Von Kraut und Rüben zu Impfstoffen und Bytes

Wo Google Maps noch Pampa zeigt, arbeiten bald tausende Forscherinnen. Was zieht sie nach Allschwil? Zu Besuch beim Malaria-Pionier, der Stadtplanerin und zweien, die das Salz auf dem Fleisch sein wollen.

Fotos: Ephraim Bieri
In Zusammenarbeit mit Senn

Wo Google Maps noch Pampa zeigt, arbeiten bald tausende Forscherinnen. Was zieht sie nach Allschwil? Zu Besuch beim Malaria-Pionier, der Stadtplanerin und zweien, die das Salz auf dem Fleisch sein wollen.

Oft steht Geld am Anfang von Stadtentwicklung. So auch in Basel: Noch bis in die 1970er betrieb das Bürgerspital Basel Akutspitäler, die der Kanton dann übernahm. Als sich die Abtrittszahlungen sich dem Ende näherten, suchte das traditionsreiche Sozialunternehmen, das heute Betagte betreut und mit Beeinträchtigten arbeitet, neue Einnahmen – und erkannte Potenzial im eigenen Landbesitz: 7,5 Hektar Brache und Schrebergärten im Allschwiler Bachgrabengebiet, in einer Gewerbezone an der Grenze zu Basel und Frankreich.

Im Süden wuchs bereits Wertschöpfung heran. Als Startschuss gilt 1997 die Gründung der Pharma-Firma Actelion. Mit Abbott, Indorsia, Polyphor, Skan und Viollier entwickelte sich seither ein erfolgreiches Life-Science-Cluster. Daran wollte das Bürgerspital andocken – aber geordneter vorgehen. Denn nebenan liegen zwischen den Pharma-Firmen auch Gartenbauer, Werkhöfe oder Fitnesscenter. Kurzum: Kein Wildwuchs, bitte. Keine Supermärkte und Möbelhäuser. Etwas Nachhaltiges und Hochwertiges.

Wichtige Life-Science-Player in Basel (© Herzog & de Meuron)
1 Bachgraben   2 Baselink   3 Universität   4 Roche   5 Ciba/Syngenta   6 Klybeck   7 Novartis   8 BASF/Novartis

Mit diesen Wünschen ging das Bürgerspital 2008 zu Burckhardt+Partner. Gemeinsam entschied man sich für einen Masterplan, der die Gewerbezone privatrechtlich ergänzt. Es ist ein Plan wie viele: Querstrassen teilen das Gebiet in vier Bereiche mit je vier Baufeldern. Die Raumkanten zu den Längsstrassen sind Pflicht, dazwischen ist man freier. Nur die wichtigen Dinge des Baselink-Areals sind übergeordnet gelöst: Zwei Parkhäuser sammeln die Autos, Erdsonden sorgen für Energie und in der Mitte liegt ein gemeinsamer Grünraum.

Grünraum: Ein übergeordnet gestalteter Binnenraum verbindet das Areal.

Parzellenstruktur

Verkehr: Autos dürfen auf nur drei Strassen fahren und in zwei Parkhäusern stehen.

Energie: Unter dem Areal speichern Erdsonden die Sommerwärme und geben sie winters ab.

Der Pionier

«Wir sind nicht in die Pampa gegangen», sagt Marcel Tanner. «Die Start-ups und Spin-overs, die Nähe zur Wissenschaft, das war alles längst da.» Tanner ist ein Science-Topshot im Unruhestand. Unter seiner Leitung wurde das Schweizer Tropen- und Public-Health- Institut ‹Swiss TPH› weltbekannt, unter anderem durch Malaria-Forschung. «2009 arbeiteten wir in sieben Gebäuden in der Stadt», sagt Tanner rückblickend. «Wir wuchsen stark, und mir war klar: Das Raumproblem musst du vor der Pensionierung lösen.»

Noch bevor der Masterplan fertig war, entschied sich das Tropeninstitut für Allschwil. Wegen der Nähe zu interessanten Firmen und zum Grünraum Bachgraben. Und wegen der Grenzlage zwischen den beiden Basler Kantonen. Gemeinsam übernahmen diese bedeutende Risikogarantien für den 110-Millionen-Neubau – ein stolzes Haus von Kunz und Mösch, mit viel Glas, kräftigen Betonbändern und Kletterpflanzen. Im Januar 2022 werden 650 Mitarbeiterinnen in die Labor-, Büro- und Lernwelt einziehen.

