butega› kann man Kaffee trinken. Pflasterstein auf der Kantonsstrasse verweist auf die Dorfmitte und die Geschichte des Ortes. Ein Handlauf ist gleichzeitig eine Murmelbahn.

 

Mit neuem Kopfsteinpflaster hat Studioser den Charakter des Dorfplatzes und seine Bedeutung für die Gemeinschaft wiederhergestellt.

Plan des Dorfplatzes

 

Rolli und Schürch nahmen sich viel Zeit für Interviews und die Analyse des Ortes. «Wir beziehen die Bevölkerung mit ein», so Rolli. Schürch fügt an: «Uns interessiert die Geschichte hinter den Dingen.» Der handgezeichnete Situationsplan von Monte ist so zugänglich, wie es kein klassischer Architekturplan sein könnte. «Ihn zu zeichnen, war aufwendig. Aber er hat sich als nützlich erwiesen. Er ist zum Gesicht des Projekts geworden», sagt Rolli. Vertrauen in die Kraft von Handzeichnungen haben die beiden im Studium bei Jan de Vylder gewonnen.

Die Studie für Monte führte zu einem Direktauftrag, und die Gemeinde hat sich bereits mit einem Folgeauftrag, der Entwicklung eines Spielplatzes, an Studioser gewandt. Für das Büro versteht sich von selbst: Ein Spielplatz muss ein Ort für alle Generationen sein, damit er sich langfristig etablieren kann. Zurzeit spricht Studioser mit den Jugendlichen, die sich auf den neuen Treffpunkt freuen.

 

Der Dorfladen ist das soziale Herz von Monte. Im Möbel vor dem Eingang gibt es auch nach Ladenschluss täglich frisches Brot.

Auf dem Kirchplatz hat Studioser eine vor Jahrzehnten entfernte steinerne Sitzbank neu interpretiert und mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet.

Der Handlauf ist gleichzeitig eine Murmelbahn. So wird das ganze Dorf zu einem weitläufigen Spielplatz.

 

Auch andere Tessiner Gemeinden sind auf das Büro aufmerksam geworden. Vor Kurzem wurden es für eine Quartierplanung in Konkurrenz eingeladen. An die Herangehensweise von Monte wollen sie anschliessen und den integrativen Ansatz vertiefen: «Uns geht es um Themen, nicht um isolierte Objekte.» Zudem absolviert Schürch einen MAS in Raumplanung an der ETH, denn «es gibt den Moment, an dem die Disziplin der Architektur an ihre Grenzen stösst».

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