Eduard Neuenschwander, Ferienhaus in Amden, Baujahr 1956: Ein frühes Beispiel für eine vorgehängte, hinterlüftete Fassade. Foto: Jürg Zimmermann.
Im Auftrag des SFHF

Hinterlüftung – kurze Geschichte eines Naturprinzips

Trocknen und kühlen ohne Energie zu verschwenden: Die vorgehängte hinterlüftete Fassaden nutzt ein Naturprinzip. Eine kleine Recherche zu ihrer Geschichte.

Guten Tag – gestatten, dass ich mich vorstelle? Ich bin eine VHF. Eine vorgehängte hinterlüftete Fassade. Bitte nennen Sie immer alle drei meiner Namen. Das ist wichtig. Ich erkläre Ihnen gleich, warum. Mich schickt der Verband SFHF. Das ist der Schweizerische Fachverband für hinterlüftete Fassaden. Kein Berufsverband! Auch wichtig. Denn der SFHF ist weniger für sich da als für Sie: Wer eine VHF plant, ist bei seinen Fachspezialisten am richtigen Ort.

Ein Naturprinzip

Sie sind ja vermutlich Architektin oder Architekt. Hand aufs Herz, was sieht Ihr inneres Auge, wenn Sie an eine VHF denken? Wahrscheinlich irgendeine Unterkonstruktion mit irgendeiner aufgeschraubten Bekleidung. Dieses Bild möchte ich korrigieren. Ich bin viele und mich gibt es heute in unterschiedlichsten Materialien dick und dünn, gross und klein. Ich kann zum Beispiel aus Glas, Keramik oder Metall bestehen, aus Holz oder Faserzement, aus Naturstein oder Glasfaserbetonelementen – dazu später mehr. Eines kann ich besser als alle anderen Fassaden – sehen Sie mir nach, wen ich jetzt kurz etwas angebe. Eine meiner herausragenden Eigenschaft ist, dass ich absolut tauwassersicher bin. Ich bin tauwassersicher von Natur aus. Es ist meine Bestimmung, ich kann gar nicht anders.

Ich bin tauwassersicher von Natur aus.
Die VHF

Funktionsprinzip

Meine grosse Besonderheit ist nicht nur der Luftkanal, also die Hinterlüftung zwischen Bekleidung und Wandkonstruktion, sondern dass diese bei mir unten und oben offen ist. Im Luftkanal gerät die Luft durch Temperaturunterschiede in Bewegung, wird erwärmt, steigt auf. Weil der Kanal offen ist, zieht die aufsteigende Luft automatisch frische von unten nach. Die Luft zieht also hinter mir hoch und trocknet bei der Gelegenheit alles ab. Ein Naturprinzip. Die Konstruktion der Aussenwand ist stets trocken.


Norwegens Scheunen, Neuenschwanders Ferienhaus

Zu den ersten, die mich entdeckt haben, zählen die Norweger. Sie waren verzweifelt, weil das Getreide und Heu hinter den Scheunenwänden verfaulte. Ihre einfachen Steinmauerwerke oder Holzkonstruktionen wurden bei Regen durchnässt und waren kaum trocken zu bekommen bei dem ständigen Nebel. Als die Bauern aber eine Holzschalung als Witterungsschutz montierten, und zwar auf eine Lattung mit Abstand zur Wandkonstruktion, löste sich das Problem dank der Luft, die dazwischen zirkulierte. Sie trocknete die Wand und belüftete dabei vermutlich grad auch noch die Ernte. Auch hierzulande dürfte es schon früher vormontierte Schalungen bei Heu- und Getreideschobern geben haben, und wenn Sie welche kennen, berichten Sie mir bitte!

Ab den 1940er Jahren wurde mein Prinzip genauer untersucht.  Zunächst sah man mich vor allem als effizienten Witterungsschutz. «Rainscreen claddings» sind zum Beispiel in Grossbritannien und Irland in den 1950er Jahren zum Einsatz gekommen. Aber je besser Gebäude beheizt und gedämmt wurden, desto mehr kämpfte man bei so manchem modernen Bau mit Feuchtigkeit in der Konstruktion. Meine Recherche ergab, dass in einem vom «National Research Council of Canada» 1963 veröffentlichten Bericht das «Open Rainscreen Principle» erstmals als Lösung erläutert wurde.

Eduard Neuenschwander, Ferienhaus in Amden, Baujahr 1956: Ein frühes Beispiel für eine vorgehängte, hinterlüftete Fassade. Foto: Jürg Zimmermann.

