Velochance an der Zuger Artherstrasse – Teil 2

Wie plant man eine Veloroute? Nicht auf Kosten des Autos, sagt der Kanton Zug. Sein Konzept für eine Veloroute am Ostufer des Zugersees will viel, und die günstigste Variante wird nicht einmal geprüft.

In Zusammenarbeit mit Energie Schweiz

Wie plant man eine Veloroute? Nicht auf Kosten des Autos, sagt der Kanton Zug. Sein Konzept für eine Veloroute am Ostufer des Zugersees will viel, und die günstigste Variante wird nicht einmal geprüft.

Die Artherstrasse entlang des östlichen Zugerseeufers ist eine SchweizMobil-Route. Sie könnte mit zunehmender Siedlungsdichte besonders in Oberwil und Walchwil zum attraktiven Velopendelweg werden – wären da nicht die vielen Führungswechsel, die fehlende Infrastruktur und teilweise gefährliche Engstellen. Teamverkehr.Zug hat in einer Studie von 2022 Lösungsvorschläge entwickelt, wie die Ausbaustandards für Hauptverbindungen der kantonalen Velonetzplanung entlang der Artherstrasse umgesetzt werden könnten (Hochparterre berichtete in Teil 1). Nun legt das Tiefbauamt Zug das «Konzept Radführung» für die Strecke von Zug bis zur Schwyzer Grenze südlich von Walchwil vor.

Von null auf hundert

Die Zeit drängt, wenn das Konzept gemäss Veloweggesetz bis Ende 2043 umgesetzt sein soll. Aktuell gibt es auf gerade mal 500 m der 9.5 km langen Strasse eine zufriedenstellende Veloinfrastruktur. Umso eindrücklicher ist der im Konzept präsentierte Vorschlag für die zukünftige Veloführung: ein seeseitiger, mit Ausnahme eines Teilabschnitts bei Walchwil durchgängiger Fuss- und Veloweg von 3.50-4 m Breite. Das ambitionierte Unterfangen würde in Anbetracht der heterogenen Situation nicht nur viele bauliche Anpassungen bedingen, es hätte auch einige rechtliche Hürden zu überwinden.

Doch erste Abklärungen zu Gewässer- und Seeuferschutz stimmen die Konzeptverfasser vom kantonalen Tiefbauamt zuversichtlich: Standortgebundene Anlagen wie Fuss- und Velowege seien nach einer Interessenabwägung grundsätzlich bewilligungsfähig. Längere Abschnitte der Artherstrasse sind zusätzlich im Bundesinventar der historischen Verkehrswege der Schweiz (IVS) als «historischer Verlauf mit Substanz» verzeichnet. Auch hier müssten sich Eingriffe durch ein nationales Interesse rechtfertigen lassen müssen – was mit Velowegegesetz gegeben wäre. Im Konzept wird darauf hingewiesen, dass fallweise unter den verschiedenen Interessensvertretenden Kompromisse geschlossen werden müssen – ein erstes Zugeständnis, dass das Konzept eher Absichtserklärung als Bauvorhaben ist.

Wermutstropfen Walchwil

«Wir sind prima vista positiv überrascht», meint Victor Zoller, Co-Präsident von Pro Velo Zug. «So werden die heute bestehenden Probleme mit den strassenquerenden Seitenwechseln mit einem durchgehend breiten Trottoir bei der Mänibachstrasse und am Ausgang Oberwil gelöst. Wir bedauern jedoch, dass eine Temporeduktion nicht geprüft wurde. Vor allem der aus Platzgründen unvermeidliche Mischverkehr durch Walchwil könnte mit 30 km/h für die Velofahrenden deutlich sicherer werden. Diese Forderungen haben wir beim Kanton deponiert.»

Der Walchwiler FDP-Gemeinderat René Peyer relativiert die Kritik: «Es stimmt, für Walchwil fehlt innerorts der grosse Wurf. Doch wir werden von den Abschnitten profitieren, auf denen deutliche Verbesserungen geplant sind, wie etwa bei der Seefeldbrücke. Das Konzept wird ein wichtiges Werkzeug werden, das bei jedem geplanten Eingriff berücksichtigt werden muss, womit der Veloverkehr gegenüber anderen Interessen auch höher gewichtet werden kann.»

Die heutige Verkehrssituation auf der Artherstrasse.

Das vom Tiefbauamt des Kantons Zug ausgearbeitete Konzept für die künftige Radführung auf der Artherstrasse.