Vor bald zehn Jahren beschloss Marcel Tanner, mit dem Schweizer Tropeninstitut nach Allschwil zu ziehen.

Nebenan ragen kräftige Betonscheiben in die Luft, 20 Meter hoch, wie alles hier. Wären sie schräger und abgetreppt, es könnte der Rohbau eines Stadions sein. Tatsächlich ist der Hof, den das Gebäude von Herzog & de Meuron aufspannt, so gross wie ein Fussballfeld. Die Entwicklerin Senn fasst hier vier Baufelder zum ‹Main Campus› des Basler Innovationsparks zusammen. Ab Herbst 2022 werden hier Start-ups, Co-Working-Spaces, Büros und Labors arbeiten. Auch das Universitätsdepartement Biomedizin und das Roche-Spin-off ‹Basilea Pharmaceutica› ziehen ein. Marcel Tanner, der auch im Verwaltungsrat des Unispitals sitzt, sagt: «Es war nicht einfach, die Stadtfirma über die Grenze zu locken. Aber wir wollten hier ja nicht bloss ein neues Headquarter bauen, sondern ein Life-Science-Cluster mitinitiieren.»

Der Main Campus des Basler Innovationsparks umspannt die vier Baufelder B1-4.

Ein pensionierter Wissenschaftler, bestens vernetzt im Basler «Daig», der einer St. Galler Baufirma Schützenhilfe bei der Mietersuche leistet? So ist das, wenn sich die Interessen decken. Und mittlerweile sitzt man auch in einem gemeinsamen Boot: Auf dem Baufeld A3, gleich neben dem Neubau des Tropeninstituts, soll das ‹PH2› als zweites Haus für Public Health entstehen. Senn baut hier mit Felippi Wyssen einen Bürobau mit leichtfüssiger Hülle. Das Tropeninstitut kann rund die Hälfte mieten, um patientennahe Forschung ohne Labors und ein Dormitorium zu betreiben, wo vor allem Doktorierende kurzzeitig wohnen dürfen. Tanner lächelt: «Das ist wichtig, denn Forschung macht man 24/7.»

Die Planerin

Tags darauf radeln wir durch das Entwicklungsgebiet Bachgraben, das fünfmal grösser ist als das Areal. Lisa Euler erklärt die Planung der 1980er: «Wohnen bis an den Bachgraben, dann der Grünraum, dann das Gewerbegebiet – Städtebau wie in Sim City.» Die Architektin arbeitete früher bei Herzog & de Meuron und ist nun bei der Gemeinde Allschwil für Stadtentwicklung und Raumplanung verantwortlich. Im Irgendwo zwischen glänzenden Pharmabauten und dem, was Städte an ihre Ränder drängen, erklärt Euler, warum es ein Konzept für die Quartierstrassen braucht: «Oft gibt es nicht einmal Trottoirs, aber viele Parkplätze und Tempo 50.»

Lisa Euler, Stadtplanerin von Allschwil, zwischen dem Bachgrabengebiet und Frankreich.

So gesehen muss man das Baselink-Areal mit seinem Raster und seiner Normhöhe vielleicht nicht an stadträumlich interessanten Kompositionen messen, sondern am restlichen Gewerbegebiet. Dann sind die Querstrassen mit Einbahn und Tempo 30 so progressiv wie die Sammelparkhäuser, das Erdsondenfeld und der zentrale Binnenraum, der sich als Waldlandschaft durch das Areal schlängeln wird.

«Die Abstimmung kommt durch», schätzt Euler ganz im Norden, vor einem weiteren 20-Meter-Haus. Es steht auf einer von zwei Parzellen, die die Elektrofirma EBP, die heute das Erdsondenfeld betreibt, während der Masterplanung verkaufte. Am 13. Juni sagen tatsächlich 61 Prozent der Allschwilerinnen Ja zum ‹Quartierplan Alba›. Das Haus darf nun auf 40 Meter wachsen. Die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die hier als ‹JP Bachgraben› privat investieren, hatten die Statik schon darauf ausgelegt. Gut gepokert! Ob Euler das Türmchen gefällt? «Ja! Ein Akzent am Eingang des Gewerbegebiets zur Stadt macht absolut Sinn.» Ob sie sich Gestaltungsvorgaben oder eine Wettbewerbspflicht auf den Baufeldern wünschte? «Nein», winkt sie ab. «Aber bei den zwei Public-Health-Bauten gab es Wettbewerbe, da kommen tolle Gebäude, und ansonsten hatte man mit den Bauherrinnen und Architekten Glück.»

