Seit 2013 sind Sabine Schütz und Roman Tschachtli als Verve Architekten unterwegs. Fotos: Stefan Hofmann, fotostudio ph7

Den Status quo umfahren

Verve Architekten aus Biel planen ihre Baustellen aus einem Wohnwagen und legen mit den Bewohnern selbst Hand an. Wenn sie nicht auf Achse sind, suchen sie nach Alternativen – auch wenn die Zeit knapp ist.




Roman Tschachtli öffnet die Tür zum Wohnwagen, der auf einem Kiesplatz in der Nähe des Bahnhofs Biel parkiert ist. Auf der Front steht in grossen Buchstaben: Verve. Der Name des Architekturbüros von Roman Tschachtli und Sabine Schütz. Das Wort, das man beidseits des Röstigrabens versteht, heisst so viel wie ‹mit Elan›, ‹mit Schwung›, ‹mit Passion›. «Wir sind gerne mittendrin», sagt Tschachtli. Die beiden Architekten haben den Wohnwagen zum mobilen Baustellenbüro umgebaut, in dem sie jeweils direkt vor Ort arbeiten. Neben den Gartenstühlen steht ein Sitzungstisch mit Drucker, auf der Küchenablage liegen Helme, an der Schrankfront kleben Farbmuster. «Erst dachten die Bauarbeiter: Das sind Kontrollfreaks», sagt Schütz. «Dann haben sie gemerkt, dass die Wege so viel kürzer sind.» Bei Unklarheiten sind die Architekten sofort zur Stelle.

Sabine Schütz stammt aus Thüringen und studierte in Trier Innenarchitektur und Architektur. Roman Tschachtli kommt aus Steffisburg und studierte nach der Hochbauzeichnerlehre in Burgdorf. Zusammen decken sie die ganze Planung ab, vom Entwurf bis zur Bauleitung. «Die Abwechslung ist wichtig», sagt Schütz. Um eine Pergola für eine Genossenschaft in Biel zu errichten, gingen sie noch weiter. Zusammen mit den Bewohnern montierten sie die Holzkonstruktion an neun Tagen selbst. «Die Architektur sollte offen sein und nicht alles vorgeben», so Tschachtli. Verve treten dafür ein, anders zu bauen und anders zu wohnen. In Wettbewerben versuchen sie, Genossenschaften für unkonventionelle Grundrisse zu gewinnen. In Biel organisieren sie einen Workshop, der fragt: «Können alternative Wohnformen unsere Gesellschaft verändern?» Die Bewegung steht am Anfang. Noch geht es nicht um Räume, sondern um Wohnformen, die der Immobilienmarkt nicht anbietet. Die Architekten sehen sich als Vermittler. «Wir wollen engagierte Menschen zusammenbringen, damit sie gemeinsam ein Bauprojekt verwirklichen können», erklärt Schütz. Ihre gesellschaftliche Verantwortung übernehmen die beiden auch, wenn sie sich im Heimatschutz, im Werkbund oder im SIA engagieren.

Neun Monate Planungs- und Bauzeit
Wenn Verve entwerfen, arbeiten sie stationär in einer Bürogemeinschaft, die sie mit anderen in der ehemaligen Fahrradfabrik Cosmos eingerichtet haben. An der Wand hängt ein Postvelo, auf dem Tisch steht ein Modell eines Schulhauses, das die Architekten derzeit in Pieterlen planen. Es besteht aus vielen kleinen Holzmodulen, darüber verläuft ein Faltdach. Der Modulbau erlaubt, das Gebäude dereinst innert weniger Tage aufzustocken. Das Konzept basiert auf einer temporären Erweiterung, die die Architekten 2017 beim Schulhaus Champagne errichtet haben. Der Zeitplan war sportlich: Nur neun Monate vergingen von der Auftragsvergabe bis zum Bezug. «Alles musste unglaublich schnell gehen», sagt Tschachtli. «Das hatte aber auch seinen Reiz.» Es half, dass die Architekten bereits ein Modulsystem für eine Aufstockung in Bern entwickelt hatten, die aber nicht realisiert wurde. Nun konnten sie beweisen, dass sie auch unter Zeitdruck klug und sparsam entwerfen. Die Heizkörper dienen gleichzeitig als Brüstungen, das spart ein teures Sicherheitsglas in der Fassade. Die Holzwände sind Tragstruktur und Pinnwand in einem. Der Teppichboden besorgt die Akustik. Die Architekten stapelten die 36 Module pragmatisch aufeinander. Die Erschliessung aber planten sie als expressive Treppenskulptur, die den temporären Charakter geschickt überspielt. Zu jedem Zimmer führen mehrere Wege. Es sind solche Alternativen, die Verve interessieren. Und es sind solche Alternativensucher, die die Welt braucht.

In der Rubrik «Wilde Karte» präsentieren Hochparterre und Velux jedes Jahr vier ausgewählte Architekturbüros, deren Gründer unter 40 sind. Am 25. Oktober wetteifern die vier Büros im Zürcher Architekturzentrum um einen Platz bei einem eingeladenen Architekturwettbewerb.
 

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