Mehr Biodiversität, weniger Ertrag? Das Angst-Argument der Gegenkampagne fällt angesichts langjähriger Erfahrungen von Bauernbetrieben und einer Studie in sich zusammen.
Für viele Menschen in der Landwirtschaft steht die Produktion von Lebensmitteln im Zentrum ihrer Arbeit. Sie bauen Kohlrabi, Rüebli und Kartoffeln an, mästen Poulets, melken Kühe und käsen – kurz: Sie produzieren Kalorien und ernähren die Menschheit. Da schreckt das Argument der Initiativ-Gegner auf: «30 % Fläche für die Biodiversität weg? Tschüss Schweizer Lebensmittelproduktion!» Der Initiativtext nennt zwar keine Zahlen, doch die Gegner beziehen sich auf das internationale Ziel, bis 2030 30 % der Land- und Meeresflächen für die Biodiversität zu sichern. Darauf haben sich die teilnehmenden Staaten an der 15. Biodiversitätskonferenz im Dezember 2022 in Montreal geeinigt. Auch die Schweiz.
Es gibt Bauern, die für solche Angstmacherei nur ein müdes Lächeln übrighaben. Hanspeter Hunkeler und Thomas Baumann leben knapp 30 Kilometer voneinander entfernt und kennen sich nicht, aber beide verstehen Biodiversität nicht als Alternative zur landwirtschaftlichen Produktion, sondern als deren Nebenwirkung.
Wie wirkt sich eine gesamtheitliche Betriebsberatung in den verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit aus? Für die Untersuchung wurden 15 Betriebe ausgewertet. Die Grafik zeigt die erzielte Veränderung pro Nachhaltigkeitsaspekt.
Quelle: Studie ‹Gesamtbetriebliche Nachhaltigkeitsberatung›, Bundesamt für Umwelt
Hofbericht 1: Saisonal angepasste Milchwirtschaft
Als Hanspeter und Susanne Hunkeler die Ronmühle 1989 übernahmen, produzierte die Schweizer Landwirtschaft das Maximum, das der Markt abnehmen konnte. Eine alternative Zukunftsstrategie war gefragt. Hunkelers wollten die klassischen Produktionszweige des Hofs beibehalten und gleichzeitig mehr für Landschaft und Artenvielfalt tun, schon bevor es dafür Direktzahlungen gab. «Landschaftsqualität und Artenvielfalt sind die einzigen landwirtschaftlichen Produkte, die man nicht importieren kann», sagt Hanspeter Hunkeler. Sie entschieden, wenig in die Milch- und Fleischproduktion zu investieren – also Vollweidehaltung, keine Aufzucht und wenig Mechanisierung. Als sie sechs Hektar Ökowiesen pachten konnten, zeigte sich, dass der erste Schnitt dieser Wiesen für die konventionelle Milchproduktion zu mager war. Also stellten Hunkelers bei der Tierhaltung um: Fortan kalbten alle Kühe im Februar und im März. Während der Galtzeit benötigten sie mageres Futter, und dafür war das Heu der gepachteten Ökowiesen optimal. Die saisonal angepasste Milchwirtschaft senkte die Produktionskosten deutlich, während der Naturalertrag gleich blieb. Die Direktzahlungen für die Ökowiesen wiederum waren vertraglich für acht Jahre gesichert.
Wer in der Landwirtschaft auf Automation durch Mechanisierung setzt, steckt enorm viel Kapital in Ställe und Maschinen. Um die hohen Investitionen abbezahlen zu können, legt sich der Betrieb an die Kette der intensiven Produktion. Das blockiert betriebliche Anpassungen über Jahrzehnte. «Es gibt andere Wege», sagt Hanspeter Hunkeler: «Beobachten und sich in natürliche Kreisläufe einfügen. Sich das System der biologischen Vielfalt zunutze machen.» Das bedeute zwar ständiges Lernen. «Aber nur mit diesem Systemwechsel werden wir die Klima- und die Biodiversitätskrise mildern», ist Hunkeler überzeugt.
