Der audiovisuelle Steckbrief von Bessire Winter.

Diskurs bauen

Im Atelier wohnen, eine Zeitschrift im Eigendruck, ein Pavillon aus Bierdeckeln, ein Anbau von innen gedacht und im Wettbewerb das Programm umschreiben – Gestatten: Bessire Winter von der Wilden Karte 2021.

Céline Bessire und Matthias Winter wollen nicht nur gute Häuser bauen. In Feldbrunnen bei Solothurn diskutieren wir über Filme und Bitcoins, die Klimakrise und darüber, was das Kinderkriegen über die Gesellschaft offenbart. Seit dem Studium sind die beiden ein Paar, das dritte Kind ist unterwegs, und nun wollen sie zurück nach Zürich ziehen. Matthias Winter sagt: «Es zeichnet sich ein Rhythmus ab: Alle zwei Jahre starten wir neu.».

Bisher gab es vier Stationen: Nach dem ETH-Studium arbeiteten sie in Genf bei ‹Made In›. Zurück in Zürich wurde sie Assistentin bei Tom Emerson und er bei Christian Kerez. Als nächstes gründeten sie ihr Büro und bezogen ein Gewerbeatelier. Eigenhändig bauten sie eine Zwischenwand ein und gruppierten Badewanne, Lavabo, Gasherd und Tisch um eine Stütze. Das Büro wurde nachts zum Kinderschlafzimmer, das Wohnzimmer zum Privatkino, die Möbel immer weniger. Und in Feldbrunnen lernten sie das Hüsli-Leben mit kleinen Kammern.

An der Zürcher Eibenstrasse bauten Bessire Winter ihr Leben um eine Stütze herum. (Foto: Paula Caputo)

Ausserdem zogen sie eine Zwischenwand ein.

Und sägten ein Loch in eine andere Wand. Et voilà. (Foto: Paula Caputo)

Nun zieht der Diskurs sie zurück in die Stadt. Seit 2017 geben sie die Architekturzeitschrift ‹Delphi› heraus und drucken sie daheim. Letztes Jahr organisierten sie eine Summer School im Kapuzinerkloster Solothurn, wo sie mit Studierenden Häuser für Klimaaktivisten entwarfen. Ob Architekten politischer werden sollten? «Nein, die Architektur selbst», entgegnet Céline Bessire, «im Bezug aufs Klima heisst das etwa, nicht nur Konstruktion und Material zu hinterfragen, sondern Lebensvorstellungen.»

Scheinluxus, Parasit und Stadtkondensat

Es sind kritische Worte, die sich auch in ihren Bauten spiegeln. An der Badenfahrt 2017 setzten sie den immer hochwertiger gebauten Provisorien, die das Vergängliche inszenieren, eine dünnhäutige Villa entgegen, gebaut aus Gerüststangen. Die Badfliese entpuppte sich als Bierdeckel, der Marmor als Tapete, das Blechdach als Wellkarton. Und am Ende des Stadtfests stürzte die billige Scheinwelt quasi in sich zusammen.

Trügerischer Schein: Beim Pavillon für die Badenfahrt, ein Projekt mit Didier Balissat und dem Verein Leviathan, ist das Badezimmer mit Bierdeckeln gefliest und mit Marmorimitat tapeziert.

2019 bauten sie in Derendingen ein mehrfach erweitertes Einfamilienhaus um. Mit einem Minibudget für den nächsten Anbau konfrontiert ergriffen sie die Flucht nach innen: Sie entfernten Wände und schlängelten einen Holzbau, der zugleich trägt und Möbel ist, durch die drei Stockwerke. Ein kluger Parasit mit Schiebe- und Überecktüren, der verschiedene Zustände erlaubt und als Fenster und Lukarne brachial nach aussen bricht.

Statt eines Anbaus entwarfen Bessire Winter in Derendingen eine Holzstruktur, die das Einfamilienhaus aus dem Inneren heraus verändert.

Aussen stülpt sich diese als Fenster und Dacheinschnitt nach aussen. (Foto: Paula Caputo)

Auf der anderen Seite als selbstbewusste Lukarne. (Foto: Paula Caputo)

Zuletzt gelang ihnen gemeinsam mit Du Studio ein Ankauf bei einem offenen Wettbewerb in Zürich: Anstatt wie gefordert ein Schulhaus in einen Park zu zeichnen, räumten sie diesen leer und verspannten ihn durch ein dicht-durchmischtes Stück Stadt mit der Autobahneinhausung Schwamendingen. Über Sport- und Schwimmhallen, Werk- und Musikräumen öffnet sich ein Geschoss auf der Ebene der Einhausung. Darüber türmen sich die eigentliche Schule, Kinos und Eventräume, zuoberst Wohnungen. Das meiste davon war im Raumprogramm nicht gefordert. «Doch so müssten wir diese neue Freifläche aufladen und die Gartenstadt weiterdenken», sagt Winter, «über die Parzellengrenzen hinweg, anstatt auf verdichteten Einzelparzellen nur Resträume zu schaffen.»

Die Stadt Zürich bestellte das Schulhaus Saatlen im Park. Doch stattdessen räumten Bessire Winter und Du Studio diesen leer.

Sie stellten eine dichte Mischnutzung hart an die Kante der Autobahneinhausung Schwamendingen. Diese sagt: So geht Stadt!

Ein Wettbewerbsbeitrag ohne Gewinnabsicht, eine Zeitschrift mit winziger Auflage, dazu drei laufende Wohnprojekte, um über die Runden zu kommen? «Nicht monetäre Auseinandersetzungen sind zwar prekär, aber relevant», sagt Bessire sofort, «und darum nie verlorene Zeit.»

Céline Bessire und Matthias Winter mit dem ersten von bald drei Kindern. (Foto: Philip Shelley)

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