Tatsächlich hat Euler als Stadtplanerin andere Sorgen: Erdgeschossnutzung, Adressbildung, Höhenentwicklung, Freiraumqualität – und Verkehr, Verkehr, Verkehr. Am Hegenheimermattweg kommt sie zur Sache: Das ‹Tram Bachgraben›, das vom Bahnhof St. Johann hierherführen soll, steht beim Stadtkanton nicht zuoberst auf der Liste. Bauen kann man es sowieso erst, wenn der Autoverkehr sich verlagert. Dafür wiederum ist ein Zubringer nötig, der die Autobahn vom Stadtcasino aus unterirdisch an die Nordwestecke des Areals heranführen soll. Wir radeln flugs dorthin, stehen vor einem garstig riechenden Recyclinghof und blicken auf französische Agrarwüste. Warum der Baubeginn von 2024 auf 2027 verschoben wurde? «Ein Reality-Check», sagt Euler. «Da braucht es einen Staatsvertrag mit Paris und verschiedenste Sicherheitssysteme. So etwas dauert.»

Westlich des Areals liegt Büezer-Gewerbe mit tiefer Wertschöpfung, dahinter französische Agrarwüste.

Die Folgen für das Bachgrabengebiet sind absehbar: Aus heute 6000 Arbeitsplätzen werden bis 2035 über 11’000, vor allem wegen des Baselink-Areals. Sollen die nötigen Fahrten nicht wie heute zu zwei Dritteln im Auto stattfinden, müssen sich Langsamverkehr und ÖV vervielfachen. Der Zubringer kommt dafür zu spät – und damit auch das Tram. Den Engpass sollen Busse beheben, aber bis jetzt sind weder Taktverdichtungen noch Linienverlängerungen beschlossen. Es ist die typische Misere der Planung: Erst ist es sinnvoll, nicht auf rosige Absichtserklärungen und Investorenträume zu reagieren. Wird der Bauboom dann real, kommen Infrastrukturen, Schulen und ÖV zu spät.

Die zweite Sorge der Stadtplanerin hängt ebenfalls mit dem Verkehr zusammen: Quartiernutzungen. Nur wenn die Menschen im Bachgraben einkaufen, essen und Sport treiben, fahren sie mittags nicht herum. Zwar sind heute an die Firmen gekoppelte Kinderhorte und Kantinen sowie lokale Sport- und Freizeitanlagen erlaubt. «Bis 2024 soll die Bau- und Zonenordnung solche Angebote aber aktiv fördern, rund um die ÖV-Knoten bestenfalls sogar einfordern», sagt Euler. Auch das kommt später als manche Baubewilligung. Immerhin sind eine Handvoll Gastroangebote geplant, im benachbarten Grünraum liegen Tennisplätze und Fussballfelder, und Gespräche mit einer kleineren Privatschule und einer Kita laufen. Das ist ein Anfang. Nur Wohnungen wird es wohl keine geben.

Als Hauptverkehrsachse liegt die Hegenheimermattstrasse zwischen Grünraum und Gewerbegebiet. Wenn der Autobahnzubringer im Norden fertig ist, wird hier ein Tram gebaut. (© REK Allschwil 2035)

Die Community-Manager

Auch Senn weiss, dass ein erfolgreiches Cluster mehr als Mietflächen braucht. Deshalb hat die Entwicklerin den Verein Baselink gegründet und finanziert zwei Stellen. Eine besetzt André Moeri, der eine Telemedizin-Firma und den Basler Innovationspark mitaufgebaut hat. Er sitzt in der Küche des Impact Hub Basel. Kurz vor dem Lockdown hatten die drei Stockwerke auf dem Dreispitzareal geöffnet. Mitgründer Moeri erklärt die Co-Working-Spaces und die Programme mit den anderen Schweizer Hubs. Circular Economy heisst eins davon, und so sei auch der Basler Hub umgebaut. Wir besichtigen das ‹Zero Waste Café› und zahllose alte Bauteile, die hier ein zweites Leben gefunden haben. Hortus sei auf dem Areal «das spannendste Projekt by far», sagt Moeri und hofft, dass Roboter dereinst die Holz-Lehm-Decken stampfen. Dann steigt der Tech-Enthusiast in seinen Tesla, und wir fahren nach Allschwil. Wir setzen uns in den Biergarten Hortus, der das Baufeld A2 vorübergehend bespielt. Ein Schiffscontainer und mit Hopfen berankte Bambusstangen bedienen das Bild des Temporären. Es gibt Fregola Sarda.

