Den Hauptsaal der Royal Academy of Music beleuchten 352 Deckenkristalle. Fotos: Adam Scott und Ulrike Brandi Licht
Im Auftrag von Licht 2018 Davos

Lichtinsel und Tropfenmeer

Der dekonstruierte Kronleuchter der Lichtplanerin Ulrike Brandi lässt in der Londoner Royal Academy of Music eine warme Lichtgalaxie entstehen. Brandi stellt das Projekt zusammen mit dem Architekten im September am Lichtkongress in Davos vor.

Hinter den denkmalgeschützten Fassaden der Royal Academy of Music verbergen sich seit diesem Jahr neue Highend-Musiksäle. Im Einbau im Innenhof der königlichen Musikschule befinden sich das vergrösserte «Susie Sainsbury Theatre», die «Angela Burgess Recital Hall» sowie fünf Studios. Das Team des Londoner Architekten Ian Ritchie besetzt mit der Erweiterung allerdings nicht den ganzen Innenhof, sondern führt die Zugänge und Korridore entlang der bestehenden Innenhofwände. So entsteht eine Art Fuge, über die Tageslicht in das Gebäude gelangt und zugleich Alt und Neu direkter erlebbar macht. «Die Beleuchtung ist zentral für ein Theater, sowohl auf der Bühne, im Orchestergraben, im Zuschauerraum als auch zur Begrüssung der Öffentlichkeit», erklärt Ian Ritchie. «Es ist unvorstellbar, ein Theater zu entwerfen, bei dem das Licht nicht im Vordergrund steht.»
 

Kristalle im Resonanzkörper
Der Umgang von Ian Ritchie Architects mit dem historischen und neuen Gebäude habe Ulrike Brandi begeistert, so die Lichtplanerin im Gespräch. Sie überlegte gemeinsam mit dem Architekten von Beginn an, welche Lichtwirkung wo erzielt werden sollte. «Wir arbeiten schon seit 25 Jahren zusammen, und wir haben heute ein gemeinsames Verständnis von der Entwicklung von Ideen und Räumen», so Brandi. In der Royal Academy of Music verkleidete Ritchie den Hauptkonzertsaal mit Kirschholz, dem Holz der Streichinstrumente. Die Lichtplanerin schlug daraufhin vor, statt dem traditionellen Kronleuchter in der Mitte des Saales eine andere Beleuchtung zu wählen, deren Licht sich – ähnlich der Musik – im ganzen Raum ausbreiten kann. Brandi entwickelte tropfenförmige Kristalle, die über Glasfasern mit Licht gespeist werden. «Die Leuchtmittel konnten nicht direkt an der Decke montiert werden, das wäre für die Wartung zu kompliziert geworden. Stattdessen haben wir die Enden der Glasfaser in den Seitenbereichen oberhalb der Decke untergebracht.» Hier wird über 52 Projektoren das Licht in die Leitungen eingespeist und zu den 352 Deckenkristallen geführt.
 

Neutrales statt warmes Weiss

Günstig war der dekonstruierte Kronleuchter auch für die Akustik. Da die Lichtkristalle über den ganzen Deckenbereich verteilt sind, auf verschiedenen Höhen hängen und den Schall in alle Richtungen reflektieren, waren sie für den Klang im Saal nicht relevant. Über die Farbe des Lichts haben Ritchie und Brandi länger diskutiert: Ursprünglich wollte Brandi diesen festlichen Raum mit einer warmen Lichtfarbe bespielen. «Doch Ian Ritchie argumentierte, dass mit Licht gefüllte Kristalle doch viel eher ein neutrales Weiss ausstrahlen würden und überzeugte mich damit», erklärt Brandi. Sie lobt den Austausch auf Augenhöhe: «Es ist schön, wenn alle am Desingprozess Beteiligten ihre Ideen offen miteinander austauschen können. Die Projekte gewinnen so.» Ritchie gibt die Blumen zurück: «Ulrike Brandi nähert sich Projekten mit einem offenen Geist, hört zu und ist sich immer der Atmosphäre bewusst, die wir gemeinsam erschaffen wollen.»
 

Tageslicht für den Vortragssaal

Der kleinere Vortragssaal, der sich über dem Hauptsaal befindet, kann auch mit Tageslicht erhellt werden. Ein grosses Oberlicht in der Mitte des Daches macht den Raum tagsüber hell; das Lichtauge kann mit Klappen verschlossen werden. Ein simples Prinzip, ohne viel Technik oder integrierte Motoren. Die Lichtstimmung hier ist eine ganz andere als im Konzertsaal: Das weiss gekalkte Eichenholz der Wände und Decken, der helle Holzboden und das gleichmässige natürliche Licht legen den Fokus auf Instrumente und Musikerinnen. Bei Bedarf flutet indirektes, 4000 Kelvin kühles Licht aus halbkugelförmigen Leuchten die Decke, zusätzlich kommen direkte Strahler mit etwa 3000 Kelvin zum Einsatz, wenn Lichtinseln geschaffen werden sollen. «Es ist vergleichbar mit dem eher kühlen, bläulichen Allgemeinlicht und der Sonne, die Wärme- und Lichtinseln schafft», erläutert Brandi.
 

Individuelle Lichtsteuerung

Das Licht im grossen Saal kann individuell gesteuert werden, etwa wenn ein Sternenhimmel simuliert werden soll. Fünf unterschiedliche Szenarien sind im Vortragssaal vor-eingestellt, sie orientieren sich nach den Tageslichtbedingungen und Art der Nutzung. Dazu zählen Szenarien für Proben, für die Aufführung bei Tageslicht, für die Ankunft des Publikums und für die Aufführung ohne Tageslicht. Nach einem schönen, aber sehr grossen Projekt wie die Elbphilharmonie hätte die Royal Academy of Music eine angenehme Dimension gehabt, so Brandi. Das kleinere Volumen und die Gestaltung des Raums lassen ein Gefühl von Intimität und Privatheit zu.

Die Rubrik Werkplatz ist eine Kooperation von Hochparterre mit ausgesuchten Firmen und Institutionen des Werkplatzes Schweiz.
 

 

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