Siegerprojekt von Buol & Zünd: Konstruktionsschnitt mit Hoffassade

Barock reparieren, Geschichte entsorgen

Das Kino Capitol wurde vor 90 Jahren in ein barockes Berner Altstadtpalais eingebaut. Nun soll es Wohnungen weichen. Das Siegerprojekt kramt in der Baugeschichte. Ein Kommentar von Martin Klopfenstein.

1929: Die Schweizerische Bauzeitung berichtet über den Kinotheatereinbau an der Kramgasse, dem die erste komplette Auskernung von Berner Altstadthäusern samt Innenhofüberbauung voranging. Der Autor erörtert die baulichen Schwierigkeiten des Vorhabens, schildert deren erfolgreiche Meisterung und listet die technischen Raffinessen der Ausstattung auf. Kein Wort über den Verlust historischer Bausubstanz, nicht eine Zeile über das Zusammenspiel von Alt und Neu. Das wäre heute so nicht denkbar, selbst wenn denkmalpflegerische Anliegen da und dort in die Defensive geraten: Altstadtliegenschaften geniessen weitgehenden Schutz, und wo Zerstörungen Wunden schlugen, wird eifrig rekonstruiert oder nachempfunden.Wiederherstellen, reinterpretierenIn diesem Geist präsentiert sich auch das Programm zum Studienauftrag für den Ersatz des unrentabel gewordenen Capitols. Die Denkmalpflege sieht den Moment gekommen, vergangene Fehler auszumerzen. Es ist die Rede von Wiederherstellung der tradierten Stadtmorphologie, man sucht feinfühlige Reinterpretationen und integrative Ansätze. Das Siegerprojekt antwortet mit einem Reimport der klassischen Berner Altstadttypologie mit Vorder- und Hinterhaus und historisch referenzierenden Bogenformen im Innenhof. Ob der Barock 2.0 von Buol & Zünd die Sache sogar besser macht als je zuvor, muss allerdings unbeantwortet bleiben, denn der Ursprungszustand ist nicht dokumentiert. Aber man würde sich nicht wundern, wenn angesichts des verheissungsvollen Vorschlags den Freunden gepflegter Einfühlungsarchitektur die eine oder andere Träne aus dem Auge kullerte. Für diese Art von Baugeschichtsverbesserung wird das eingangs beschriebene Kinotheater zur Disposition gestellt – ein Radikaleinbau damals, aber eben auch ein Stück Gesellschaftsgeschichte (Josephine Baker war hier!) und eines der wenigen Beispiele von Art-déco-Einflüssen in Bern. Begründet...
Barock reparieren, Geschichte entsorgen

Das Kino Capitol wurde vor 90 Jahren in ein barockes Berner Altstadtpalais eingebaut. Nun soll es Wohnungen weichen. Das Siegerprojekt kramt in der Baugeschichte. Ein Kommentar von Martin Klopfenstein.

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