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Im Auftrag der Reformierten Kirche Zürich haben Schneider Studer Primas der Kirche Glaubten von Esther und Rudolf Guyer einen Neubau an die Seite gestellt. Eingezogen ist das Sozialwerk Pfarrer Sieber.

Fotos: Andrea Helbling
In Zusammenarbeit mit der Reformierten Kirche Zürich

Im Auftrag der Reformierten Kirche Zürich haben Schneider Studer Primas der Kirche Glaubten von Esther und Rudolf Guyer einen Neubau an die Seite gestellt. Eingezogen ist das Sozialwerk Pfarrer Sieber.

Ab 2029 soll das Entwicklungsgebiet Zürich-Affoltern dank der verlängerten Tramlinie 11 noch besser an die Innenstadt angebunden sein. An der heutigen Bus- und zukünftigen Tramhaltestelle Glaubtenstrasse weist ein Schild den Weg zum neuen Standort der Stiftung Sozialwerk Pfarrer Sieber (SWS). Sie bietet suchtkranken und obdachlosen Menschen medizinische und soziale Unterstützung und hat im Juni das neue Pfarrer-Sieber-Huus auf dem Glaubten-Areal bezogen.

Die Reformierte Kirche als Bauherrin und die SWS als Hauptmieterin haben das Projekt Glaubten-Areal in enger Zusammenarbeit entwickelt. Der vierteilige Neubau von Schneider Studer Primas besetzt den vormals unbebauten Arealteil westlich des Kirchenzentrums Glaubten und fasst ein Fachspital, ein Pflegeheim, ein suchtakzeptierendes Wohnheim und Büros der SWS zusammen. Damit versammelt die Stiftung bis anhin über das Stadtgebiet verstreute Nutzungen unter einem Dach.

 

Das neue Gebäude von Schneider Studer Primas ergänzt das historische Ensemble. Foto: Theodor Stalder

 

Das neue Fachspital ist ein grosser Schritt. Zuvor war es in einem Wohnhaus im Stadtzentrum untergebracht. Die Spitalbetten passten weder durch die Zimmertüren noch in die Lifte - eine Belastung für Personal und Patientinnen. Das Glaubten-Areal bietet nun ein massgeschneidertes Raumangebot. Die übrigen, an der Wehntalerstrasse liegenden Büro- und Gewerberäume vermietet die Kirchgemeinde anderweitig. Bereits im Frühling ist im Erdgeschoss eine Karateschule eingezogen, weitere Mietparteien, unter anderem eine Kinderkrippe, werden folgen.

 

Inspiriert vom Bestand
Der Neubau ergänzt den inventarisierten Kirchenkomplex Glaubten von Esther und Rudolf Guyer aus dem Jahr 1972. Der höchste und markanteste Punkt ist der kubische Kirchturm. Hohe Mauern umschliessen einen Hof und halten das Ensemble zusammen. Niedrige Rundbögen unter dem Turm führen weg von der viel befahrenen Strasse und hinein in den kontemplativen, gepflästerten Hof. Er erschliesst die Kirche und das Gemeindezentrum. Um einen Brunnen im Boden gruppieren sich Findlinge.

 

Erdgeschoss mit Umgebung

1 Hof Kirchenzentrum, 2 Eingang Kirche, 3 Eingang Kirchgemeindehaus, 4 Spitalhof, 5 Haupteingang Fachspital, 6 Wohnhof, 7 Haupteingang Wohnhaus, 8 Haupteingang Gewerbe, 9 Isolierzimmer, 10 Speisesaal

 

Das Kirchgemeindezentrum ist um ein begrüntes Atrium herum organisiert. In Mimikry der Mauerkompositionen haben die Guyers den Kirchgemeindesaal von 1938 integriert. Erdig rötlicher Waschbeton und Holz prägen das ausdrucksstarke Ensemble. Das Werk steht am Übergang vom Brutalismus zum Regionalismus.
Wie der Bestand findet auch der Neubau über vorspringende Sockel und Staffelungen die zur Umgebung passenden Höhen und Dimensionen. Er ergänzt das Werk der Guyers mit Respekt und findet gleichzeitig seine eigene Sprache. Die vier unterschiedlich grossen und hohen Gebäudeteile bilden zwei laterale, mit Mauern geschlossene Höfe. Inspiriert vom Bestand, wollten Schneider Studer Primas das Fachspital und das Wohnheim über die Höfe erschliessen. Denn die Höfe lösen nicht nur Lärmprobleme, sagt Architektin Franziska Schneider, sie entschleunigen auch den Zutritt ins Gebäude. Aus betrieblichen Gründen war eine solche Erschliessung aber nur für das Wohnhaus möglich. Filtermauerwerk aus Kalksandstein gewährt punktuell Einblicke in den begrünten Wohnhof. Der intimere Spitalhof direkt hinter der Kirche ist den Patientinnen vorbehalten.

