Heiteres Kopieren in der Schweizer Wettbewerbsszene: pan m / gud Architekten (Wettbewerbsbeitrag für die Siedlung Holliger in Bern, links) haben sich vermutlich von Conen Sigl Architekten (Wettbewerbsbeitrag für das Hochbord Dübendorf) inspirieren lassen.

Sinnieren übers Plagiieren

Vielleicht handelt es sich beim Plagiatsfall von Biel gar nicht um einen Plagiatsfall, sondern um den ‹courant normal› der Architekturproduktion? Ein paar Gedanken zu einem ewigen Thema.

In der aktuellen Ausgabe von Hochparterre Wettbewerbe berichten wir über den Wettbewerb für das Schulhaus Champagne Biel, den das Architekturbüro Topotek 1 für sich entscheiden konnte. Bloss: Mit dem Entscheid sind nicht alle einverstanden. Das Siegerprojekt sei die Kopie eines Entwurfs von Karamuk Kuo, findet Architekt Jürg Graser, der einen Rekurs eingereicht hat. Lesen Sie hierzu Ivo Böschs lesenswerte Suche nach gewichtigen Argumenten

In the meantime... kann man übers Plagiieren schnell ins Sinnieren kommen. Ich blättere durch die neuste Ausgabe des Architekturmagazins Modulor und sehe ein grosses Foto von Astrid Staufer, auf dem sie ein grosses Modell in den Händen hält. Daneben ein hervorgehobenes Zitat aus dem Gespräch: «In der Architektur gibt es keine ‹Erfindungen›», sagt Staufer. «Jeder Architekt leistet seinen Beitrag zur Geschichte, indem er Vorhandenes interpretiert, weiterentwickelt und – daraus ableitend – Eigenes entwickelt.» ­– Da möchte man eigentlich nicht widersprechen. Und auch wenn es im Gespräch nicht um die Causa Biel, sondern um den Unterricht von Astrid Staufer und Thomas Hasler an der TU Wien geht, so erübrigt sich aus dieser Perspektive das Thema «Plagiat in der Architektur» doch sozusagen von selbst. 

Die Antike zu Gast in der Oberpfalz: Leo von Klenzes Walhalla (1842) ist ein Doppelgänger des Parthenons.

Bitte kopieren!
Die historische Optik scheint erst einmal zu bestätigen, dass Architektur gar nicht anders verstanden werden kann denn als endloser Transformationsprozess, und dass die explizite Bezugnahme auf bereits Gedachtes oder Gebautes nicht nur erlaubt, sondern im Sinn einer Orientierung an mythisch überhöhten «Meistern» geradezu geboten ist. Ein grosser Teil der westlichen Baukultur der vergangenen Jahrhunderte wäre ohne das ständig neu bemühte Vorbild der griechischen Antike undenkbar, sei es als idealisierte ‹machine à émouvoir› bei Le Corbusier oder – sehr viel expliziter «plagiierend» – als Transfer des Parthenons von Athen an die Ufer der Donau im Falle von Leo von Klenzes Walhalla.

Die sogenannten ‹Heroen› der Modernen Architektur wiederum schützten nicht etwa ihr geistiges Eigentum, sondern forderten von ihren Jüngern die getreue Befolgung der von ihnen entwickelten Prinzipien. Die «cinq points» beispielsweise lassen sich so auch als einfaches Rezept für ein gelungenes Plagiat lesen. Unvergessen bleibt mir in diesem Zusammenhang eine Filmaufzeichnung des späten Mies van der Rohe, der angesichts der immer zahlreicheren postmodernen Abweichungen von der von ihm entwickelten Curtain-Wall-Universalsprache resigniert auf dem Bett sitzt und sagt: «What went wrong? We told them what to do.»

Kopien haben lange Beine: Die Villa Figini (Luigi Figini, 1934-1935) orientiert sich irgendwie an der Villa Savoye (Le Corbusier, 1928-1931).

