«Mies-Minis im freien Spiel»: Entwurf Nummer 1281

Im Zweifelsfall lustig

Ein «Museum des 20. Jahrhunderts» soll die an Platzmangel leidende Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe ergänzen. Die erste Phase des «Ideenwettbewerbs» zeigt, was zu befürchten war: der Standort ist falsch.


«Ideenwettbewerb» nannte sich die erste Phase des Wettbewerbs für das «Museum des 20. Jahrhunderts», welches die an Platzmangel leidende Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe ergänzen soll. Normalerweise versteht man unter einem Ideenwettbewerb die Suche nach grundlegenden programmatischen und städtebaulichen Strategien, so dass in einem zweiten Schritt Ziele und Möglichkeiten einer Bauaufgabe genauer definiert werden können. Im vorliegenden Fall jedoch waren nicht nur der Bauplatz, sondern auch ein quadratmetergenaues Raumprogramm inklusive obligatorischer unterirdischer Anbindung an die Nationalgalerie vorgegeben, sprich: der Spielraum für «Ideen» war im vornherein auf den architektonischen Entwurf beschränkt. Was auch immer die Auslober zu den rigiden Vorgaben getrieben haben mag – es war keine gute Idee. Eine offen gehaltene Fragestellung wäre angesichts der hochsensiblen Umgebung nicht nur sinnvoll, sondern zwingend notwendig gewesen.

Natürlich: nach Jahrzehnten des Stillstands auf dem Kulturforum möchte Berlin Nägel mit Köpfen machen (2021 soll das Neue Museum seine Tore öffnen); ausserdem haben die Sammler, deren Stücke im neuen Museum präsentiert werden, mit Nachdruck auf dem prestigeträchtigen Bauplatz zwischen Nationalgalerie und der Scharoun’schen Philharmonie bestanden (obwohl ein alternativer Standort in organisatorischer Hinsicht nachweislich besser gewesen wäre). Der Auslober, die Stiftung Preussischer Kulturbesitz, möchte aber auch auf Nummer sicher gehen, und deshalb war der «Ideenwettbewerb» eben kein inhaltliches Instrument, sondern ein verfahrenstechnisches Manöver, um vordergründig dem Ruf nach mehr offenen Wettbewerben gerecht zu werden: Die zehn prämierten Projekte des offenen Ideenwettbewerbs qualifizieren sich zwar automatisch für den «Realisierungswettbewerb» der zweiten Phase, müssen dann aber das Feld mit weiteren Büros teilen, die über eine Präqualifikation oder eine Einladung direkt in den Wettbewerb einsteigen. Die Namen der zehn siegreichen Verfasser der ersten Phase bleiben deshalb anonym, ihre detaillierten Entwürfe hingegen sind für jedermann einsehbar (eine schöne Vorarbeit für die «Stars» der zweiten Runde, denen man wohl den Ideenwettbewerb ersparen wollte).

Das Kulturforum, muss man nun wissen, ist ein städtebauliches Sorgenkind der Bundeshauptstadt. Von Hans Scharoun einst als «Stadtlandschaft» mit freistehenden Bauwerken im Grünen angedacht, bestimmen heute die vierspurige Potsdamer Strasse, wuchernde Parkplatzflächen und verlorene Sträucher das Bild. Eine denkbar trostlose Umgebung für die architekturgeschichtlichen Monumente, die hier versammelt sind. Etliche Vorschläge zur «Vollendung» des Kulturforums wurden in den letzen Jahren gezeichnet; es finden sich darunter so erstaunliche Entwürfe wie eine geschwungene Arkade von Hans Hollein oder eine Blockrandbebauung von Bernd Albers. Realisiert wurde nichts oder – im Fall des zurückhaltenden, aber einsichtigen landschaftsarchitektonischen Konzepts von Valentien und Valentien – nur fragmentarisch. 

