Im Eins-zu-eins-Modell komponierten die Landschaftsarchitekten die Sukkulenten zu Arrangements. Fotos: Simon Kroll (Vogt Landschaftsarchitekten), Sandra Zorn und Moritz Küderli (Hydroplant)
Im Auftrag von Hydroplant

Miniatur-Landschaft am Fensterplatz

Mehr als 10'000 Sukkulenten zieren die Innenfassade eines neuen Konzernsitzes in Zürich. Um die richtigen Sorten zu finden, balancierten Vogt Landschaftsarchitekten und Hydroplant zwischen Markt und Ästhetik.

Eine Lieblingssukkulente hat Simon Kroll nicht. Emotionen sind trotzdem spürbar, wenn der Landschaftsarchitekt von den stacheligen, dickblättrigen Gewächsen erzählt. «Vor diesem Projekt hatte ich keinen grossen Bezug zu diesen Pflanzen. Heute bin ich begeistert von ihrer Vielfalt an Formen und Farben und ihrer Anpassungsfähigkeit.» Die Auseinandersetzung mit der Welt der Sukkulenten begann vor zwei Jahren. Damals beschloss der Konzern beim Umbau seines Hauptsitzes in Zürich nebst Nachhaltigkeitslabels auch das ‹Well›-Zertifikat anzustreben. Zwei Drittel der Mitarbeitenden sollten von ihrem Arbeitsplatz aus Pflanzen sehen. «Ein paar Töpfe zu verteilen, hätte nicht genügt», erinnert sich Simon Kroll von Vogt Landschaftsarchitekten. «Die Bepflanzung sollte Teil der Architektur werden. Darum spiegelten wir die Parapet-Kästen typischer Blumenfenster ins Innere.» Aber warum Sukkulenten? Weil die Fensterlage auch lichtbedürftige Pflanzen erlaubte und weil Sukkulenten überdies mit sehr wenig Wasser auskommen.
 

Beim Grosshändler in Holland wählten sie fünfzig Sorten aus, die in genügender Menge lieferbar waren.

Region, Kastennummer, Pflanzensorte und Durchmesser sind klar definiert.


Im Herbst 2019 fuhren die Landschaftsarchitektinnen nach Holland. Dort sind nicht nur die wichtigsten Tomaten- und Tulpenzuchten Europas zu finden, sondern auch die grössten Sukkulentenhändler. Nur diese Grosshändler und auf dem Markt gut verfügbare Sorten kamen für ein solches Grossprojekt infrage. Ansonsten gab es nur wenige Ausschlusskriterien: «Züchtungen, stark panaschierte Blätter oder kitschige Farben schlossen wir aus», so Simon Kroll.
 

Präzise Pläne bestimmen die Platzierung der Pflanzen.

Die Steine rund um die Sukkulenten sind Teil glaubwürdiger Landschaften.


Mit fünfzig Sorten kehrten die Planer schliesslich nach Zürich zurück, wo sie ein Eins-zu-eins-Modell des Fensterkastens bauten und dieses immer wieder neu bestückten. Das erste Ziel waren unterschiedliche Konzepte für die drei Gebäudeflügel. Weil drei Herkunftsregionen dominierten, entschieden sie sich für Dickblattgewächse aus Südafrika und stachelige Kakteen aus Mexiko und Südamerika. Danach kamen die Raumtypen: Grossraumbüro, Meeting Room, Cafeteria, Ruhezone et cetera. Auch hier setzte die Verfügbarkeit Grenzen: Seltene Sorten wie die Pilosocereus pachycladus hätten für die zahlreichen Kästen der Grossraumbüros nicht gereicht. Auch die Euphorbia stellata wäre dort am falschen Platz, ist sie doch mit ihren am Boden liegenden Zweigen nicht nur die niedrigste, sondern mit mehr als zwanzig Franken auch die teuerste Sukkulente. Nachdem dieser wissenschaftlich-rationale Rahmen abgesteckt war, blieb noch genügend Spielraum, um glaubwürdige Landschaften zu kreieren. Simon Kroll erzählt: «Bei der Mammillaria elongata überzeugt auch eine Mono-Bepflanzung, denn sie besteht selbst aus mehreren Pflanzenteilen, die wie Finger aussehen. Andere Sorten mussten wir kombinieren, damit das Gesamtbild nicht künstlich wirkt. Erst nach vielem Ausprobieren und Diskutieren, Verwerfen und Verbessern zeichneten wir Pläne.»
 

Der Umgang mit den stacheligen Kakteen erfordert Feingefühl.

Die Gärtnerinnen platzierten 10 000 Pflanzen in 512 Kästen und 21 Arrangements.


Dann war Hydroplant am Zug. Es galt, mit 10 000 Pflanzen 512 Kästen zu bestücken und dabei den Überblick über 21 Arrangements mit einer bis sechs Sorten in jeweils drei Grössen zu behalten. Eine logistische Herausforderung, die pro Kasten nicht länger als 45 Minuten dauern durfte. Die Gärtnerinnen schütteten erst eine Drainage, dann kam das Substrat aus Zeolithen, Vulkansteinen und gebrochenem Blähton. «Anders als eine Erdbepflanzung ist dieses luftdurchlässig», erklärt Projektleiter Samuel Bulgarelli. «Dadurch bleiben die Pflanzen feucht, ohne zu vermodern.» Als Nächstes kamen die Sukkulenten. Ort, Abstand und Grösse waren passgenau definiert. Doch weil Pflanzen keine Industrieprodukte sind, waren viel Fingerspitzengefühl, ein geübtes Auge und sorgfältige Hände nötig, die auch mal etwas verschieben oder weglassen, damit jede Mini-Landschaft am Ende die Grundidee transportiert. Zum Schluss legten die Gärtner Steine über das Substrat, für jede Herkunftsregion eine andere Sorte: Granit aus San Bernardino und Andeer für die Sukkulenten aus Mexiko und Südamerika, Maggia-Gneis für solche aus Südafrika.
 

Sukkulenten sind grün, gelblich oder rötlich.

Sie sind stachelig oder glattblättrig, ...

...fleischig oder feingliedrig.


Die grösste Herausforderung? Samuel Bulgarelli fällt nur eine ein: «Auch am Ende war die Verfügbarkeit die Krux. Die Pflanzen kamen verspätet und brachten unsere sorgfältige Just-in-time-Planung durcheinander.» Dennoch wurden die vielen Kästen früh genug fertig und warten in den Gewächshäusern nun geduldig auf ihren Fensterplatz. Wenn sie ihn eingenommen haben, ist die Arbeit allerdings nicht vorbei. Denn so genügsam Sukkulenten auch sind: Wie alle Pflanzen sind sie Lebewesen, und so werden die Service-Gärtnerinnen regelmässig nach dem Rechten sehen.


Die Rubrik Werkplatz ist eine Kooperation von Hochparterre mit ausgesuchten Firmen und Institutionen des Werkplatzes Schweiz.

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