 

Innerorts funktioniert anders

Daniel Brunner, Initiant der Studie von 2022, ärgert sich darüber, dass die kostengünstigste Variante nicht einmal als Option auftaucht – nämlich neue Velostreifen im Strassen- und Trottoirquerschnitt zu integrieren und die Geschwindigkeit zu beschränken, auch um den Lärm zu senken. «Gerade auf dem Abschnitt vom Casino bis St. Karl, aber auch in den Ortskernen von Oberwil und Walchwil, wäre das ohne komplizierte Bewilligungsverfahren umsetzbar, um die Sicherheit für Velofahrende sofort deutlich zu erhöhen. Eine verpasste Chance.» Obwohl die ganze Artherstrasse ab Casino Zug bis an die Schwyzer Kantonsgrenze lärmsanierungspflichtig sei, sind im Konzept weiterhin zwei Strassenabschnitte mit Tempo 60 innerorts bei Zug und Oberwil vorgesehen. Ein Projekt ohne Anpassung des Temporegimes dürfte zu Einsprachen führen, was die Umsetzung verzögern oder gar verunmöglichen könnte. Kritisch sieht Brunner auch ein vier Meter breites Trottoir für den Fuss- und Veloverkehr vom Casino bis zum alten Kantonsspital auf der Seeseite sowie durch Oberwil – aus städtebaulichen Gründen: Am Stadtausgang passe dies wenig zum geschützten Ortsbild des Villenquartiers, und in Oberwil würde das Siedlungsgebiet zu stark vom See getrennt. «Aus meiner Sicht ist Tempo 30 mit aufgehobener Mittellinie und breiten Velostreifen die angemessenere Massnahme – auch wenn das einen Führungswechsel bedeutet.»

Ähnlich sieht dies der Stadtrat von Zug. In seiner Stellungnahme weist er darauf hin, dass weder die Ortsbildverträglichkeit noch das ISOS berücksichtigt wurden. Innerörtliche Velowege funktionierten anders, zum Beispiel seien in Oberwil Nutzungen wie Schule und Kindergarten auf der gegenüberliegenden Strassenseite des geplanten Velo- und Gehwegs, wodurch die Fahrbahn häufig gequert werden müsse. Dabei führe das Konzept des Tiefbauamts explizit das interne Papier «Radverkehrsinfrastrukturen auf kantonalen Radrouten» auf, das für «ausserorts» grundsätzlich eine separate Führung des Veloverkehrs auf einem Veloweg oder einem Fuss- und Velowegweg vorsieht, währenddem «innerorts» das Velo in der Regel auf der Fahrbahn mit Velostreifen zu führen sei. Der Wunsch nach einer einheitlichen Lösung für die gesamte Strecke kollidiert mit den Anforderungen einer vernetzten, gut nutzbaren Veloinfrastruktur.

Schwyz zieht mit

Die gute Nachricht: Der Veloweg soll nicht an der Kantonsgrenze enden. Auch der Kanton Schwyz strebt einen seeseitigen kombinierten Fuss- und Veloweg an. Der Anfang wird mit der Verbreiterung der praktisch auf der Kantonsgrenze liegenden Rufibachbrücke gemacht. Das Bauprojekt für den anschliessenden, rund zwei Kilometer langen Schwyzer Abschnitt, der zurzeit weder Radstreifen noch ein Trottoir aufweist, soll bis Ende 2024 ausgearbeitet werden. Periodische Abstimmungssitzungen zwischen den beiden Kantonen sind bereits vorgesehen.

Für die zeitliche Umsetzung auf Zuger Seite wurde die Artherstrasse je nach Strassen- und Belagszustand, Zustand der Kunstbauten, Dringlichkeit der Verbesserung der Veloinfrastruktur und durchgehender Lösungsansatz für die Radführung in verschiedene Projektperimeter unterteilt. Noch wurden keine Aussagen zur konkreten Gestaltung des Fuss- und Velowegs getroffen. Bei der Ausführung wäre etwa ausserorts bei hohen Geschwindigkeiten eine bauliche Abtrennung wichtig für das subjektive Sicherheitsempfinden. Je nach Situation, etwa bei Steigungen oder seitlichen Hindernissen wie Mauern und Stützen, sind für die Wegbreite verschiedene Zuschläge zu beachten. Auf dem Weg selbst kann eine optische Markierung helfen, den Langsamverkehr zu entflechten und Konflikte zwischen den beiden doch sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Velos und Fussgängern vorzubeugen. All diese Faktoren werden dazu beitragen, ob der neue Weg auch angenommen und genutzt wird, oder die geübte Velofahrerin weiterhin lieber das Risiko des Mischverkehrs auf der Strasse auf sich nimmt.

Das Auto bleibt das Mass aller Dinge

Das Beispiel Artherstrasse zeigt exemplarisch, dass es fürs Velo keine one-size-fits-all-Lösungen gibt. Dass das Zuger Tiefbauamt ausgerechnet auf die baulich aufwändigste Variante setzt, mag angesichts der kantonalen Finanzkraft nicht überraschen – auffällig ist aber, dass Kompromisse durchgängig zulasten der Landschaft (Verbreiterung der bestehenden Strasse) und des Fuss- und Veloverkehrs (Verschmälerung des Wegs auf bis zu drei Meter an Engstellen) gehen. Dem Autoverkehr dagegen mutet das Konzept keine Einschränkung zu – weder eine abschnittweise schmalere Fahrbahn noch eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit. Dies passt zum Umstand, dass die kantonale Stimmbevölkerung die Velonetz-Initiative am 9. Juni dieses Jahres mit über 60 Prozent Nein-Stimmen ablehnte. Zug ist offenbar noch nicht bereit, die Hegemonie des Autos zu hinterfragen. Vielleicht wird eine durchdachte Veloinfrastruktur entlang der Artherstrasse die nächste Generation von Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zum Umsteigen auf das Velo verführen.

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