Die Mauer stand schon, die Bäume auch. Dass das Haus im Kern aus den 1930er-Jahren stammt, ahnt man nicht. Fotos: Julian Salinas
Im Auftrag von Minergie Schweiz

Vitamin-A-Kur

Ein neunzigjähriges Haus in Wettingen bekommt neue Räume, ein neues Kleid mit runden Ecken und die Zertifizierung Minergie-A. Warum der Architekt und Bauherr anfangs mit dem Label haderte und nun überzeugt ist.

Das soll ein Minergie-A-Gebäude sein? Also ein Haus, das mehr Energie produziert als es selber braucht? Es erinnert irgendwie an Ferien, so zwischen Föhren und mit Brennholz unter der Holzfassade, die einen halben Meter über der Wiese schwebt. Silbern schimmern die Bretter, mit geschmeidig gerundeten Ecken – und trotzdem sieht das Haus nicht futuristisch aus, wohl wegen der ‹Laubsäge-Bordüre› der Balkone und vielleicht auch, weil es sich eher in die Höhe steckt, als in die Länge.

Auf der Eingangsseite entfernte man die alte Mauer, hier öffnet sich nun ein Vorplatz. Die abgerundeten Ecken trotzten den Baulinien zusätzliche 30 Zentimeter ab.

Ferienstimmung auf den Balkonen. Als leichte Stahlwannen ragen sie in den Baumwipfel.

Dass sich hinter den modernen Rundungen ein umgebauter Altbau verbirgt, ist die nächste Überraschung. Ein Einfamilienhaus aus den 1930er-Jahren, wie es an der Strasse gegenüber noch steht, ist zum Dreifamilienhaus geworden. Das viele Grau in den Grundrissen zeigt, dass sich im Innern kaum etwas verändert hat: Rot sind im Erdgeschossplan neben dem neuen Eingang und zwei Treppchen in den Garten nur zwei Räume. Sie stülpen sich seitlich aus, dort, wo die grosszügige Baulinie es zuliess. Im 1. Obergeschoss verschmelzen diese neuen mit den alten Räumen und ein Balkon kommt hinzu. Küche und Bad sind neu. Der Plan des obersten Geschosses ist vollends rot. Es ersetzt das frühere Walmdach und interpretiert die darunterliegenden Raumfolgen zu einem offenen, hellen Raum, dessen Bereiche nur eine Regalwand oder Vorhänge abtrennen. Holz ist überall: Es prägt die Tragstruktur, die Einbauten und die Balkendecke. Ausser dem Gussboden wurde alles vorgefertigt auf die Baustelle geliefert und innert weniger Tage zusammengebaut. Die Balkone sind relativ leichte Stahlwannen, die aussen mit der Holzschale verkleidet sind.

Das neue, oberste Geschoss besteht fast gänzlich aus vorgefertigten Holzbauelementen. Dem kinderlosen Paar genügt eine Raumtrennung durch Vorhänge.

2. Obergeschoss

All das erzählt Toni Hürzeler, während er Tee macht. Er ist Architekt und Bauherr in einer Person. Mit seiner Partnerin lebt er auf dem obersten Geschoss, ihre Mutter im untersten. In der Wohnung dazwischen wohnt ein befreundeter Ingenieur mit seiner Familie. Das Haus habe er vor zehn Jahren relativ günstig gekauft, weil die Strasse daneben ausgebaut werden sollte. Die Gemeinde Wettingen lies die Pläne fallen und heute fahren hier fast nur Velos und der Blick geht auf farbig belaubte Hügel. Ab und zu stört ein vorbeifahrender Zug die Idylle.

In der Erdgeschosswohnung veränderte sich räumlich fast nichts.

Erdgeschoss

1. Obergeschoss

Einem Neubau hätten nicht nur die Föhren, sondern auch eine grosse Magnolie und ein Lebensbaum im Garten weichen müssen, darum entschied sich Hürzeler für Umbau und Erweiterung. Die runden Ecken seien nicht nur reizvoll, sondern waren auch hilfreich bei der Ausnutzung der Baulinien: 30 Zentimeter dicker durfte das Haus durch sie werden. Der nahe Zuglärm legte eine kontrollierte Lüftung nahe. Der befreundete Ingenieur riet dem Architekten zu einer Minergie-A-Zertifizierung. Der war anfangs skeptisch. Denn neben kontrollierter Lüftung, Heizwärme und Warmwasser aus erneuerbarer Quelle, also Erdsonde und Wärmepumpe sowie selber erzeugtem Solarstrom, der den Eigenbedarf übers Jahr deckt, sah Minergie damals neu auch ein Monitoring vor. Sein Haus in Wettingen ist einer der ersten Umbauten, die von einer Firma gemessen und optimiert wird. Zuerst hatte Hürzeler Bedenken, es sei zu aufwändig. Mittlerweile ist er aber überzeugt von dieser externen Begleitung, die seit zwei Jahren läuft. Es koste wenig und bringe viel. Nicht nur, weil das Kontrollieren und Einstellen der Energieflüsse die Werte besser gemacht hat, als die errechneten, sondern auch, weil die Abrechnung der einzelnen Wohnungen leichter ist. Jeder Bewohner kann seinen Verbrauch auf einem Online-Portal einsehen. Eine Ladestation für ein Elektroauto hat der Architekt eingebaut und später soll noch eine Batterie dafür sorgen, dass die sommerliche Überproduktion an Solarstrom vom Dach nicht ins Netz gespeist werden muss.  

Die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach produziert übers Jahr mehr, als die drei Wohnungen brauchen. Und es bleibt noch Platz für eine kleine Dachterrasse.

Dachterrasse

Für einen Umbau war die technische Ausrüstung relativ leicht umzusetzen: Für die neuen Leitungen, ob Lüftung, Heizung oder Strom, mussten nicht aufwändig durchgebrochen werden, sondern laufen in der neuen, 24 cm dicken Wärmeisolation. Um die alte Holztreppe erhalten zu können, bekam die unterste Wohnung keine Fussbodenheizung (und damit einen höheren Bodenaufbau), sondern wird über den Boden der Wohnung darüber geheizt. Auf dem nicht besonders grossen Flachdach blieb neben der Photovoltaikanlage mit 15 kWp sogar noch Platz für eine kleine Dachterrasse. Das Heizen mittels Erdsonde und Wärmepumpe hat noch einen weiteren Vorteil: Für das damit mögliche ‹Free cooling› wird man mit jedem neuen Hitzesommer dankbarer. Auch hier bewährt sich das Optimieren dank Monitoring: 3 bis 5 Grad kühler sei es in der oberen Wohnung im Sommer, obwohl es dort an schwerer Speichermasse mangelt.

Ein guter Ort zum Wohnen. Und gut fürs Klima: das umgebaute und erweiterte Wohnhaus in Wettingen.

Eigentlich, sagt Toni Hürzeler, hätte er lieber ein Haus, an dem er gar nichts regeln müsse. Doch nun sei er «happy» mit seinem Umbau. Er lebe hier zwar nicht mit einem Minimum an Technik, doch noch immer mit einem relativ einfachen System, das auch einfach zu unterhalten sei. Sagt es und fährt auf dem Velo in sein Büro ins nahe Baden.

Die Rubrik Werkplatz ist eine Kooperation von Hochparterre mit ausgesuchten Firmen und Institutionen des Werkplatzes Schweiz

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