 

Flexibilität und Nachhaltigkeit
Schon das Gipsmodell aus dem Wettbewerbsprojekt habe das Potenzial des Entwurfs gezeigt, sagt die Architektin und Projektleiterin seitens der reformierten Kirche Silvia Beyer. Die städtebauliche Setzung und die belastbare Form hätten die Jury gleich überzeugt. Die vier verbundenen Gebäudeteile lassen sich sowohl einzeln bespielen als auch auf unterschiedliche Nutzungen anpassen. Die grösste Gebäudemasse, das viergeschossige Fachspital, liegt in der Parzellenmitte.

 

Nutzungsverteilung

1 Hof Kirchenzentrum, 2 Eingang Kirche, 3 Eingang Kirchgemeindehaus, 4 Spitalhof, 5 Haupteingang Fachspital, 6 Wohnhof, 7 Haupteingang Wohnhaus, 8 Haupteingang Gewerbe, 9 Isolierzimmer, 10 Speisesaal

 

Ein schlanker, dreigeschossiger Gewerberiegel auf Seiten der Wehntalerstrasse schützt die sensibleren Nutzungen vor Verkehrslärm. Die Haupterschliessung mit Spitaleingang, Garageneinfahrt und Anlieferung befindet sich an der ruhigeren Riedenhaldenstrasse. Hier liegt auch der mit sechs Geschossen höchste Gebäudeteil des Neubaus: das Wohnhaus mit dem Namen ‹Schärme›. Die Gebäudeteile der SWS sind nur für die Mitarbeitenden miteinander verbunden, Bewohnerinnen und Patienten werden getrennt. Auch der Gewerbebau an der Wehntalerstrasse ist eigenständig, doch seine Geschosse liessen sich mit dem Spitalbau verbinden. Die SWS wird die Räume langfristig nutzen. Dennoch sind der Flexibilität zuliebe nur die Gebäudekerne betoniert und die Zimmerwände nichttragend ausgebildet. Bei einem Mieterwechsel liesse sich der Bau gut in ein studentisches Wohnheim oder in ein Pflegeheim umwandeln.

Dass mit wenigen Ausnahmen mechanisch gelüftet wird und die Räume knapp geschnitten sind, hat die Kosten reduziert. Da die Patienten und Bewohnerinnen kaum Besuch erhalten und keine Autos besitzen, genügt ein Tiefgaragengeschoss. "Es ist ein einfacher Bau", sagt Projektleiterin Silvia Beyer. Obwohl kosteneffizient geplant wurde, spielte die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Das Gebäude folgt den Grundsätzen der 2000-Watt-Gesellschaft und erreicht die Zielwerte des SIA-Effizienzpfads. Geheizt wird über Erdsonden, bei Belastungsspitzen hilft die Gasheizung des Kirchenzentrums. In Zukunft soll Letzteres ans Fernwärmenetz angeschlossen werden. Auf dem Dach steht eine grossflächige Photovoltaik-Anlage.

 

Massgeschneidert und angemessen
Das Sozialwerk Pfarrer Sieber mietet die Räume im Rohbau und finanziert den Innenausbau selbst. Ein Fachspital zu entwerfen, war für alle Beteiligten eine neue Aufgabe. Um sich ein Bild der Nutzungen und Abläufe zu machen, verbrachten die Architektinnen einen Tag im alten Fachspital Sune-Egge im Kreis 5 und tauschten sich mit dem Personal aus. Für Architektin Franziska Schneider hat die Aufgabe eine besondere Bedeutung. In ihrer Studienzeit waren die offene Drogenszene und deren Auswirkungen in Zürich stark präsent. Sie empfand es auch darum als sinnstiftend, für Suchtbetroffene zu entwerfen.
Die massgeschneiderte Architektur zeigt sich in der Detaillierung, im Raumprogramm und im wohnlichen Ausdruck der Räume.

