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Veränderungen verständlich gestalten

Mit einem «sehr subtilen» städtebaulichen Vorschlag gewinnt die Planergemeinschaft von Mirlo Urbano und Brühlmann Loetscher den Wettbewerb für die Zentrumsentwicklung in Güttingen. Die Architekten beantworten unsere drei Fragen.

Mit dem Bau eines neuen Schulhaus wurde die Landparzelle des alten Schulhauses mitten im Ortszentrum der Thurgauer Gemeinde Güttingen frei. Neu sollen dort das Gemeindehaus, Gewerbe und Dienstleistungen sowie Wohnbauten Platz finden. Die öffentliche Hand wollte und konnte für die grosse Aufgabe jedoch nicht als Investor auftreten und schrieb deshalb einen Wettbewerb für Teams aus Investoren und Architekten aus. Als Sieger ging das Projekt der Arbeitgemeinschaft von Mirlo Urbano Architekten und Brühlmann Loetscher Architektur & Stadtplanung mit dem Investor BSS&M Real Estate AG hervor. Ihr Vorschlag zeichne sich durch einen sehr subtilen Umgang mit dem Bestand aus, schreibt die Jury. Im Zentrum von Güttingen enstehe so eine neue Mitte.
Die Architekten beantworten unsere drei Fragen.

Was ist die Erfindung am Siegerprojekt?
Zwei Besonderheiten sind erwähnenswert. Erstens: Anstatt die bestehende Schulanlage aus den 1950er Jahren komplett abzureissen, wie es das Wettbewerbsprogramm vorgesehen hatte, bleibt die  separat stehende Turnhalle erhalten und wird zur Gemeindekanzlei umgenutzt. So erhält die Gemeinde ein identitätsstiftendes Gebäude und eine angemessene Präsenz im Dorfzentrum. Zweitens werden für die rund fünfzig Wohnungen in den fünf Wohnbauten drei unterschiedliche Bewohnerzielgruppen vorgesehen und entsprechende Wohnungstypologien entwickelt: für Alleinstehende und Paare im fortgesetzten Alter kleine, altersgerechte Mietwohnungen, ergänzt um einen Spitex-Stützpunkt und einen Gemeinschaftsraum; für junge, mobile (Erst-)Mieter loftartig konzipierte Wohnungen, teilweise ergänzt um strassenseitig angeordnete Atelierräume; für Familien oder Paare mit grossen Raumbedürfnissen Eigentumswohnungen in den beiden von der Hauptstrasse zurückversetzten Bauten, mit den Vorzügen der Geschosswohnung und der Individualität eines Reihenhauses.

Wie verhält sich das Projekt zur Umgebung?
Mit drei unterschiedlich konzipierten Freiräumen reagiert das Projekt auf die heterogene Umgebung: Der «Kanzlei-Platz» vor dem neuen Gemeindehaus ist ein öffentlicher Raum mit hoher Aufenthaltsqualität und bildet zudem den Auftakt des «Dorf-Boulevards», welcher von der Ortsmitte zum Bahnhof und See führt; der «Otmar-Platz» entlang der Kantonsstrasse schafft für die hier angeordneten Geschäftsflächen möglichst gute Bedingungen, mit Platz für Parkierung, Aussenverkaufsflächen, Anlieferung etc.; der von den Neubauten umfasste «Otmar-Hof» schliesslich ist als lärmgeschützter Aufenthalts- und Begegnungsraum primär für die Bewohner vorgesehen, ist  aber auch für die Dorfbewohner zugänglich.
Mit einer hohen  Durchlässigkeit – bestehende Wegverbindungen werden konsequent fortgesetzt und um neue ergänzt – werden generell gute Voraussetzungen für ein aktives Dorfleben geschaffen. Darüberhinaus übernimmt die architektonische Gestaltung der Neubauten ortstypische Elemente, wie den klaren volumetrischen Schnitt, den geradlinigen Dachgiebel oder geschossweise, horizontale Versätze in der Fassade und unterstützt damit die ortsbauliche Integration zusätzlich.

Wo lagen die grössten Schwierigkeiten im Wettbewerb?
Mit einem Neubauprojekt dieser Grösse mitten im Dorfzentrum verändern sich lange bestehende Strukturen. Wegverbindungen müssen neu verknüpft werden, «Bilder im Kopf» müssen überdacht werden. Mit einer rücksichtsvollen ortsbaulichen Einordnung und einer dezenten Architektursprache gestaltet das Projekt diesen Transformationsprozess für die Bevölkerung verständlich und annehmbar. Den hohen Erwartungen hinsichtlich vielfältiger Zentrumsnutzungen wurde mit einer konsequenten Ausrichtung der Geschäftsflächen auf die Kantonsstrasse und optimalen Zufahrtsbedingungen möglichst gut entsprochen; nur hier besteht Potential, genügend Kunden für einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb abholen zu können, und nur hier können die neuen Angebote Synergien aus dem bestehende Angebot mit Volg, Postagentur und Tankstelle nutzen und so das Zentrum als Ganzes stärken.

Zentrumsentwicklung Güttingen (TG)
Investorenwettbewerb in Form eines Studienauftrags für die Gemeinde Güttingen
Fachjury: Raphael Künzler, Michel Gübeli, Barbara Neff
– 1. Rang: BSS&M Real Estate AG, Zürich (Investor), Mirlo Urbano Architekten / Brühlmann Loetscher, Architektur & Stadtplanung, Zürich (Architektur) / Andreas Geser Landschaftsarchitekten, Zürich (Landschaft)
Weitere Teilnehmer:
– Hess Immobilien AG / Tom Munz Architekten
– Losinger + Marazzi AG / Baumschlager Eberle Architekten
– Implenia Immobilien AG / K&L Architekten
– Allreal Generalunternehmung AG / plan b architekten

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Kommentare

Günther 28.01.2016 17:38
Ein Ortszentrum einem Investoren zu überlassen, ist definitiv die falsche Lösung. Das wird die Gemeinde dann erkennen, wenn sie ihre Anliegen im weiteren Planungsverlauf einbringen will, aber abgewiesen wird oder dafür teuer bezahlen muss.
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