Comeback der Architektur

Der ‹spekulative Ideenwettbewerb Stadthotel Triemli› gehört in die Geschichtsbücher. Und er war eine Möglichkeit für Architekt*innen, den Umgang mit dem Bestand zu üben.

Der ‹spekulative Ideenwettbewerb Stadthotel Triemli› gehört in die Geschichtsbücher. Und er war eine Möglichkeit für Architekt*innen, den Umgang mit dem Bestand zu üben.

Vieles am Ideenwettbewerb ist aussergewöhnlich und bemerkenswert: angefangen bei der Ausloberin, dann das Thema und daraus folgend die Aufgabe und das Verfahren, weiter die Jurierung und schliesslich die Nachbereitung. Obwohl er als ‹spekulativ› bezeichnet wird, ist der Wettbewerb keineswegs naiv oder weltfremd angelegt, im Gegenteil. Gerade die seriöse Vorbereitung und die zum Teil sehr ernsthaften Beiträge verleihen dem ganzen Prozess ein hohes Mass an Glaubwürdigkeit. Denn es gilt zu bedenken: Die ‹ZAS*›, eine Gruppe junger Architekturschaffender in Zürich, nahm für sich heraus, einen Architekturwettbewerb zum Umbau dreier ehemaliger Personalhäuser des Triemli-Spitals auszuschreiben, die ihnen gar nicht gehören. Sie sind im Besitz der Stadt Zürich und die ZAS*–Leute fanden, dass sie als Bewohnerinnen der Stadt folglich Miteigentümer seien und sie sich deshalb Gedanken über deren Zukunft machen dürfen und müssen.

Träumen erlaubt
Allein schon diese Kühnheit verdient Respekt. Ursprünglich sollten die drei Personalhäuser des Stadtspitals Triemli abgebrochen werden. Die ZAS* konnte nicht verstehen, dass in einer Stadt mit Wohnungsnot 750 Zimmer verschwinden sollten. Das energetische, soziale und architektonische Potenzial erschien offensichtlich, und erste Vorstellungen für Umnutzungen hatte sie auch schon. Doch die ZAS* wollten mehr. Erklärtes Ziel des Wettbewerbs war es, die Diversität an Ideen und Ansätzen zu steigern – eigentlich ein konventionelles Ziel. Es winkte jedoch kein Auftrag, im Gegenzug waren die Rahmenbedingungen nicht schon komplett festgezurrt. Ein wesentlicher Faktor musste allerdings berücksichtigt werden: Die Hochhäuser sollten stehen bleiben und um- beziehungsweise weitergenutzt werden. Abgesehen davon war das Feld für Ideen offen. Die ZAS* machte mit dem ‹Stadthotel› einen Vorschlag für eine Nutzung, der aber durchaus hinterfragt werden durfte.

Zu diesem Wettbewerbsdesign passt, dass die Jurierung öffentlich vor einem grossen Publikum stattfand. Öffentliche Jurierungen sind nicht mehr so häufig, in diesem Fall diente sie der Transparenz und der kollektiven Wissensbildung. Alle, die dabei waren, konnten etwas lernen – auch die Jurymitglieder. Im Nachgang bot die ZAS* den teilnehmenden Büros einen Workshop zum Austausch über eigene und andere Ideen, Vorschläge und Träume an. Auch dies ist keineswegs üblich. Bei normalen Wettbewerben bleiben die Teilnehmenden mit dem Ergebnis des Wettbewerbs alleine.

Mehr davon!
Ganz generell ist das Weiterbauen an der Stadt unter den Bedingungen der Klima- und Biodiversitätskrise und brisanter sozialer Fragen eine wahrhaft kollektive Aufgabe. Die Architektur kann – und das zeigt dieser Wettbewerb deutlich – in diesem Prozess eine Schlüsselrolle einnehmen. Sie würde allerdings nicht mehr so ausgeübt wie bis anhin. Architekt*innen können unmöglich jede der Bedingungen, die auf sie einprasselt, bis in die letzte Verästelung verstehen und erfüllen. Die Bedingungen sollen jedoch am Tisch sitzen und ihre Stimme erheben. Das ist gelebte Diversität und unabdingbar für den Prozess des Weiterbauens.

Die Teilnehmenden am ‹spekulativen Ideenwettbewerb› stellten sich ganz vielen Bedingungen – nicht allen, so ging etwa der grosse Nachbar Stadtspital völlig vergessen. Sie nahmen die Bedingungen an, gewichteten und ‹metabolisierten› sie und gaben dem Neuen eine Form. Das klingt ganz selbstverständlich, ist es aber nicht. Das Bauen muss dekarbonisiert werden, quasi ‹entgiftet›. Alle wissen, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Aber wer handelt schon danach? Eben.

Es gibt also noch verdammt viel zu tun. Architekt*innen müssen im umfassenden Umgang mit dem Bestand noch viel üben, üben und nochmals üben. Viele von ihnen – die grosse Mehrheit – haben es an den Architekturschulen nicht gelernt, wurden also nicht dafür ausgebildet. Und da Wettbewerbe gerne als ‹Forschung› bezeichnet werden, braucht es noch ganz viele Wettbewerbe wie diesen. Um zu forschen, zu probieren und gemeinsam Handlungswissen zu erzeugen.

Kommentare

Andreas Konrad 01.04.2023 02:48
Der Erkenntnisgewinn : Es braucht erstaunlich wenig, um aus einem trostlosen Nachkriegsmocken etwas Neues entstehen zu lassen. Lilly Irmer / Sophie Kalwa z . B . bringen « bloss » eine luzide Balkonschicht vor die Klötze, und schon scheinen die trüben Bunker leicht und luftig. Die Kosten sind überschaubar. Platzgewinn inklusive. Ein Augenöffner.
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