 

Die Gebäudestruktur ist flexibel und liesse sich einfach zu einem Wohnhaus umnutzen.

 

Damit keine Drogen versteckt werden können, müssen Ritzen oder Spalte verschlossen sein. Hohlkehlen und PU-Böden im Erdgeschoss des Fachspitals garantieren Sauberkeit. Zwei knappe Lichthöfe bringen Licht in die Gebäudetiefe, die grosszügige Erschliessung schafft Raum für Begegnungen. Der Raum der Stille kann dank Flügeltüren zu einem der Lichthöfe hin erweitert werden, sodass eine sakrale Stimmung entsteht. Im Restaurant ‹Zum heitere Ernst› im Erdgeschoss werden die Patienten dreimal am Tag bekocht und ein gemütliches Raucherzimmer ist über ein Rundfenster visuell mit dem Speisesaal verbunden. In den Spitalzimmern schaffen gestrichene und geschlämmte Wände Atmosphäre. Die Türzargen und Bodenleisten aus Eichenholz sind robust und wohnlich. Private Balkone bieten Komfort für die Patientinnen, die im Schnitt drei Monate hierbleiben.

 

Willkommenes Miteinander
An der Fassade geben zwei unterschiedliche Welleternit-Profile und ein Wellblech den Gebäudeteilen je ihren eigenen Charakter. Durchgehende Fensterformate binden das Ensemble zusammen. Farbakzente am Sockelgeschoss werden in den nächsten Monaten noch angebracht. Ausserdem ist an der Fassade ein bekanntes Balkon-Detail von Schneider Studer Primas wiederzuentdecken: Die roten Stahlstrukturen mit gespanntem Metallgeflecht gibt es auch in der Wohnsiedlung Zwicky Süd.

 

Balkone vor den Zimmern machen lange Spitalaufenthalte angenehmer.


 
Eröffnet wurde der Neubau auf dem Glaubten-Areal im Juni 2024. Das Kirchenzentrum funktioniert weiterhin unabhängig vom Neubau, aber es entsteht ein willkommenes Miteinander, wie die Institutionen sagen. Schliesslich war der Gründer und Namensgeber der Stiftung, Pfarrer Ernst Sieber, in der reformierten Kirchgemeinde Zürich bis zu seinem Tod 2018 eine wichtige Figur. Mit dem Einzug der SWS in eine kirchliche Liegenschaft schliesst sich somit auch ein Kreis. Die Einweihung mit Gottesdienst fand in der Kirche statt, da der Neubau über keinen Veranstaltungsraum verfügt. Die Aussenräume des bestehenden Ensembles wurden zeitgleich mit der Realisierung des Neubaus instand gesetzt. "Es war eine lange Reise bis zum Projekt, aber sie hat sich gelohnt", so Silvia Beyer. Weitere ähnliche Kooperationen, vorzugsweise solche mit öffentlich-rechtlichen Institutionen und betrieblichen Synergien, kann sich die Kirchgemeinde gut vorstellen. Unbebaute Grundstücke in den Dimensionen wie in Affoltern besitzt sie noch mehrere.

 

Schnitt

1. Obergeschoss

 

Aufgeschlossen
In den letzten Jahrzehnten sank die Mitgliederzahl der reformierten Kirche in der Stadt Zürich. Damit hat sich auch die Bedeutung ihrer Häuser für das gesellschaftliche Leben verändert. Manch eine kirchliche Immobilie wird heute kaum genutzt, obwohl der Raum in der Stadt knapp ist. Was ist also zu tun mit dem Immobilienschatz ? Nach der Fusion von 32 Kirchgemeinden 2019 steckte sich die neu entstandene Reformierte Kirche Zürich mit dem ‹Leitbild Immobilien› finanziell und in Sachen Nachhaltigkeit ambitionierte Ziele. Vor allem aber sollen ihre Liegenschaften über ihr Dasein als Orte der Stille auch wieder
zu Orten des Lebens, der Begegnung und des Austauschs, Orte für Gemeinschaft und Gesellschaft werden. Das Themenheft von Hochparterre porträtiert den wertvollen Immobilienbestand und zieht eine Zwischenbilanz.

 

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