André Moeri und Sarina Pensa wollen mit den Nutzerinnen ein «Ökosystem für Innovation» kreieren.

Moeri sieht das Baselink-Areal als «Ökosystem für Innovation» und will das Gleiche tun wie beim Impact Hub, «nur grösser, mit erwachsenen Firmen sozusagen, die über sich hinausdenken sollen». Sarina Pensa, die zweite im Bunde, ist vermutlich zum ersten Mal vor Ort. Sie hat den Job erst vor wenigen Tagen begonnen, davor war sie Eventmanagerin bei Red Bull, Standortförderin in Basel und Citymanagerin von Rheinfelden. Auch Pensa hat eine klare Vorstellung, worum es geht: «Community Building. Wir wollen nicht Dinge tun, sondern ermöglichen. Der Teller und das Fleisch sind da, es fehlen noch Salz und Kräuter – Events, Fuck-up-Nights, Partys. On verra.»

Der Biergarten Hortus steht neben dem Main Campus des Basler Innovationsparks und belebt das Areal als Zwischennutzung.

Moeri und Pensa werden in der ‹Innovationsgarage› arbeiten, einem Design-Hack von Felippi Wyssen im stählernen Systemparkhaus. Senn hat auch dieses gebaut und fand, da das Parkplatzsoll erfüllt war, könne man auf der Restfläche gut einen Ort für Uni-Start-ups einrichten. Langsam wird klar: Die Firma ist «fully committed», auch finanziell. Los ging es mit dem Parkhaus (A1) und dem Main Campus (B1–4). Dann kamen die Baufelder für Hortus (A2) und das PH2 (A4) hinzu. «Mittlerweile ist die Absorptionskraft bewiesen», sagt Senn-Entwickler Johannes Eisenhut, «nun stellt sich die Frage, ob wir auch die Baurechte auf C1 bis C4 übernehmen.»

Die Baufelder des Baselink-Areals (© Herzog & de Meuron)
A1 Parkhaus   A2 Hortus   A3 Tropeninstitut   A4 PH2   B Main Campus   C1-4 noch offen   D1 Parkhaus   D3 Businesshotel   D2/4 Alba

Eigentlich ist die Sache so gut wie klar – wäre da nicht das Problem mit den Parkplätzen: Der Masterplan deckelt diese auf 1138. Doch der Kanton Basel-Landschaft berechnet den Bedarf für jede Baueingabe nach seinen Standardformeln. Nun nähert sich das Kontingent seinem Ende. «Aktuell könnten wir ein oder zwei Baufelder nicht mit Büros und Labors bebauen und würden diese vermutlich nicht übernehmen», sagt Eisenhut. Noch sei unklar, ob sich mit dem Kanton und dem Bürgerspital eine Lösung finden lässt. Oder ob sich andernfalls eine passende Nutzung mit wenigen Arbeitsplätzen anbietet. Eine Zahnlücke will jedenfalls niemand.

Und die Moral von der Geschichte? Da ist die Planerin, die früher bei Herzog & de Meuron arbeitete. Die Architekten wiederum investieren selbst und bauen mehrere Häuser für Senn. Die Entwicklerin baut ausserdem für das Tropeninstitut, dessen Ex-Direktor aktiv für interessante Mieter weibelt. Dazu zählt der Basler Innovationspark, dessen ehemaliger Chef nun als Arealmanager wirkt. Eine kleine Welt? Gewiss. Vor allem aber geht es bei Projektentwicklung eben nicht um Bauvolumen, sondern um Nutzerinnen, um Menschen also. In Allschwil sind alle Akteure über mehrere Ecken verknüpft und wollen dasselbe: ein lebendiges Life-Science-Cluster. Und in ihren Köpfen ist es schon da.

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