Werden Tiere mit Kraftfutter versorgt, verschlingt das Kalorien, die direkt der menschlichen Ernährung dienen könnten. Zudem geht die Biodiversität auch wegen der hohen Tierbestände stark zurück, denn Futtermittel stammen aus Monokulturen, und die Überdüngung mit Ammoniak aus der Tierhaltung belastet Böden, Luft und Wasser. Hunkelers Kühe fressen Gras – keinen Mais, keinen Weizen, keine Kartoffeln. Das verhindert die Konkurrenz um Nahrungsmittel zwischen Mensch und Tier, und nichts muss zusätzlich hergestellt und hertransportiert werden.
Biodiversitätsförderflächen (BFF) dürfen nur dreimal statt fünfmal jährlich gemäht werden. Das reduziert Arbeits- und Maschinenstunden, Strom- und Dieselkosten. Als Hunkelers im Rahmen des Arbeitskreises Weidemilch an Betriebsvergleichen teilnahmen, zeigte die Vollkostenrechnung, dass dieses Low-Input-System dasselbe Einkommen erzielt wie teure Hochleistungsstrategien, teils gar ein höheres. «Tiefe Kosten und optimale statt maximale Erträge, dazu langfristige Verträge für die BFF – das ist finanziell attraktiv», sagt Hanspeter Hunkeler. Auch wenn die Erträge nicht spitzenmässig sind: «Entscheidend ist, was unter dem Strich übrig bleibt.»
Hofbericht 2: Gewinn für Kulturlandschaft und Bevölkerung
Suhr ist mit Aarau zusammengewachsen. Mitten in der dicht besiedelten Agglomeration zeigen die beiden Flanken eines Feldwegs, wie Biodiversität Landschaft gestaltet. Links breitet sich ein riesiges Weizenfeld aus, die Stängel stehen dicht an dicht und sind Ende Mai von einem satten, homogenen Dunkelgrün. In der Ferne glänzt ein metallisches Silo in der Sonne. Das Gelände wirkt fast wie eine Outdoorfabrik. Zur Rechten dagegen schweift der Blick über kleinere, von Hecken und Büschen strukturierte Felder. Da wächst erstes Gemüse, dort steht das Gras kurz, daneben hoch. Etwas weiter hinten springen drei Schweine um einen Tümpel herum.
Die Kulturlandschaft wirkt gewachsen und alt, wie auf einem hundertjährigen Ölgemälde. Dabei hat Thomas Baumann erst vor 35 Jahren damit begonnen, sie einzurichten. «Am Anfang gab es Knatsch. Die Menschen störten sich an den Hecken und Tümpeln, und die Bauernkollegen meinten, wir hätten es wohl nicht nötig, den ganzen Acker zu bebauen.» Mittlerweile geniesst die Bevölkerung die Gegend als Naherholungsgebiet. Die Feldwege sind offen, auch Trampelpfade sind sichtbar, und manchmal legt sich jemand unter einen Baum. «Zuerst hat mich das geärgert, weil ich mir für die Natur Mühe gab», sagt Baumann schmunzelnd. «Aber ich habe begriffen, dass die Menschen diese Landschaft schätzen. Und Abfall lassen sie keinen liegen.»
Den Galegge-Hof bewirtschaftet eine Hofgemeinschaft: Thomas Baumann baut Getreide an, pflegt 490 Hochstammobstbäume, mäht die Ökowiesen darunter und hält ein paar Schafe sowie 20 Milchgeissen. Deren Milch sowie die von einem Partnerbetrieb mit 60 Ziegen zugekaufte Milch verkäst Susanne Klemenz zu Frischkäse, den sie ab Hof und auf Märkten verkauft. Annelies Keller baut auf einem halben Hektar Gemüse an, vermarktet es ab Hof und verbäckt das Mehl der Galegge in der hofeigenen Backstube. So bleibt die Wertschöpfung mehrheitlich im Betrieb. Stolze 70 % der 40 Hektar Land des GaleggeHofs sind BFF. Dafür gibt es Direktzahlungsverträge mit acht Jahren Laufzeit, was in Kombination mit tiefen Produktionskosten und hoher Wertschöpfung drei gute Einkommen ergibt. An den Ökowiesen verdient Baumann dreimal: «Den ersten Schnitt verkaufe ich Pferdehalterinnen, den zweiten und dritten fressen die Ziegen, deren Milch ich verkaufe, und obendrauf kommen die Direktzahlungen.» Produktion, Arbeitsplätze und Wertschöpfung könnte die Hofgemeinschaft bei Bedarf durch mehr Gemüseanbau steigern.