Eduard Neuenschwander, Ferienhaus in Amden: So ist's gemacht.


Beispiele von hierzulande aus dieser Zeit habe ich wenige gefunden. Auch da: Wenn Sie welche kennen, lassen Sie es mich bitte wissen? Ich würde nur zu gern etwas weiter untersuchen, wie kreativ Architektinnen und Architekten mit mir umgegangen sind. Immerhin gibt es das schmucke Ferienhaus des Architekten Eduard Neuenschwander von 1956, das in Amden hoch über dem Walensee steht. Neuenschwander liess die roten Faserzementplatten nicht direkt auf der äusseren Schalung montieren, sondern fügte einen Lattenrost ein, auf den das Schuppenkleid geschraubt wurde. Der Rost schuf Abstand und damit Raum für den Luftkanal zwischen tragender Wand und mir.

In der Ölkrise hat man ja dann notgedrungen begonnen, Gebäude nachzudämmen, wobei der Dampfkampf weiterging. Da war der natürliche Feuchteschutz oder anders formuliert die natürliche Abtrocknung willkommen, so wurde ich bekannter. 1989 hat sich der SFHF formiert, angeregt von drei engagierten Spezialisten. Er setzt sich dafür ein, dass ich und meinesgleichen hochwertig geplant und ausgeführt werden. 1992 gab der SFHF die erste Richtlinie für hinterlüftete Fassaden heraus, ein Standardwerk, das heute – erweitert und erneuert – in der Schweiz, Österreich und Deutschland gilt. Heute schätzt mein Verband, dass der Marktanteil von uns VHF bei ungefähr 18 Prozent liegt.

 

Filigrane Haut und schwere Mauer

Wir möchten diesen Anteil natürlich steigern. Die neue Website des SFHF hält praktische Informationen zum System und Referenzbeispiele bereit, die zeigen, wie man mich anwenden kann. Ich habe mich technisch-konstruktiv stark entwickelt. Gut geeignet bin ich für ein strukturelles Fassadenbild mit filigranen  oder auch grossformatigen Platten, das sein Wesen als Haut zu erkennen gibt und mit dieser Leichtigkeit spielt. Aber es gibt auch Architektinnen und Architekten, die einen tektonischen Ansatz suchen, der den konstruktiven Aufbau des Tragwerks wahrnehmbar macht. Sie wählen dann zum Beispiel Glasfaserbetonelemente, die auch vorgehängt und hinterlüftet montiert werden. Nicht ganz einfach, weil diese teils schweren Elemente in der Regel massgenau vorfabriziert werden – das gelingt aber mit einer frühzeitigen Koordination zwischen Architektin und Fassadenbauer.

Eine VHF mit Glasfaserbetonelementen.

Eine VHF mit kleinformatigen Platten.

Eine VHF mit grossformatigen Platten.

Meine natürliche Lüftung kann man ja nicht nur zum Trocknen, sondern auch zum Kühlen anwenden.
Die VHF

Heute verlangt die Klimakrise, beim Bauen wieder möglichst viele natürliche Prinzipien zu nutzen. Wir müssen von übertechnisierten Konstruktionen wegkommen, weil sie Energie fressen, graue und im Betrieb. Und da denke ich mir: Meine natürliche Lüftung kann man ja nicht nur zum Trocknen, sondern auch zum Kühlen anwenden. Das haben andere ohnehin längst gemerkt. Im Iran etwa gibt es traditionelle Hofhäuser mit Windtürmen. Deren untere Öffnung liegt in einem begrünten und beschatteten Hof, damit von dort kühle Luft angesaugt und durch das Haus hochgezogen werden kann. Ähnliches liesse sich wohl bei modernen Hochhäusern anwenden. Liegt an ihrem Fuss ein Grünraum oder eine Wasserfläche – möglichst fliessend, denn Wellen stärken dank der grösseren Oberfläche die Verdunstung – dann kann diese kühle Luft vom Boden ebenfalls entlang der Konstruktion hochgezogen werden, um die sonnenexponierte Hochhausfassade zu kühlen. Solche Ideen könnten mir bald weiteren Aufwind verschaffen.

Die Rubrik Werkplatz ist eine Kooperation von Hochparterre mit ausgesuchten Firmen und Institutionen des Werkplatzes Schweiz.

close

Kommentare

Kommentar schreiben