Die Frage der Nachahmung in der Architektur, lässt sich schliessen, ist keine rechtliche im Sinne des Plagiats, sondern eine kulturelle im Sinne der persönlichen Haltung und der eigenen Positionierung gegenüber der Architekturgeschichte. Die kritische Diskussion des Themas bleibt nichtsdestotrotz wichtig und notwendig, auch auf rein architektonischer Ebene, führt doch das musterschülerartige «Referenzieren», wie es landauf landab gelehrt und praktiziert wird, beileibe nicht immer zu beglückenden Resultaten, und ist andererseits der Bruch mit dem Kanon ein mitunter wichtiger Schritt in der lebendigen Fortschreibung der Tradition – auch wenn man, dies nochmals Mies, nicht jeden Montagmorgen eine neue Baukunst erfinden kann.

Ciao Bello!
Ob man das ‹Plagiat› nun als courant normal der Architekturproduktion kritisieren oder begrüssen mag - auf jeden Fall staunenswert sind die bunten Blüten, die die Praxis des Kopierens im Schweizer Architektur- und Wettbewerbswesen treibt. Vorbilder sind dabei nicht zwangsläufig die Ikonen aus der Architekturhistorie, sondern – was die Sache freilich etwas delikater macht – das erfolgreiche Projekt aus dem Architekturatelier vis-à-vis – man achte nur einmal auf die massenweise und anhaltende Verbreitung des Märkli'schen «Knotens» (den Peter Märkli wiederum bei Palladio «gefunden» haben will) nach seinem ersten Auftritt am Synthes-Hauptsitz in Solothurn 2012.

Erstaunlich auch der Widerhall des erstrangierten Projekts von Conen Sigl Architekten für das Hochbord in Dübendorf von 2017: Verblüffende Parallelen in der Bildsprache entdeckten wir nicht nur in Knorr & Pürckhauers Wettbewerbsbeitrag für den Ersatzneubau der GBMZ-Siedlung «Stüdli» in Zürich-Aussersihl (2019), sondern auch im Entwurf der Arbeitsgemeinschaft pan m Architekten / gud Architekten für den Wettbewerb Siedlung Holliger, Baubereich U1 in Bern (2019).

Verblüffende Parallelen: Links eine Wettbewerbsvisualisierung von Knorr & Pürckhauer Architekten für die GBMZ-Siedlung 6 in Zürich (2019), rechts die Visualisierung von Conen Sigl Architekten für das Projekt Hochbord in Dübendorf (2017)

Semantische Klärung: pan m Architekten / gud Architekten ergänzen Conen Sigls «Bello» mit «Ciao».

Letzterem darf man zugute halten, dass er das ominöse «Bello» von Conen Sigl zumindest auf semantischer Ebene klärt: War man sich bis anhin etwas unsicher, ob es sich bei der weithin sichtbaren Aufschrift um einen Hunde- oder anderen Tiernamen handelt, so weist das ergänzende «Ciao» nun doch eindeutig in Richtung italienisches Dolce Vita.

Für zukünftige kollektive Wohnsiedlungen darf man also auf heitere Architektur-Botschaften wie «Ti amo» oder «Felicità» hoffen, Freibäder könnten sich mit der Aufschrift «Gente di mare» schmücken, Kindertagesstätten mit «Ciao bimbi». Das ist sicher besser als ein Alterszentrum mit Leuchtschrift «Hasso» oder «Lassie» auf dem Dach, woraus wir wiederum schliessen dürfen, dass Kopieren immer auch ein produktives Weiterdenken ist.

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Kommentare

Bello 30.03.2020 10:31
Was Adam Caruso und seine Studenten an der ETH gemacht haben...sieht man bei Conen Sigl...wo ist die Fantasie?
Egon 29.03.2020 11:26
Kopiert wenigstens gute Architektur.
BATMAN 28.03.2020 19:54
Passt!
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