Nun wäre das «Museum des 20. Jahrhunderts» zweifellos ein guter Anlass, um die problematische städtebauliche Situation unter neuen Prämissen zu verhandeln. Weil der Auslober aber Standort und Grösse des Museums bereits bestimmt hat, ist just diese Diskussion verunmöglicht worden. Der vorgeschriebene Bauplatz zwischen Nationalgalerie und Philharmonie hat im Gegenteil ein weiteres Problem geschaffen: Neben die städtebauliche Frage, ob und wie die Idee der «Stadtlandschaft» in die Zukunft gerettet werden soll, ist die ebenso schwierige Frage getreten, wie sich ein Bauwerk in unmittelbarer Nachbarschaft zweier Architekturikonen verhalten soll, die zudem in ihrer Sprache und ihrem Gestus denkbar weit auseinander liegen. Die Resultate der ersten Phase lassen leider nur einen Schluss zu: es geht nicht. Nicht dass die prämierten Entwürfe deplaciert oder unnötig spektakulär wären. Viele Vorschläge sind durchaus denkbar – nur überzeugend ist keiner. An allen Ecken und Enden spürt man ein Hadern und Zögern, eine kleinlaute Unentschlossenheit, die gegenüber dem Absolutismus des Mies’schen Tempels und der strahlenden Formenherrlichkeit Scharouns bald ganz zu Verstummen droht. Symptomatischerweise sehen sich die meisten Entwürfe dazu veranlasst, die Ausstellungsräume im Untergeschoss verschwinden zu lassen. Attraktiv ist das nicht, aber ein Anzeichen dafür, dass das Raumprogramm für diesen Bauplatz schlicht zu gross ist. 

Die resignierten Reaktionen in der deutschen Presse («Ideen ohne Mut», kommentierte die Berliner Zeitung, von «schüchtern bis ungelenken Entwürfen» schrieb Niklas Maak in der Frankfurter Allgemeinen) können deshalb nicht überraschen. Verwundert nimmt man hingegen die einhellige Präferenz für das Projekt mit der Tarn-Nummer 1281 zu Kenntnis. Der Vorschlag unterteilt das Grundstück in quadratrische Felder, die einmal Haus, einmal Hof, einmal Spielplatz, einmal Waldhain sind. «Lauter Mies-Minis im freien Spiel», lobte die Berliner Morgenpost. «Das hat etwas.» Die Berliner Zeitung wiederum befand, nur hier sei «wirklich eine Idee zu finden, die weiter führt als zu einer konventionellen Museumskiste». Die Welt schliesslich sah im tetris-artigen Entwurf eine «differenzierte Stadtlandschaft», die das ganze Gelände zum Pulsieren bringe. Als witzige Antithese zur Autorität der architektonischen Säulenheiligen mag man dem Projekt einen gewissen Reiz nicht absprechen, als konkretes Bauwerk wäre es aber doch nicht mehr als ein Ausdruck der Ratlosigkeit: im Zweifelsfall lustig.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die auch Stiftungsrat-Vorsitzende der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist, zog derweil eine positive Bilanz des Verfahrens: «Dieser Ideenwettbewerb war wertvoll, weil er für uns viele Erkenntnisse gebracht hat. Zunächst: dieser Standort ist der richtige.» Man reibt sich verwundert die Augen.

Das Museum des 20. Jahrhunderts und seine städtebauliche Einbindung

Ideenwettbewerb für die Stiftung Preussischer Kulturbesitz
Fachjury: Arno Lederer, Roger Diener, Undine Giseke, Heike Hanada, , Hilde Léon, Till Schneider, Enrique Sobejano
Aus 460 eingereichten Arbeiten prämierte die Jury zehn Projekte (ohne Rangierung).

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Kommentare

R. v. Rabener 18.02.2016 22:31
Aus baukünstlerischer und stadträumlicher Sicht ist dem Autor zuzustimmen. Nur: Ohne Kunst kein Museum. Die Sammler Pietsch / Marx / Marzona würden ihre Zusagen zurückziehen, wenn an der Sigismundstrasse gebaut wird (angedroht in einem Brief an den SPK-Präsidenten Parzinger). Jetzt klagt Marzona, dass es den Entwürfen an Souveränität mangelt. Was will er? Ein Denkmal? - Kunst ist die Geldmaschine des 21. Jh., und Geld regiert noch immer die Welt...
Selina 18.02.2016 17:26
Hart, aber zutreffend... Trotz allem hofft man nun auf die zweite Runde (vielleicht war das Niveau der Abgaben einfach sehr tief). Es bräuchte wohl einen Geniestreich.
Karsten Buchholz 18.02.2016 12:48
Solch eine Analyse und solch eine Schlussfolgerung wird man vergeblich in Deutschen Presseorganen suchen. Es ist jedoch leider nicht nur dieses eine fragwürdigen Wettbewerbsergebnis: Angesichts der befremdlichen Resultate der zuückliegenden, grossen Architekturwettbewerbe in Deutschland (Bauhaus Dessau, Bauhaus Archiv Berlin und eben jetzt dieser hier) kann man schon von einem (unnötigen) Versagen der bisherigen Kultur der offenen Wettbewerbe in Deutschland sprechen. Ein Schelm, der Kalkül dahinter vermutet. Gerade in Berlin.
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