Untragbare Zustände
Es ist das alte Lied, aber es tönt düsterer denn je: Die offenen Wettbewerbe werden weniger und weniger. Das ist nicht nur katastrophal für den Nachwuchs, sondern auch für die hiesige Baukultur.
Irgendwo im Ostschweizer Niemandsland stehen Autos im Stau, am Strassenrand sind Personen zu Fuss unterwegs, Verkehrspolizisten versuchen, grösseres Chaos zu vermeiden. Auf einem überfüllten Parkplatz hat man eine Lautsprecheranlage installiert, um die sich jetzt mehrere Hundert Menschen scharen. Einige klettern auf das nahe Flachdach, um einen besseren Blick zu bekommen, viele halten ihr Handy in die Höhe. Es ist kein Festival, dafür ist die Stimmung zu klamm. Es ist aber auch keine Demonstration, dafür ist die Stimmung zu lethargisch. Nein, man ahnt es und will es doch kaum glauben: Es ist die Begehung eines offenen Wettbewerbs: Strandbad Bruggerhorn, St. Margrethen. Wir schreiben den 28. Januar 2019.
Warum der Andrang? In den letzten drei Monaten wurde in der Deutschschweiz kein einziger Projektwettbewerb mehr offen ausgeschrieben. In der Westschweiz war es gerade einmal einer, Im Tessin ebenso. Das ist nicht nur katastrophal für den Nachwuchs und für kleinere Architekturbüros, denen der Zugang zu grösseren Bauaufgaben verwehrt wird. Es ist auch desaströs für die Baukultur, die keine Innovation und keine Provokation von ausserhalb eines engen Zirkels mehr erfährt und unter Ausschluss echter Konkurrenz in der Repetition des Immergleichen erstarrt. Weitere unmittelbar einleuchtende Argumente für den offenen Wettbewerb waren bereits Anfang Jahr nachzulesen in einem Tec21-Artikel von Monika Jauch-Stolz, Präsidentin der SIA-Wettbewerbskommission.
Was nun? Alle Auslober, die öffentlichen zuvorderst, sind dringend aufgefordert, den Teufelskreis zu durchbrechen. Die Rechnung ist denkbar einfach: Mit jedem Wettbewerb, der statt selektiv offen durchgeführt wird, halbiert sich die Zahl der Interessenten, mit jedem Wettbewerb, der statt offen nur selektiv durchgeführt wird, verdoppelt sie sich.