Schon vor mehr als 30 Jahren begann der Kanton Aargau, Gemeinden und Betriebe zu beraten: Das Programm ‹Labiola – Landwirtschaft – Biodiversität – Landschaft› war ein Pionierprojekt, auf das der Bund später die BFF-Direktzahlungen aufbaute. Die Vielfalt der Pflanzen und Tiere habe sich deutlich erhöht, sagt Baumann, der auch im Gemeinderat von Suhr sitzt. «Die Förderung der Biodiversität im Suhrental wird als landschaftliche Qualität langsam sichtbar. Die Bevölkerung weiss das zu schätzen.»
Das Potenzial ist riesig
Auch Andreas Bosshard widerspricht der Angstmacherei rund um die Biodiversitätsinitiative. Der Agrarökologe konzipierte 2018 für das Bundesamt für Umwelt eine ‹Gesamtbetriebliche Nachhaltigkeitsberatung› und testete diese auf 25 Betrieben in den Kantonen Bern, Glarus und Thurgau. Gemeinsam mit den Betriebsfamilien suchte er Synergien zwischen Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Ertrag und skizzierte Massnahmen, um diese Synergien zu aktivieren. Laut seinen Schätzungen geht die Produktion nicht zurück, wenn die Betriebe die Massnahmen umsetzen, während das landwirtschaftliche Einkommen um rund 21 % und die Biodiversität um rund 25 % steigen. Die Bauern verifizierten diese Ergebnisse. «Ökonomie und Ökologie erwiesen sich nicht als Gegensätze, sondern zeigten grosses Synergiepotenzial», erklärt Bosshard zusammenfassend. Mit Blick auf die gesamte Schweizer Landwirtschaft folgert er: «Jeder Betrieb kann in diese Richtung gehen. Das Potenzial ist riesig.»
Intensive Landwirtschaft sieht zwar produktiv aus, aber auf 60 % der Schweizer Ackerflächen werden Futtermittel für Tiere statt Lebensmittel für Menschen angebaut. Dadurch geht ein hoher Prozentsatz der Kalorien verloren. Böden, Luft und Gewässer werden vergiftet, und das Klima wird belastet. Würde nur noch ein Drittel des heutigen Fleischbedarfs produziert und konsumiert, könnten deutlich mehr Kalorien angebaut werden, und auf den Produktionsflächen bliebe mehr als genug Platz für die Artenvielfalt.
Die Durchlauferhitzerin
Nicht nur besorgte Bauern stecken hinter der gegnerischen Kampagne des Bauernverbands. Würden mehr Biodiversitätsförderflächen (BFF) ausgeschieden, geriete auch das Geschäftsmodell jener Konzerne und Unternehmen ins Wanken, die den Landwirtinnen Saatgut, Spritzmittel, Diesel, Traktoren, Melkroboter oder Stallbauelemente verkaufen. Von den vier Milliarden Franken an Staatsgeldern, die wir jährlich in die Landwirtschaft schütten, fliesst ein beträchtlicher Teil an diese private Ausrüstungsindustrie weiter. So gesehen ist die Landwirtschaft lediglich eine Durchlauferhitzerin.
Ronmühle, Schötz LU
Milchwirtschaft, Wollschweinezucht, Pensionspferde, Getreide, Soja, Kichererbsen, Kräuter, Hochstammobst
Fläche: 24 Hektar, davon 35 % Biodiversitätsförderflächen
Biodiversität: 34 Brutvogelarten, 193 verschiedene Gefässpflanzen, 22 Schmetterlingsarten, 10 Heuschreckenarten
Galegge-Hof, Suhr AG
Milchziegen, Schafe, Käse, Getreide, Hochstammobst
Fläche: 40 Hektar, davon 70 % Biodiversitätsförderflächen
Biodiversität: nach Jahrzehnten zurückgekehrte Tierarten wie Neuntöter, Turmfalke, Goldammer, Gelbbauchunke, Kreuzkröte, Feldgrille, Schwalbenschwanz, Schachbrettfalter, Wiesel u. a.; Pflanzen: Klatschmohn, Kornblume, Kornrade, Wiesensalbei, Pyramidenorchis, Weinbergtulpe u. a.